Zur Sprache bringen

Zur Sprache bringen

Eine Dankesrede
Doron Rabinovici | © A. P. Englert

Der Schriftsteller und Historiker Doron Rabinovici ist mit dem Österreichischen Ehrenzeichen und Österreichischen Ehrenkreuz für Wissenschaft und Kunst ausgezeichnet worden. In seiner Dankesrede spricht er über Antisemitismus, Rechtsextremismus und die Willfährigkeit gegenüber den Zumutungen staatlicher Macht. Das Ehrenkreuz ist eine Auszeichnung der Staates Österreich.

 
 
Sehr geehrte Frau Staatssekretärin, liebe Andrea,
Sehr geehrter Herr Vizekanzler außer Dienst, lieber Clemens,
Meine lieben Gäste,
 
 

Was, so frage ich nun, was verschafft mir denn die Ehre?
Das allererste Ehrenzeichen für Wissenschaft und Kunst der Zweiten Republik wurde im Jahre 1957 dem Pädagogen und Altphilologen Richard Meister verliehen. Meister war in der Zwischenkriegszeit Mitglied der antisemitischen Professorenclique „Bärenhöhle“ gewesen, die recht erfolgreich die Karrieren jüdischer Wissenschaftler verhinderte. Nach 1938 gehörte er auch verschiedenen nationalsozialistischen Verbänden an. Ab 1945 setzte sich Richard Meister dafür ein, sogenannte „Ehemalige“ wieder auf der Universität aufzunehmen, hingegen die Rückkehr der Vertriebenen zu vereiteln.

Der deutsche Anthropologe und Ethnologe Otto Reche, ebenfalls Parteimitglied, hatte ein besonderes Spezialgebiet: die Rassenkunde. Er gilt als „Apologet des Völkermordes in Osteuropa“. Otto Reche schrieb: „Wir brauchen ja Raum, aber keine polnischen Läuse im Pelz.“ Nach 1945 wurde er verhaftet. In Deutschland verlor er die Lehrbefugnis. In Österreich wurde er indes 1965 mit dem Ehrenkreuz erster Klasse ausgezeichnet.

Ich könnte unverdrossen fortfahren und unter anderen den berühmt berüchtigten Heinrich Gross nennen, den Stationsleiter der Wiener „Euthanasie-Klinik“, auf dessen Abteilung Hunderte Kinder ermordet wurden. Das Ehrenkreuz, das er 1975 bekam, wurde ihm 2003 wieder aberkannt. Immerhin.

Aber waren da nicht auch die vielen anderen? Jene, die jede Würdigung verdienen? Jene, die in ihrer Kunst und in ihrer Forschung Haltung bewiesen gegen die Lügen der Macht und gegen die Hetze der Scharfmacher. Von den einen und den anderen heute hier zu schweigen, wäre nicht ehrlich mir selbst gegenüber.

Es geht darum, zur Sprache zu bringen, was sie mir verschlägt. Dieser Drang durchzieht meine Texte, ob Roman, Essay, dramatische Aufführung oder historische Studie. Ich kann nicht anders. Da ist ein unbedingter Reflex. Wir waren von Anfang an gewarnt. Mein Bruder und ich, wir lernten, dass die Gefahr, so heillos behütet wir als Söhne auch waren, nicht für immer gebannt ist. Die starke und stolze Frau, die uns auf die Welt gebracht hatte, unsere Mutter, war ein gebranntes Kind. Nichts war vernarbt. Sie litt an Atemnot in engen Räumen. An Erstickungsangst im Gedränge. Da waren die Albträume nachts. Da war das Herzleiden von Oma Raja, unserer Großmutter. Für andere in meiner Klasse war die Vergangenheit das längst Überwundene, ein Märchen aus ferner Vorzeit. Auch wir wuchsen geborgen auf in diesem Österreich, das uns ein Leben in Wohlstand bot und freie Bildung ermöglichte. Aber uns war eingebläut worden, nicht stillzuhalten, nie unsere Herkunft zu verhehlen, sondern zurückzuschlagen, wenn wir als Juden angegriffen wurden. Auch sollten wir nicht schweigen, wenn anderen Unrecht angetan wurde.

Es geht – gerade am 10. November – nicht nur um Vergangenes. „Nie wieder“ bloß zu rufen, heißt, zu leugnen, was derzeit geschieht. Überall werden jene Kräfte stärker, die gegen die Europäische Union, gegen die Demokratie, gegen den Rechtsstaat, gegen unabhängige Redaktionen, gegen die freie Kunst mobil machen. Vor zwanzig Jahren waren Koalitionen mit Rechtsextremen noch eine älplerische Eigentümlichkeit. Mittlerweile wurde das zum internationalen Trend, ob in Ungarn, in Italien, in Polen, in Israel, in den USA. Der Tyrann in Moskau wiederum negiert die Existenz einer souveränen Ukraine, droht uns allen und hält seine Nuklearwaffen bereit.

Umso wichtiger ist es, auch von jenen zu reden, die für die Freiheit kämpfen. Wieviel Zivilcourage beweisen doch mutige Frauen im Iran. Was riskieren wir im Vergleich dazu? Was kostet es uns, die offene Gesellschaft zu verteidigen und die kritische Öffentlichkeit zu unterstützen? Aber stattdessen wird hierzulande an ihr gespart. Wieso werden schon wieder bei Ö1, bei diesem einzigartigen Sender, der seinesgleichen sucht, Kürzungen vorgenommen? Warum wird das älteste Periodikum der Welt, das Organ der Republik, die Wiener Zeitung, die seit 1703 existiert, im Stich gelassen, statt das Geld, das in den Boulevard gepumpt wird, dafür zu verwenden, dieses Kulturerbe der Aufklärung zu bewahren?
In den letzten Tagen lasen wir neuerlich von den Chats der Türkisblauen und wie staunten wir doch, denn manche Chefredakteure zeigten sich so willfährig gegenüber den Zumutungen politischer Macht. Sie schützten ihre Redaktion nicht vor dem Übergriff. Im Gegenteil. Sie gaben Ratschläge gegen die eigenen Leute in ihrem Haus. Matthias Schrom vom ORF wollte besonders gefällig sein gegenüber dem freiheitlichen H.C. Strache, jenem zwischenzeitlichen Vizekanzler, der ein alter Waldkumpan und Wehrsportkamerad des Neonazi Gottfried Küssel war. Schrom erklärte Strache, gegen wen im öffentlich rechtlichen Rundfunk vorgegangen werden müsse. Alles bekannt. Aber die eigentliche Überraschung erfuhr ich erst am Sonntagabend. Ich war wohl der Grund für Straches Intervention gewesen. Das, was ich am 14. Februar 2019 in der ZiB24 erklärte, erregte den Politiker so sehr, dass er kurz darauf Schrom antippte. Strache störte, was ich zu Antisemitismus sagte. Wie sehr meine Ausführungen zu diesem Thema den Freiheitlichen aufbrachten, beweist nur eins: Ich muss den Schwachpunkt und Schandfleck dieser Partie doch ganz gut getroffen haben.

Es ist mir eine Ehre. Dafür lasse ich mich allemal gerne auszeichnen. So freue ich mich sehr, zumal ich – für meine literarischen und wissenschaftlichen Arbeiten – dieses Ehrenkreuz von der Republik erhalte, obgleich – wenn nicht sogar, weil – ich so oft mit ihr über Kreuz war und über Kreuz mit ihr bin.

Ich danke der Staatssekretärin Andrea Mayer für die Verleihung dieser Auszeichnung. Ich freue mich sehr.
Ich bin besonders glücklich über meinen Laudator Clemens Jabloner. Ich weiß, wie viel uns verbindet, womit ich nicht nur jene frühen Prägungen und das Bewusstsein für die Vergangenheit meine. Clemens Jabloner sprach im Juli dieses Jahres aus, was unter Türkisblau geschehen war, wie der staatliche Verwaltungsapparat ausgehebelt werden sollte. Er erklärte wörtlich: „Die Art, wie unter Kurz regiert wurde, war ein erster Weg in eine andere Staatsform.“ Danke.

Ich bin auch so froh, dass Harri Stojka, Peter Strutzenberger, Martin Spitzer und Sigi Meier heute für uns aufspielen. Bald werden wir das Lied Dosta Lowe von Harris Vater Johann-Mongo Stojka und im Anschluss Lac Leman, eine Komposition von Harri selbst hören. Mich verbindet mit dem einzigartigen Musiker Harri Stojka und mit Valerie Stojka nicht nur eine Freundschaft, sondern auch unser Einsatz für die Erinnerung. Unerträglich ist, dass Wien noch immer kein zentrales Mahnmal hat, das des Genozids an den Roma und Sinti gedenkt. Es ist längst an der Zeit.
Das Ehrenkreuz gilt nicht mir allein. Vielmehr weiß ich, dass meine Arbeit im Verbund mit vielen entsteht, ob in der Literatur, in der Wissenschaft oder im politischen Engagement.

Ich danke meiner Lektorin Doris Plöschberger, die heute aus Berlin hergekommen ist und bei der ich mich so gut verstanden und aufgehoben fühle.
Niemand aber hätte sich mehr über diese Würdigung gefreut, als meine Eltern und niemand wäre stolzer gewesen auf mich als meine Mutter und mein Vater – gestrahlt hätte er und leise gelächelt hätte sie, voll Glück beide, die nicht mehr unter uns sind, und kaum einer weiß besser, wie sehr sie fehlen als mein Bruder Jaron, dem ich seit meiner Geburt eng verbunden bin und der gemeinsam mit seiner Frau, meiner Schwägerin Liath aus Israel hergeflogen ist, um mit mir diesen Tag zu feiern.
תודה רבה שבאת. אני אוהב אותכם
(Danke, dass du gekommen bist. Ich liebe Euch.)

Dank gebührt auch der Person, die meinem Leben seit achtzehn Jahren einen eigenen Sinn gibt; Dank gebührt meiner Tochter Milli.
Was für ein Glück aber ist es, meine Frau, Dich, Nicole, an meiner Seite zu haben. Du unterstützt mich, Du inspirierst mich täglich, mit Dir kann ich alles besprechen stündlich – und Du hörst mir auch noch zu! Danke.

Allen aber will ich versprechen, mich nach dieser Auszeichnung nicht mit einem kreuzfidelen „Habe-die-Ehre“ zu begnügen, sondern im Wort zu bleiben mir und fortzuschreiben, was zur Sprache gebracht werden muss.

Letzte Änderung: 14.11.2022  |  Erstellt am: 14.11.2022

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Kommentare

Ralf Rath schreibt
Schon Max Horkheimer sah zuvörderst die eigene Aufgabe als Forscher darin, das, was die wirklichen Individuen unserer Zeit getan haben, "in eine Sprache zu übersetzen, die gehört wird, wenn auch ihre vergänglichen Stimmen durch die Tyrannei zum Schweigen gebracht wurden". Insofern beruft sich Doron Rabinovici in seiner Dankesrede darauf, wenn er sagt, dass es notwendig darum geht, zur Sprache zu bringen, was sie einem verschlägt. Solch ein überaus seltenes Unterfangen mit dem Österreichischen Ehrenzeichen und dem Österreichischen Ehrenkreuz für Wissenschaft und Kunst zu würdigen, könnte deshalb keine außergewöhnlichere Beleihung sein. Ob die Republik Österreich imstande ist, die damit eingegangene Verbindlichkeit einzulösen, muss sich aber erst noch zeigen.

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