Das literarisch vielfältige sizilianische Online-Magazin „Il cucchiaio nell‘orecchio“, was sich übersetzen lässt als „Löffel im Ohr“, herausgegeben von Gaetano Altopiano, gibt wie auch das Faust Kultur Magazin sowohl jungen aufstrebenden Schreibenden als auch etablierten literarischen Stimmen eine Plattform. Faust Kultur freut sich, die hochwertigen Texte im italienischen Original erstmals mit deutscher Übersetzung einer breiteren Leserschaft zugänglich zu machen.
Marine'sche Pastorale
In einem von Miss Marineos Schuhen, in einer Epithelzelle, leben meine Vorfahren. Unter dem Mikroskop sieht man ein Haus, im Nirgendwo gelegen, und man ist gerade dabei, zu Abend zu essen. Zoomen wir hinein, sehen wir inmitten der Lymphozyten meines Ururgroßvaters eine Sozialwohnung, darin ein Mann, der auf seine nackten Füße blickt: der Vater meines Vaters. In einem seiner Schuhe, zwischen den weißen Blutkörperchen, sitzt mein Vater. In einer seiner Socken, im Mitochondrium einer dendritischen Zelle, stecken weder ich noch einer meiner Brüder, wie man erwarten könnte. Nur ein weiterer Stern ist es, der, nachdem er sein Milliardstel erreicht hat, erloschen ist. Wir sind mit der Vernichtung unseres Lebens beschäftigt: Daran laborieren wir von Geburt an. Knochen kochen, Zähne, Knorpel und unablässig Glukose zuführen. Zur Analyse erscheine ich faktisch mit der Hälfte meiner Schneidezähne. Man zählt zwei Füllungen. Rheumatoide und keloide Arthritis am Wangenknochen. Der Pathologe seziert und zieht einen Hautfetzen heraus: Da sind meine Hosen zum Bügeln, darunter zwei Hemden, ein Deka tunesische Datteln. Und die Seelen von neunhundert Hausfrauen, die Schlange stehen, um in den Himmel zu kommen.
Aus dem Italienischen von Elvira M. Gross
Pastorale Marinese
In una delle scarpe di miss Marineo, dentro una cellula epiteliale, vivono i miei antenati. Al microscopio si vede una villetta situata in nessun posto, e loro intenti a cenare. In mezzo ai linfociti del trisavolo, ingrandendo, si vede un alloggio popolare con dentro un uomo che guarda i propri piedi nudi: il padre di mio padre. Dentro una delle sue scarpe, tra i globuli bianchi, sta seduto mio padre. In una delle sue calze, nel mitocondrio di una cellula dendritica, non ci sono io, né nessun altro dei miei fratelli, come ci si potrebbe aspettare. È solo un’altra stella che, compiuto il miliardesimo, si è spenta. Noi siamo alle prese con l’annientamento delle nostre vite: ci lavoriamo dalla nascita. Cottura di ossa, denti, cartilagini, e immissioni costanti di glucosio. All’analisi spunto con metà degli incisivi, infatti. Si contano due otturazioni. Artrite reumatoide e cheloide rilevata sullo zigomo. L’anatomopatologo seziona, tira un lembo di pelle: ci sono i miei pantaloni da stirare, sotto, due camicie, un etto di datteri tunisini. E le anime di novecento casalinghe, in fila per entrare in paradiso.
Letzte Änderung: 13.11.2024 | Erstellt am: 22.10.2024
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