Lisa Kreißler: Mein Sexy Millionär geht im Urlaub zugrunde
Nachdem ich das Rohr ausgewechselt und die Verkleidung, die es unsichtbar machte, wieder mit Silikon verschlossen hatte, schob der Millionär seinen Kopf ins Badezimmer. „Möchten Sie noch was trinken?“
Ich packte mein Werkzeug ein und folgte ihm in die Küche. Der Millionär bot mir Limonade an. „Konnten Sie den Schaden denn beheben?“ Seine Augen, hinter der randlosen Brille waren freundlich und aufmerksam. „War nur ‘ne Kleinigkeit.“ Der Sprudel in der Limonade trieb mir Tränen in die Augen. „Heftig“, sagte ich.
„Ja, sehr heftig“, sagte der Millionär. „Es ist meine Lieblingslimonade. Nur aus sizilianischen Zitronen.“ Ich nahm noch einen Schluck. Die Tränen, stellte ich fest, kamen gar nicht von der Kohlensäure.
„Sie schmecken unglücklich“, sagte ich.
Der Millionär umschloss mit der Hand meinen gewaltigen Bizeps.
„Wer?“, fragte er besorgt.
„Die Zitronen. Ihre gesamte Existenz zielt nur darauf ab, gut zu schmecken.“
„Das ist nicht schön.“
„Nein, das ist nicht schön.“
Der Millionär trug kein Parfüm. „So etwas können Sie schmecken?“, fragte er und legte seine Hände auf meinen Po.
Ich nahm die alte Rohrzange, die ich seit meiner Ausbildung immer bei mir trug aus meiner Hosentasche und legte sie vorsichtig auf den gläsernen Küchentresen. Beide betrachteten wir das feste stählerne Objekt. Dankbar erinnerte ich mich an die guten Dienste, die es mir in den letzten 17 Jahren erwiesen hatte. Was der Millionär dachte, konnte ich nur ahnen.
Am nächsten Tag holte er mich nach Dienstschluss in der Klempnerei ab. Meinen Kolleginnen stach sein Sex-Appeal sofort ins Auge. Sie lehnten sich in ihren engen Arbeitshosen an Wände und Türrahmen, schwangen Hämmer, Schlagbohrmaschinen und prahlten mit ihrem Fachwissen:
„Der Trend geht dahin, Waschbecken durch bloße Eimer zu ersetzen. Hast du einen Brunnen auf deinem Grundstück?“
„Eine kalte Dusche im Freien macht Heizinnovationen obsolet. Praktizier das einen Winter lang. Du wirst nie wieder frieren.“
„In diesem Kübel kannst du all deine Ausscheidungen problemlos kompostieren. Damit fallen bald auch die Toiletten weg.“
„Wenn du möchtest, bauen wir dir einen Bretterschuppen in den Garten, reduziert auf das Wesentliche.“
„Und was mache ich dann mit meinem Haus?“
„Stell‘ es dem Staatstheater zur Verfügung, oder nein, nutz‘ es als Galerie. Dein Haus ist sicher lichtdurchflutet.“
Das Lachen meines Millionärs wogte halb ironisch, halb naiv durch unsere Lagerhalle. Ich band meine Haare zusammen und griff nach dem Schlüssel für meinen Caddy.
„Du bist so ursprünglich“, sagte mein Millionär, als wir, wenig später, nackt in meinem Caddy aufeinandersaßen. Er tauchte seine Nase in meine Achselhaare. Ich beobachtete seine zarten Rippen, die, immer, wenn er einatmete, unter seiner Haut hervortraten. Auch ich hatte das Bedürfnis, ihm zu sagen, was er war, aber ich kam auf kein treffendes Wort. Der Millionär war soft, hingebungsvoll, illuminiert, möglich. Ich sagte: „Du möchtest mich verwöhnen, das sehe ich. Aber ich muss dich warnen: Was immer Fine Dining bedeutet, es könnte sein, dass es mich niederschmettert.“
Das Restaurant entsprach meinen dunklen Vorahnungen. Durch Flächen aus Beton führte uns der Kellner zu einem Tisch, auf dem blitzende Messer und kaltes Porzellan an Operationsbesteck erinnerten. An den anderen Tischen saßen beige gekleidete Gäste. Sie spießten Fleischpralinen von ihren Tellern auf und nippten an leeren Weingläsern. Sie schluckten ohne ein Geräusch.
„Du lebst unter deinen Möglichkeiten“, sagte ich zu meinem Millionär. „So etwas hast du gar nicht nötig.“
„Warte ab, bis du das Essen probiert hast“, sagte er grinsend. Seine Schneidezähne ragten weit aus seinem Mund hervor.
„Ich mag Überraschendes“, sagte ich, etwas leiser, „aber in diesem Restaurant sind Improvisationen nicht willkommen.“
„Hast du die Blicke der anderen gesehen? Alle beneiden dich um deine Arbeitshose!“
„Mir ist kalt.“
„Entschuldigung! Könnten Sie meiner Freundin einen Tee bringen?“
Der Kellner erschauderte. „Ein Tee ist in unserem Menü nicht vorgesehen. Wir wissen, was Ihnen schmeckt.“
Mein Millionär nickte zerrissen.
Ich griff nach seiner Hand. Wir verließen das Restaurant in Slow-Motion. Unsere Schritte erzeugten Gläserklirren. Mein Millionär zog das T-Shirt aus und ließ es auf den Boden gleiten. Sein magerer Oberkörper entblößte den Hunger in den Augen der Gäste.
„Ich freue mich darauf, wenn gleich der Wind an mir entlangstreicht“, sagte mein Millionär.
Mondlicht wässerte die Beete in meiner Gartenparzelle. Ich zog ein Radieschen aus der Erde und reichte es dem hockenden Millionär.
„Iss es ganz! Vom Faden bis zum letzten Grün.“
Freudig schlug er seine Schneidezähne in das pralle, feuchte, erdummantelte Bällchen. Sein Atem wurde scharf. Er erhob sich aus der Hocke.
„Das ist ja der Hammer!“, sagte er. Niemand hatte mich mit einfachen Sätzen je so glücklich gemacht wie der Millionär.
In dieser Nacht legte ich ihm mindestens 12 Wildkräuter auf die Zunge. Er schluckte sie alle.
„Diese Erfahrung“, sagte er, „soll größer werden.“
„Bist du dir sicher?“ fragte ich.
„Auf jeden Fall!“
„In den Dimensionen, in denen ich unterwegs bin, herrschen unvorhersehbare Zustände. Das Leben ist tiefer, aber auch risikoreicher. Jederzeit besteht die Gefahr, ganz plötzlich, ausgeschaltet zu werden.“
Das Gesicht des Millionärs begann zu leuchten. „Genau das will ich“, hauchte er und öffnete den Reißverschluss meiner Arbeitshose.
Hätte ich ihn eindringlicher warnen sollen, wo ich doch sah, wie geblendet er war von seinem Erstkontakt mit dem Ursprung? Im Nachhinein denke ich: ja. Aber damals, als wir in meiner Gartenparzelle die lustigste Nacht miteinander verbrachten, traute ich meinem Millionär einfach alles zu.
So weit das Auge reichte, skizzierten Bleistiftstriche, was einmal Wald gewesen war. Der Anblick ging mir wie ein Pfeil in die Brust.
Auf dem Parkplatz der Talsperre wurden E-Bikes von den Autos geladen, ganze Familien schnürten sich, den Fuß auf dem geöffneten Kofferraum abgestützt, die Wanderstiefel. Diejenigen, die ihre Erholungseinheit bereits hinter sich hatten, lagen nach Luft ringend in den Schatten ihrer Autos. Ihre Repair-Brillen waren leicht verrutscht. Ich trug keine solche Brille, und auch mein Millionär wollte auf das Nutzen jeglicher Illusion für die Dauer unseres Wanderurlaubs verzichten.
„Hier fehlt doch was“, sagte er. „Die Landschaft kommt mir bekannt vor, aber es gelingt mir nicht, sie in Einklang zu bringen mit meinem Bildergedächtnis.“
„Wo machst du denn normalerweise Urlaub?“ Er trug einen Safari-Hut. Blitzsaubere Karabiner baumelten an seinen Shorts.
„Na, in der Millionärs-Bubble halt.“
„Willst du den nicht hierlassen?“ Ich deutete auf den Aktenkoffer in seiner Hand.
„Vielleicht können wir ihn abwechselnd tragen? Seine Last ist mir wichtig.“
Ich nahm dem Millionär den Koffer ab. Es lag ein gewisser Reiz darin, so geschäftsmännisch unterwegs zu sein.
Während des ersten Abschnitts unserer Wanderung blieb der Millionär oft an verwitterten Infotafeln stehen. Er trat dicht an die kleinen Texte über Friedfische heran, die Hände an den Trägern seines Rucksacks. Ein Verbotsschild für Drohnen zog ihn völlig in seinen Bann. Er murmelte: „Bitte, mach, dass ich alsbald eine echte Drohne in dieser Kulisse erblicke! Amen!“ Ich schob einen hellgrünen Fichtentrieb zwischen seine verkrampften Lippen. Er war kaum in der Lage dazu, mit mir Schritt zu halten.
„Wie schaffst du es, diese Trostlosigkeit zu akzeptieren?“, fragte er und ließ den Blick schweifen.
„Der Unterschied zwischen uns ist einfach:“, antwortete ich. „Ich will, was da ist. Du willst, was nicht da ist.“
„Was ist das nur für eine Existenzgrundlage?“ Er sackte in sich zusammen.
„Ich will dich nicht verändern.“
„Aber ich, ich möchte mich verändern.“
Es gelang mir nur mit Mühe, ihn zum Sex zu überreden. Brombeerranken verhakten sich in meinem Hintern, Ameisen erforschten unsere halbentblößten Körper, die Stimmen anderer Wanderer besprachen sich nicht weit von uns. Jede Berührung des Millionärs elektrisierte mich. Er verwöhnte mich mit ängstlichen Händen. „Du musst das nicht tun“, flüsterte ich. Verbissen schüttelte er den Kopf.
Gegen Abend stießen wir auf eine Baustelle. Wir betraten den Anfang einer Straße. Als würde sich nach wochenlanger Reise endlich das Meer vor ihm auftun, entfuhr meinem Millionär ein Seufzer. Er knotete sich ein Stück Absperrband um den Hals. Einen seiner Karabiner hakte er sogleich in die Öse der Teermaschine.
Unser Nachtlager schlugen wir weit voneinander entfernt auf. Ich bettete mich umsponnen von Fasern im Gebüsch. Der Millionär klebte, trocken wie ein toter Salamander, am Asphalt. „Ich wünschte, ich könnte dir näher kommen“, sagte er, „aber es geht gerade nicht.“
Als ich erwachte, war nur noch sein Aktenkoffer da.
Ich rief nach ihm, aber meine Stimme erzeugte kein Echo und keinen Hall.
Der Millionär stand mit dem Rücken zu mir, unweit der Baustelle. Möglicherweise dachte er, dass die kniehohen Jungpflanzen ihn unsichtbar machen würden. Möglicherweise dachte er auch schon gar nichts mehr. Er hatte ein Handy im Wald gefunden.
„Das ist so wohltuend“, wisperte er.
Risse bildeten sich in den Wohnlandschaften anderer Millionäre, die er betrachtete. Violett glänzende Triebe krochen daraus hervor. Sekunden später war jegliche Bausubstanz überwuchert.
„Was ist das?“, fragte mein Millionär. „Das gefällt mir nicht.“
Feine Wurzeln bahnten sich den Weg von der Handyrückseite zum Waldboden. Die Fläche, in der unsere herabblickenden Gesichter sich spiegelten, wurde ihm entrissen.
„Ich danke dir für diesen schönen Wanderurlaub“, sagte der Millionär, nachdem ich ihn zurück auf den Asphalt gebracht hatte. Seine Pupillen waren riesig.
„Vielleicht sollten wir uns jetzt langsam auf den Rückweg machen“, sagte ich.
Der Millionär sah mich lange an. In diesem Moment wünschte ich mir, einfach in die schwarzen Löcher seiner Augen hineinstürzen zu können. Aber ich blieb, wo ich war. Mit letzter Kraft deutete er auf den Aktenkoffer: „Eins-sieben-vier.“
Ich stand allein auf dem Gipfel. Beharrlich sah ich die Menschen dort unten in der Skizze des Waldes umherwandeln.
Eins-sieben-vier.
Der Koffer sprang auf. Ich nahm einen Stapel Scheine heraus und streute sie in den Wind. Ich freue mich darauf, wenn gleich der Wind an mir entlangstreicht. Plötzlich war die Luft erfüllt von grünlich schillerndem Papier.
Ein Wanderer hielt inne. Er verfolgte den Weg des Geldes andächtig wie den Weg fallender Blätter. Dann klatschte ihm ein Hunderter aufs Gesicht und verbarg seine Augen.
Letzte Änderung: 04.08.2025 | Erstellt am: 31.07.2025
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