Oh Yeah!
In der Frankfurter Festhalle startete die Tour der Band YELLO, der danach Auftritte in Zürich, Hamburg, München, Wien, Stuttgart und Köln folgen werden. Die Pioniere des Elektro-Pop haben im fortgeschrittenen Alter ihre Bühnenängste abgelegt und – mit Ausnahme in New York 1983 und eines ersten, vier Mal ausverkauften Testlaufs in Berlin im vergangenen Jahr – noch nie gemeinsam auf der Bühne gestanden. Isa Bickmann war Zeugin ihres Frankfurter Auftritts.
Das Konzert beginnt rein instrumental mit dem Stück „Magma“ aus dem neuesten Album „Toy“ (2016). Es ist der Sound von Boris Blank, Tontüftler von Yello. In der das komplette Konzert übergroß begleitenden Videoprojektion sausen allerlei Küchengeräte, darunter eine Gugelhupfform oder ein Stabmixer, wie Raumschiffe durchs Bild und illustrieren, dass er nicht nur ein Tüftler, sondern vor allem ein Soundsammler ist. Dieter Meier schlurft sodann bejubelt vom Publikum auf die Bühne. Der inzwischen 72-Jährige beschreibt sich selbst als unstet und hat viele Professionen. Er ist Performance- und Konzeptkünstler, dazu 2011/2012 mit einer Einzelausstellung im Karlsruher ZKM und in der Sammlung Falckenberg in Hamburg geehrt, Farmer in Argentinien, Schriftsteller, Restaurantbesitzer, Berufspokerspieler. In der Musik wirkt er als professioneller Dilettant, der nicht singen kann, wie er stets selbstkritisch bekennt.
Der Track „Do it“, eine Aufmunterung für alle Lebenslagen, bedeutet für die Musiker, fast 40 Jahre nach ihrer Gründung, endlich live zu performen. Wobei das eher das falsche Wort ist, denn die Performance findet in der von Meier gestalteten Videoprojektion statt. Auf der Bühne selbst geht es eher ruhig zu: zur Rechten Meiers zwei statische Aufbauten von Schlaginstrumenten, hinter denen ein Perkussionist und der langjährige Schlagzeuger Beat Ash unauffällig hocken. Daneben ein Gitarrist, den man eigentlich erst am Ende des Konzerts wahrnimmt, als er vorgestellt wird und dazu ein kleines Solo spielt. Zwei Backgroundsängerinnen, die Dieter Meiers Sprech-Gesang unterstützen und versuchen, sich im Gleichklang zur Musik zu bewegen; zur Linken Meiers Boris Blank, sieben Jahre jünger als Meier, hinter seinem DJ-Pult, dann eine fünfköpfige Bläsergruppe, die ein wenig Dynamik ins Gesamtbild bringt. Meiers „Soundpictures“ schieben sich immer wieder in den Vordergrund, während er selbst nur ein wenig rhythmisch zuckt und sich Blank hinter der DJ-Kanzel verbarrikadiert hat. Die Videos sprechen eine mit Yello von Beginn an verbundene Bildsprache. Als Abfolge cartoonartiger Buster-Keaton-Gags voller Stop-Motion-Effekte, neue gepaart mit eigenen älteren Musikvideo-Schnipseln, sind sie der eigentliche Augenfang dieses zweistündigen Konzerts.
In punkig-forciertem Rhythmus geht es weiter in das 1981 veröffentlichte „The Evening’s Young“. Ist das tatsächlich 36 Jahre her?, mag sich mancher Zeitzeuge im Publikum fragen.
Mit „Limbo“ von der neuen Platte folgt ein erster Aufwecker, der an die alten Zeiten erinnert und das Zeug zu einem Ohrwurm hat. Jubel dann bei den einleitenden Klängen von „Bostich“ – ebenfalls 1981 veröffentlicht und Yellos erster großer Erfolg. „It’s just a rush, push, cash“ klingt hier in Frankfurt vertraut, wenn man es so verstehen will. Im Video dazu: Schraubenschlüssel, die sich gegenseitig leere Walnusshälften reichen.
Dann ein Schnitt, Meier tritt ab und überlässt der schönen Stimme von Malia die Bühne. Die Jazzsängerin bringt nun „The Rhythm Divine“, das Yello 1987 gemeinsam mit Billy McMackenzie von den Associates für Shirley Bassey geschrieben haben. Später singt Malia im Duett mit Meier „Starlight Scene“ von der neuen Platte. Eine weitere Sängerin, die Chinesin Fifi Rong, gibt dem Ganzen eine exzentrische Note. Ganz in Rot gekleidet singt sie mit „Kiss the Cloud“ und „Lost in Motion“ weitere zwei Titel von „Toy”. Das Video ist mit Asia-Touch und Kalligraphie-Darbietung ganz auf sie abgestimmt. Geishaartig, artifiziell geschminkt singt sie zu einem sanfteren Sound, was ein wenig an Moby erinnert, der mal über Yello sagte: „They looked like scary bankers“ und damit auf das äußere Erscheinungsbild abhob: gegelte Haare, Schnurrbärte und Halstücher.
In Erinnerung bleibt „The Time Tunnel“ von Boris Blanks sage und schreibe 40 Titel umfassenden „Electrified“-Album kombiniert mit dem furiosen Video des Basler Media-Künstlers Dirk Koy, der eine Kamera auf ein Autorad montierte – was an sich nichts Neues ist – aber dies so perfekt rhythmisiert hat, dass Bild und Ton eins werden. Nach der Hälfte des Films dreht sich die Perspektive, und nun sehen wir Radkappen rotieren. Man denkt unwillkürlich an die Live-Auftritte anderer Pioniere: Kraftwerks 3D-Videos, die untrennbar mit ihrer Musik verbunden sind und vor dem das Personal statisch agiert. Vielleicht hat deren Bühnenpräsenz der jüngsten Zeit auch in Dieter Meier und Boris Blank den Keim reifen lassen, in die Öffentlichkeit zu treten?
Ein Höhepunkt des gut zweistündigen Konzerts ist „Oh Yeah“. Es war international ein großer Hit, 1986 in den US-Charts und nun vom Publikum sehr erwünscht, gefolgt von dem zweifellos herausragendsten Stück der neuen Platte, „Blue Biscuit“. In der Ankündigung von „Si Señor The Hairy Grill”, ein Song von 1987, der übrigens in einer Miami-Vice-Episode zu hören war, schildert Meier als die „gloriose Zeit des Punk“. Da wird man ganz wehmütig und wünscht sich in die Achtziger zurück! So ist auch das Publikum zumeist zwischen fünfzig und sechzig, ein paar jüngere Gesichter hier und da in der mit einem Vorhang räumlich reduzieren Festhalle und etlichen freien Sitzplätzen. 4000 Besucher meldet das Management. Das ist jedoch sehr angenehm und passt zur Besuchergeneration, man ist ja schließlich in einem Alter, in dem man nicht mehr direkt vor der Bühne Pogo im Pulk tanzen möchte. Der Raum vor der Bühne war übrigens den teuersten Tickets vorbehalten und daher eigentlich auch nicht pogokompatibel.
Die Zugaben, drei an der Zahl, mussten nicht lange erklatscht werden. Zuerst führten Dieter Meier und Boris Blank „Yellofier“ vor, eine App, die für 3,49 Euro bei iTunes herunterzuladen ist. Mit diesem Taschen-Homestudio kann man aus allem Musik machen. Das wird eindrucksvoll und ungemein unterhaltsam live demonstriert. Und dann endlich das, auf das die jung gebliebenen Achtziger-Jahre-Kids gewartet haben: „Vicious Games“, Hit des Albums „Stella“ aus dem Jahre 1987, von dem auch „Oh Yeah“ stammt, und „The Race“ von 1988, mit dem in Vor-MTV-Zeiten „Formel Eins“, damals die einzige Musiksendung im deutschen Fernsehen, eingeleitet wurde. Weitere Zugaben wurden verlangt, aber nicht gewährt. Die Begründung der noch einmal auf der Bühne erscheinenden YELLO-Musiker nicht zu verstehen, denn die Mikros waren schon abgeschaltet. So viel Spontaneität der Künstler geht dann doch nicht heutzutage.
Letzte Änderung: 30.08.2021
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