Es waren einmal 3 Pussy Kisses

Es waren einmal 3 Pussy Kisses

EIN TAG UND EINE PLATTE DER FRANKFURTER SZENE IN DEN NEUNZIGERN
Vorderseite des Covers der Single „3 Pussy Kisses“; v. li. n. re.: BA, AW, AC | © Adorján Kovács

Zwischen Kunst, Krach und Körperpolitik: Adorján Kovács erinnert sich an einen Tag im Frankfurt der Neunziger – an „ars erotica“, Go-go-Girls im Käfig und die furioseste Girlband der Stadt: 3 Pussy Kisses. Eine Wiederentdeckung zwischen Punk-Provokation, Trash-Poesie und dem leisen Nachhall einer untergegangenen Szene.

I. Der Tag

Deutschland hatte seinen „Wiedervereinigung“ genannten Anschluss der DDR an die BRD gerade einige Jahre hinter sich. Auf manchen Drucksachen, wie zum Beispiel Plattencovern von Doggybag Records in Offenbach, stand aber immer noch West-Germany als Herkunftsland. Popmusikalisch goldene Zeiten – und wie wir heute wissen: unwiederbringliche. Die großen Plattenfirmen hatten schon seit Mitte der 80er begonnen, die künstlerische Kontrolle zu übernehmen und jeden kreativen Wildwuchs in Nischen zu verdrängen. Zwar wurden noch echte Bands wie „Portishead“ oder „Garbage“ Anfang der 90er gegründet, aber es war schon Nischenmusik. Independent, wie es beschönigend hieß. Die Zeit vorherrschender Stile ging vorbei, alles zersplitterte sich, auch die Gesellschaft zerfiel in winzige Käufersegmente. Aber es gibt immer noch die kleinen Fluchten, auch wenn sie in der Obskurität verbleiben. Wagen wir einen Blick zurück: Es war einmal vor 30 Jahren…

Flyer der Installation „nightclub“ im Café Eckstein | © Foto: Adorján Kovács

Am Himmelfahrtstag 1995 war ich zum Eisessen in Bad Homburg und traf dort ein paar Kollegen aus der Chirurgie; wieder zurück in Frankfurt rief mich Andrea an, die über das Ballett Kontakte zur Kunstszene hatte. Sie wusste daher, dass Juli, unsere leicht exzentrische frühere Mitbewohnerin des Jügel-Wohnheims, im Rahmen eines Kunstspektakels im Eckstein als Go-go-Girl in einem Käfig tanzen würde – mussten wir einfach sehen! Das Ganze war von W E Baumann, alte Städelschule, als Installation organisiert, nannte sich ars erotica, veranstaltet vom Künstlerhaus Mousonturm. In Frankfurt war also richtig viel los.
Zuerst sind wir aber in den Mousonturm bei Andrea um die Ecke. War ja quasi das Zentrum des Festivals. Überraschung: Juli war dort in Farbe lebensgroß und splitternackt ruhig aufrechtstehend in einem Endlos-Video zu sehen, auf mann- oder besser frauhoch übereinandergetürmten Monitoren, wie bei Marie-Jo Lafontaine. Videosachen waren gerade angesagt. Ich kannte Juli ja nun vom Wohnheim her, angezogen, und war doch leicht befremdet. Na gut, im Eckstein fand sie sich dann tatsächlich live in einem Käfig neben dem Eingang am Fenster, mit etwas mehr an, raubtierartige Bewegungen ausführend (oder sich meinetwegen „ekstatisch schüttelnd und rüttelnd“, wie die „FAZ“ formulierte). Etwas weird, gehörte aber alles irgendwie über die Erotik zusammen.
Natürlich mäkelte die Miesmacherin „FAZ“ kopflastig an dem Spaß wieder ein bisschen herum: Was ist denn an leckerem Wackelpudding auszusetzen?

Ausriss aus der „FAZ“ Mai 1995 | © Foto: Adorján Kovács

Das Café Eckstein war in einen Nachtclub verwandelt worden. Eine Art Ausstellung. Die Karte sah entsprechend aus – Frank Zappa hätte nur trocken kommentiert: „Titties ‘n‘ Beer“.

Getränkekarte des Cafés Eckstein während der Installation I | © Foto: Adorján Kovács
Getränkekarte des Cafés Eckstein während der Installation II | © Foto: Adorján Kovács

Sollte wohl mehr oder weniger kritisch sein, zum Nachdenken anregen wegen Sexarbeit oder so. Da hatte der „FAZ“-Heini wohl recht. An diesem Abend bediente der Rektor der Städelschule Kasper König an der Bar, passend, denn er stand, wie ich heute vermute, zur Band des Abends wie weiland Warhol zu Velvet Underground.

Aus dem Keller drang Musik. Der Laden war brechend voll, ich ging die Treppe runter und postierte mich (das erste Erinnerungs-Dia in meinem Kopf für diesen Abend) auf der linken, schlagzeugnahen Seite des Trios, das aus drei jungen Frauen bestand, in klassischer Besetzung –. E-Gitarre und Lead-Gesang, E-Bass, Schlagzeug. Und erst der Name: total genial! „3 Pussy Kisses“. Leider vorher nie gehört. Sie spielten irgendwas zwischen Punk-, Garage- und Trash-Rock, laute, scheppernde, ganz kurze Songs von etwa einer Minute Länge, so wie es sein muss, sonst isses nix. Mein damaliger erster Eindruck: Zwei, drei Akkorde, gern auch dissonant, primitivste Rhythmen, bester Dilettantismus pur. Do it yourself: Das muss man erst einmal bringen. Großes Vergnügen!

„3 Pussy Kisses“ 1994; v. li. n. re.: Andrea Wünsche (dr, voc), Anja Czioska (g, voc), Birgit Adolf (b, voc) | © Foto: 3 Pussy Kisses, Foto: Jo Jankowski

In Londoner Clubs hatte ich schon Liveauftritte von Bands aus allernächster Nähe sehen und hören können – eine ganz eigene Erfahrung. Es gab da mal die Atmosphäre eines Privatkonzerts für Freunde, mit Bierchen und ‘nem Schwatz mit den Künstlern, und es gab mal den Kampf um Anerkennung, die Musiker im Bewährungsstress, das Publikum blasiert, hautnahe Kälte, der Beifall klapp klapp klapp und Schluss. Im Eckstein war’s eher ein großes Staunen. Ein Kollege aus der Zahnklinik stand mir gegenüber auf der anderen Seite an eine Säule gelehnt, sah mich an und schüttelte immer wieder nur ungläubig, ja, fassungslos den Kopf (zweites Erinnerungs-Dia). Ich hatte so etwas auch noch nie gehört. Pussy Pop Trash eben.

Die Mädels – ich darf die Musikerinnen einer Girl Group so nennen – wirkten entsprechend trotzig, so kam es mir vor; die Durchsagen der Lead-Sängerin und Gitarristin etwas verstockt, genervt, als fühle sie sich nicht ganz wohl in ihrer Haut (drittes Erinnerungs-Dia). Die Gesichter und Gitarren sehe ich vor mir, das Outfit leider nicht. Gibt es Fotos vom Auftritt? Atemberaubend fand ich aber die blonde Schlagzeugerin in meiner Nähe, Gott verzeihe mir bekennendem Sexisten. Sie trug nur so etwas wie ein verschwitztes Schiesser-Männerunterhemd (viertes Erinnerungs-Dia), unter dem ihre Brüste beim Trommeln hüpften und bebten. Ich musste an die Zeile der „Talking Heads“ denken, aus „The Great Curve“: World moves on a woman’s hips / World moves and it swivels and bops“. Manchmal bewegt sich die Welt auch zum Wippen eines Busens. Nicht umsonst schließlich hieß das Spektakel ars erotica. So passte also auch dies.

Auftritt beim Sommerfest der Kunstakademie Städelschule Juli 1994; v. li. n. re.: AC, AW, BA | © Foto: 3 Pussy Kisses

In seiner Multimedialität als Teil einer Installation zum Erotikbegriff, in seiner unwirklichen Naivität gegenüber einer durchprofessionalisierten Welt habe ich den Auftritt nie vergessen; er hat einen tiefen Eindruck bei mir hinterlassen, weil er etwas im wahrsten Sinne Uner-hörtes bot. Kurz vorher der beherrschten Perfektion von Midori und Kiri Te Kanawa in der Alten Oper gelauscht zu haben ist das eine, das andere ist Reduktion, Spaß und Ausbruch.

II. Die Platte

Meine Plattensammlung umfasst sehr viele Pop-Stile, bis hin zu eher schlichtem Metal wie „Napalm Death“, aber jetzt – jetzt, nach 30 Jahren! – habe ich im Netz bei Discogs endlich die wohl einzige Platte der Gruppe, aufgenommen im Jahre des Herrn 1992, gefunden und aus Holland bestellt. Mit sechs Songs! Eine Single! Habe am Plattenspieler schon lange nicht mehr 45 UpM eingestellt! Das aufregende Knistern! Der satte Sound einer Platte!

Vorderseite des Covers der Single „3 Pussy Kisses“; v. li. n. re.: BA, AW, AC | © Foto: Adorján Kovács
Label der B-Seite der Single „3 Pussy Kisses“; v. li. n. re.: AC, AW, BA | © Foto: Adorján Kovács

Schon die Fotos auf dem Label und dem Cover sind trashig gemacht, entweder überbelichtet oder unscharf. Leider hat ein ziemlich herzloser Produzent, der auf den Namen Quintus Kannegiesser hört, auch noch gemeint, als eine Art Rahmenhandlung einen fiktiven Radiosprecher mit dem Pseudonym Sal Soul in die Songs hineinplappern zu lassen, in ziemlich fragwürdigem Englisch. Aber es ist doch genug da, um sich ein Bild von der Gruppe machen zu können, denn „Werkcharakter“ hat nur die auf Platte geronnene Musik. Ein Bild auch von ihren englischen Texten, an die ich mich nicht mehr erinnern konnte.

Denn offenbar kann Ikkimel („die größte Fotze der Stadt“) einpacken. „Pussystomp“ scheint bereits genau jenen ironischen „feministischen Sexismus“ zu bringen, für den Ikkimel heute so gelobt oder kritisiert wird. Nihil novi sub sole, wie der Prediger Salomo sagt. Gleich am Anfang erzählt der Radiosprecher zur Einstimmung auch schon was von „shake your dick, turn your pussy inside out“ und halluziniert von „censorship”, deren Regeln er jetzt breche mit dem Abspielen der Platte. Obszöne Sprache war schon 1992 nur ein scheinbares Tabu, dessen Übertretung im Bereich der Kunst lediglich Gratismut erforderte. Ob es zur „Befreiung“ beiträgt, wenn Frauen die Männer nachmachen. sei auch bei Ikkimel (wie überhaupt) dahingestellt. Sie hat Sprachwissenschaften studiert, auch unser Trio tut nur so, als sei es naiv.

Bei der Beurteilung von Popmusik ist mir Karlheinz Stockhausen mit seinem „Zeit“-Artikel „Schlagsahne, Irrengesang, Kirmesgeister“ von 1997, in dem er Krautrock „getestet“ hat, immer ein Vorbild geblieben, weil er Pop musikalisch ernstgenommen und sich entsprechend sachbezogen ausgedrückt hat; Werturteile führe ich aber nicht gesondert und nach „interessant“ / „nicht interessant“ getrennt auf wie er, sondern sie ergeben sich aus dem Text. Also Metronom her, Kopfhörer auf und Stoppuhr in die Hand! Los geht’s!

Auf der A-Seite („this side“) fängt „Pussystomp“ (2 Minuten 2 Sekunden) eingefädelt mit dem Riff des berühmten Songs „Peter Gunn“ an – gespielt und nicht gesampelt! –, über dem die Aufforderung „Let’s do the Pussystomp, aha, oh yeah!” leicht variiert, im Verlauf auch mehrfach chorisch, gesungen wird. Im Bass bleibt das „Peter Gunn“-Motiv durchgehend stabil. Ein Mittel-Abschnitt enthält nach dem Ausruf: „One, two, three pussy kisses for you!“ rhythmischen Sprechgesang der Drei; man könnte es entfernt „Rappen“ nennen: „Pussy eat that pussy shit / Pussy fuck your fucking dick / Pussy fuck you til you cry / Pussy come and say good-bye“. Dann spielt die ohnehin um einen Viertelton verstimmte Gitarre leicht disharmonische Akkorde und, nach einem pseudoextatischen „Yeah!“ der Lead-Sängerin, auch eine Art Solo, bevor wieder das Riff in den Vordergrund kommt, das dann langsam ausgeblendet wird.

Das hier nun eingeblendete Telefonat von Sal Soul mit einem sich über das Stück beschwerenden fiktiven Zuhörer ist von heute aus aber dermaßen retro, denn am Ende hört man das Geräusch, wie der Telefonhörer aufgelegt wird – kein Millenial weiß mehr, was das überhaupt ist. The times they are a-changin’.
Das folgende, wie ein Kinderlied oder spieldosenartig anmutende und bisweilen bezaubernd falsch gesungene „Sweet Little Rock‘n‘Roller“ wird mit zwei Drumstickschlägen eröffnet, dauert exakt eine Minute und besteht aus einer 7-mal wiederholten, auf vier Tönen beruhenden Akkordfolge, bevor das Stück mit einer Schlussformel endet. Das Stück hat durchaus Ohrwurmcharakter.

Das nächste Lied „Oh Carol“ ist ein Coversong des britischen Multimedia-Künstlers Sexton Ming und mit 40 Sekunden noch kürzer. Näher an die Ein-Ton-Musik der Feuerländer kann man kaum kommen. Ein einziges Riff aus zwei Tönen (große Sekunde abwärts und hinauf) wird 10-mal wiederholt, die Wiederholung fällt aber durch Einwürfe des Sprechgesangs oder der Gitarre in den Riff-Pausen – angenehm irritierend – immer wieder aus dem Rhythmus. Das Lied überrascht ferner durch einen trockenen Gitarren-Sound, die Arbeit der Anschlagshand ist unmittelbar körperlich zu spüren. Der vorbildlich rudimentäre Liedtext skizziert ein Eifersuchtsdrama mit stutenbissiger Auflösung: „Oh Carol, you´re such a fool / You take my boyfriend / Next time I beat you / That´s true.“

Auf der B-Seite („that side“) folgen geradezu epische Werke. „Lucky Star“ (80 Sekunden lang!) geht vom „Oh Carol“-Intervall aus und hat die klassische Form solistisch gesungenes Couplet – chorisch gesungener Refrain. Bei der schrammenden Gitarre und der unpersönlich wirkenden Melodieführung, die auch hier nicht über den Ambitus einer Quarte hinausgeht, kommt ein Punk-Feeling auf. Trotzdem oder deshalb vielleicht der konventionellste Song der Platte: so etwas wie ein richtiges Lied.

Der nächste Song „Baby Baby“ ist die vergleichsweise schleppend gehaltene Quasi-Ballade der Platte und 97 Sekunden lang. Sie beginnt mit erotisch gehauchten „Ah“s, die mit den Worten „Baby Baby“ zusammen den Refrain bilden, sodass die umgekehrte Form wie bei „Lucky Star“ entsteht (Refrain – Couplet), die dann in Kakophonie und der quengelnde Girlie-Gesang in ein Kreischen sowie der Chor in allgemeines Stöhnen mündet.
Das letzte, hektisch getriebene Stück „Hot Love“ dauert mit Fade out unglaubliche 2 Minuten und 19 Sekunden. „Hot love makes me crazy / Hot love makes me fine / Hot love every day / Uh, and every night.“ Es hat die Besonderheit, dass sich Couplet und Refrain melodisch nicht, wohl aber im federnden Drive des Refrains unterscheiden, der besonders durch das Schlagzeug erzielt wird – eine kleine musikalische Delikatesse, fast schon zu subtil für Trash. Am Ende quatscht wieder Sal Soul in den Song hinein und empfiehlt die, wie er sagt, neue Gruppe dem Hörer zur Beachtung: Die „3 Pussy Kisses“ spielten da gerade mal ein paar Wochen zusammen.

Abschließend noch einige allgemeinere Bemerkungen: Das Tempo ist dem Stil entsprechend konsequent Allegro (moderato), in einem engen Bereich so zwischen Metronom 116 („Oh Carol“) und 131 BpM („Lucky Star“, „Hot Love“). Der Gesang ist fast durchgehend bewusst kleinmädchenhaft-kindlich gehalten, er und auch die Background-Vocals der beiden Mitspielerinnen („huhu“) zeugen von einer gesunden Portion Humor, wie überhaupt ein parodistisch-selbstironisches Element die ganze Platte auszuzeichnen scheint. Die Basslinien werden meist parallel geführt. Das Schlagzeug betont streng gleichmäßig die Schlagzeiten ohne irgendwelche Verzierungen bei seltenem Gebrauch der Becken. Außer „Oh Carol“ (und dem „Peter Gunn“-Riff, das von Henry Mancini stammt) sind alle Stücke von den „3 Pussy Kisses“ geschrieben worden.

Gesamteindruck: Bei aller bewussten, schon beschriebenen holpernden Trashigkeit der musikalischen Darbietung in praktisch allen Parametern, deren Analyst nicht darüber spekuliert, inwieweit hier aus der Not eine Tugend gemacht wurde, sondern sich streng an das hält, was man hört, zeigt sich ein künstlerischer Formwille der Band eben doch darin, dass alle sechs Songs unterschiedlich gebaut sind. In den 1980ern, zu denen die ersten Jahre des neuen Jahrzehnts noch gezählt werden können, „wirken Riffs [zudem] formgebend“, wie Bernward Halbscheffel im „Sachlexikon Rockmusik“ schrieb – „3 Pussy Kisses“ sind hier auf Höhe der Zeit. Von zeitgleichen Stilen wie Tekkno, Acid House, Hip Hop und dergleichen ist die handgemachte Musik des Trios allerdings so gut wie unbeleckt, Trash Pop ist wohl eine korrekte Bezeichnung, denn der Duden definiert Trash als „Richtung in Musik, Literatur und Film, für die bewusst banal, trivial oder primitiv wirkende Inhalte und eine billige Machart typisch sind“. Für das Label Trash Rock sind die Stücke der „3 Pussy Kisses“ denn doch zu wenig aggressiv und immer noch zu lang, denkt man zum Beispiel an die „Stormtroopers of Death“, deren Stücke wie zum Beispiel „Diamonds and Rust“ absurde 4 Sekunden kurz sein können.

Rückseite des Covers der Single „3 Pussy Kisses“ | © Foto: Adorján Kovács

III. Die Band

Der ars erotica -Auftritt war nicht der letzte der Band. Die Gitarristin (Städelschülerin) machte Experimentalfilme, die Bassistin (Kunsthistorikerin) ging erst zum Film und dann ins Office Management, die Schlagzeugerin (Sozialwissenschaftlerin) wurde Booking-Agentin mit eigener Firma; trotzdem spielten die Drei noch mehrere Jahre zusammen: „Man macht immer alles gleichzeitig!“ (Anja Czioska). Im Netz finden sich (bisher) nur Erwähnungen von Auftritten im Club Maxim und in der Riz Bar, auch existiert auf YouTube ein verwackelter Clip aus der Lolita Bar in Kassel mit einem 40 Sekunden langen Lied, das die Schlagzeugerin singt und einen guten Eindruck von der Atmo einer bandtypischen Darbietung gibt, aber natürlich gab es zwischen 1991 und 1995 viel mehr davon – das Wort von den „Queens“ der „legendären Frankfurter Girl Group“ wäre sonst kaum entstanden. Genannt seien weitere Gigs in den Frankfurter Clubs Intimbar, Cooky´s und Negativ, der Krone in Darmstadt, auch deutschlandweit bis nach Berlin und Hamburg auf Tour zusammen mit anderen Bands.
Hatte ich nicht Warhol und Velvet Underground erwähnt? Kasper König wusste, was er an den „3 Pussy Kisses“ hatte. Sie spielten oft im Kunstkontext, so in der Städelschule, 1996 im Fotografie Forum zur Eröffnung der „Barbie“-Ausstellung und bei Matthias Beltz in dessen TAT-Montagabendgesellschaft im Bockenheimer Depot, bei einer Jim Avignon-Vernissage wieder in dessen ehemaligem „Wohnzimmer“ Eckstein, 1998 im Büro Friedrich in Berlin (organisiert von Waling Boers), 2000 in Pescara beim Fuori Uso-Projekt „The Bridges: Art on The Highway / arte in autostrada“ und 2001 in der Schirn Kunsthalle zur Ausstellung „Frankfurter Kreuz – Transformationen des Alltäglichen in der zeitgenössischen Kunst“. Die „3 Pussy Kisses“ wurden so selbst zu dem multimedialen Kunstwerk, das ich am Himmelfahrtstag 1995 gesehen und gehört habe.

***

Am Tag nach Himmelfahrt ging ich mit Carlos, dem Brasilianer, den ich aus dem Bockenheimer Heck-Meck kannte, in den Club Sky-Tower oben im „Ginnheimer Spargel“. Anstehen bei den Aufzügen, die einen dann so schnell hochfuhren, dass einem der Kreislauf in den Keller sackte. In der Kanzel die Disco (plus ein Drehrestaurant) mit einem spektakulären Rundum-Ausblick. Alles zwei Jahre später kaputt wegen staatlicher Reglementierung. Auch der Club Maxim, den ich wegen seines wilden Genre-Mix mochte, schloss im selben Jahr, die Intimbar, das Riz und das Negativ hatten schon zu. Die Jüngeren wollten freilich auch was anderes, die „Loveparade“ legte gerade richtig los, aber auch sie ist mittlerweile passé. Heck-Meck und Eckstein haben lange durchgehalten; ihnen brachen schließlich die Corona-Maßnahmen das Genick, und Ersatz auch anderen Typs gibt es nicht. Das gehypte Ostend ist steril. „Die Clubszene klagt über schlechte Umsätze“ („FAZ“). Auflagen, Auflagen – Freiheit wird bekanntlich überschätzt. Alles zu riskant. Von ars erotica gar nicht zu reden im Neo-Puritanismus. Ich schrieb es schon: Unwiederbringliche Zeiten. – –

„3 Pussy Kisses“ heute; v. li. n. re.: AW, BA, AC | © Foto: 3 Pussy Kisses

Und da sie nicht gestorben sind, so leben sie noch heute.

ENDE

Letzte Änderung: 07.11.2025  |  Erstellt am: 07.11.2025

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