
Wir gratulieren Dorothee Elmiger zum Deutschen Buchpreis für ihren Roman Die Holländerinnen. Eine mutige Entscheidung der Jury – und eine notwendige für die deutschsprachige Gegenwartsliteratur. Denn Elmigers Text ist kein gefälliger Publikumsroman, sondern ein literarisches Risiko: radikal in der Form, irritierend im Denken, emotional wie intellektuell fordernd.
Im Zentrum steht eine Spurensuche, die sich jeder Auflösung verweigert: Zwei junge Frauen aus den Niederlanden verschwinden spurlos im panamaischen Dschungel. Eine Theatergruppe reist dorthin, um das Verschwinden zu „recherchieren“ – oder vielleicht nur, um es für sich erzählbar zu machen. Eine Autorin begleitet das Projekt, protokolliert und reflektiert – und verliert sich dabei zunehmend in einem Geflecht aus Stimmen, Projektionen und Machtfragen.
Die Holländerinnen ist kein Abenteuerroman, sondern eine Vermessung der Grenzen von Empathie und Erzählbarkeit. Was dürfen wir erzählen – und aus welcher Position heraus tun wir das? Wem gehört eine Geschichte? Und was bleibt von Wahrheit übrig, wenn die Sprache sie nicht mehr fassen kann? Elmiger verschiebt den Roman an die Ränder dessen, was Literatur heute sein kann – ohne theoretische Pose, sondern mit narrativer Konsequenz.
Die fast vollständig in indirekter Rede gehaltene Erzählweise ist dabei mehr als ein Stilmittel. Sie ist Programm: Distanz als Erkenntnisform. Sie macht die Leser:innen zu Beteiligten des Suchens – und des Zweifelns. Der Dschungel wird zur Metapher für jede Form des Unbekannten, aber auch für das Unheimliche im Menschlichen selbst. Elmiger schreibt gegen das Erklärbare und Verwertbare an – und trifft damit einen empfindlichen Nerv unserer Zeit.
Wir freuen uns besonders über diese Auszeichnung, weil sie an eine Autorin geht, die nicht nach literarischer Bequemlichkeit sucht, sondern nach neuen Formen von Wahrnehmung. Die Holländerinnen denkt weiter, wo viele Texte stehen bleiben. Es ist ein intelligentes, atmosphärisch dichtes, beunruhigendes Buch – und eines, das noch lange nachhallt.
Dieser Preis zeichnet nicht nur einen Roman aus, sondern eine Haltung zur Literatur.
Gratulation, Dorothee Elmiger.
Letzte Änderung: 16.10.2025 | Erstellt am: 16.10.2025
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