Die Kunst der Übersetzung

Die Kunst der Übersetzung

Kontrapunkt

Absurd, „Aus dem Leben eines Taugenichts“ nachzuerzählen. Denn der ganze Zauber der Geschichte liegt in der Art und Weise, wie sie Eichendorff geschrieben hat. Nun hat sich, womöglich aus falscher Fürsorge, selbst in Literaturrezensionen, das Nacherzählen breitgemacht, das die Art und Weise völlig aus dem Blick verloren hat. Am Beispiel von Michael Köhlmeier macht Thomas Rothschild einen Verlust geltend.

Köhlmeier und das Wesen der Literatur

Michael Köhlmeier ist wahrscheinlich einer der bedeutenden und mit Sicherheit einer der produktivsten lebenden Schriftsteller Österreichs. Seine exzeptionelle Popularität weit über den Kreis der Literaturfans hinaus verdankt er aber nicht seinen Erzählungen und Romanen, auch nicht seinen Hörspielen, sondern der mündlichen Verbreitung von Sagen des klassischen Altertums, später auch aus dem deutschsprachigen Raum, über den Rundfunk, das Fernsehen und über CDs. Köhlmeier trägt die Sagen in freier Rede, also ohne Manuskript, mit eigenen Worten und in einer heutigen Sprache vor. Von den zurzeit grassierenden „Überschreibungen“ auf dem Theater unterscheiden sich seine Nacherzählungen durch die Nähe zu den Vorlagen. Er versucht gar nicht erst, sie in die Gegenwart zu transferieren und durch Analogien zu ersetzen oder mit ausgetauschten Figuren zu aktualisieren. Nur gelegentlich weist er in einem Nebensatz, eher beiläufig, auf Parallelen aus der Erfahrungswelt seiner Zuhörer hin.

Und doch muss man sich fragen, ob er mit seinem Erfolgsrezept, dem die für die Medien verlockenden Einschaltzahlen recht zu geben scheinen, der Literatur nicht einen Bärendienst erwiesen hat. Köhlmeiers Unternehmen bestärkt nämlich die irrige Annahme, dass sich Literatur, die diesen Namen verdient, von der Form, genauer: von der Sprache, in der sie verfasst wurde, ablösen lasse. Sie fördert das populistische Geschäft des Inhaltismus, das ohnedies von Rezensionen – beim Film mehr noch als bei der Literatur, aber eben auch dort – und vom üblichen Deutschunterricht in den Schulen betrieben wird.

Nun mag man einwenden, dass das nur für Literatur in der Muttersprache seine Geltung habe. Wer liest schon Homer oder Vergil in der Sprache, in der deren Werke geschrieben wurden. Noch nicht einmal das Nibelungenlied wird heute, außer von wenigen Liebhabern des Mittelhochdeutschen, im Original gelesen. Das ist richtig. Und genau darin liegt die Herausforderung an die Kunst der Übersetzung. Wenn sie, selten genug, gelungen ist, gibt sie nicht nur das Sujet des fremdsprachigen Originals wieder, sondern bemüht sich um möglichst exakte Entsprechungen zu dessen sprachlichen Merkmalen und Besonderheiten. Die Übersetzer*innen, denen das gelingt, lassen sich her zählen wie die überragenden Autor*innen. Streng genommen sind sie, jedenfalls wenn man sich vom Primat des Inhaltismus befreit, die Autor*innen der übertragenen Texte. Der russische „Faust“ ist zumindest ebenso ein Werk von Pasternak wie von Goethe, der englische „Eugen Onegin“ ist zumindest ebenso ein Werk von Nabokov wie von Puschkin, der deutsche Shakespeare ist zumindest auch ein Werk von Schlegel und Tieck, von Erich Fried oder von Frank Günther, der deutsche „Ulysses“ zumindest ebenso ein Werk des mittlerweile revidierten Hans Wollschläger wie von James Joyce. Und die jüngsten deutschen Ausgaben der großen russischen Romane verdanken das Lob, das ihnen mit gutem Grund zuteil wurde, ihren „Mitautorinnen“ Rosemarie Tietze oder Vera Bischitzky. Michael Köhlmeier könnte Tolstoi oder Gončarov nacherzählen, in der epischen Breite, die sie mit den klassischen Sagen des Altertums teilen. Das wäre wohl sogar spannend und mit Gewissheit ein großer Erfolg. Worin aber die literarische Bedeutung von „Anna Karenina“ oder „Oblomov“ besteht, erfährt, wer sie in deutscher Sprache liest, erst durch die Anstrengungen von Rosemarie Tietze und Vera Bischitzky. Es geht eben nicht nur um die Emanzipation einer Frau oder das Schicksal eines faulen Adeligen. Der Inhaltismus, sprechen wir es aus, ist kunstfeindlich. Das lag ohne Zweifel nicht in Köhlmeiers Absicht, als er anfing, Sagen zu erzählen. Aber es passt in die Kultur- und Medien-Landschaft, wie sie sich seither entwickelt hat. Täglich werden Bücher gerügt, weil sich ein Rezensent oder ein Kommentar im Internet daran stört, wovon sie handeln. Wann haben Sie zuletzt gelesen, dass ein Buch besser ungedruckt geblieben wäre, weil es keine adäquate Form gefunden habe, weil es in einer erbärmlichen Sprache geschrieben wurde? Wenn nur kein verpönter Begriff vorkommt, kann es passieren.

Es bleibt zu befürchten: die Literatur im emphatischen Verständnis wird verschwinden wie die Gletscher und wie diverse Tierarten. Die Klimakatastrophe hat ihre Entsprechung im Bereich des menschlichen Verstands. Beide Katastrophen sind von Menschen hausgemacht. Vielleicht wird Michael Köhlmeier noch Gelegenheit haben, davon zu erzählen. Wie die Großmutter, die ihren Enkeln einst von Rübezahl erzählt hat. Es war einmal…

Letzte Änderung: 24.08.2022  |  Erstellt am: 24.08.2022

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Kommentare

Herbert Jaumann, Neunburg v. W. schreibt
Thomas Rothschild verdient größten Dank für seine deutliche Kritik am "Inhaltismus" im Umgang mit Literatur (und Kunst generell). Auch seine Befürchtung am Ende ist zwingend - und davon abgesehen, daß schon immer angebracht gewesen ist, benennt sie eine längst eingetretene Realität. Aber entschieden verstärkt wird die Berechtigung dieser Mahnungen und pessimistischen Befürchtungen noch dadurch, daß man eine solche eigentlich doch simple Kritik an einem aliterarischen und kunstfernen Umgang mit Literatur und Kunst überhaupt öffentlich vortragen muß! Deshalb doppelten Dank an Thomas Rothschild, daß er diese Aufgabe auf sich nimmt.
Therese Preisack schreibt
Herr Rothschild schreibt mir aus der Seele.

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