Feuerwurm

Feuerwurm

Short Story
Feuerwurm | © CC BY 2.0

Das literarisch vielfältige sizilianische Online-Magazin „Il cucchiaio nell‘orecchio“, was sich übersetzen lässt als „Löffel im Ohr“, herausgegeben von Gaetano Altopiano, gibt wie auch das Faust Kultur Magazin sowohl jungen aufstrebenden Schreibenden als auch etablierten literarischen Stimmen eine Plattform. Faust Kultur freut sich, die hochwertigen Texte im italienischen Original erstmals mit deutscher Übersetzung einer breiteren Leserschaft zugänglich zu machen.

Feuerwurm

(Vermocane Spezies (Hermodice carunculata) Meereswurm der Klasse Polychaeta der Unterklasse Aciculata der Ordnung Amphinomida, auch bekannt als Feuerwurm, verbreitet im Mittelmeer, wandernd, fleischfressend, mit den Körper in Büscheln bedeckenden Borsten, die, wenn sie die Haut durchdringen, schmerzhafte Stiche zufügen können. Quelle: Treccani online encyclopaedia).

Im Suezkanal verweilend entdeckte er das Schiff. Es bewegte sich langsam vorwärts, sein Bug schnitt sorgsam durchs Wasser und bereitete sich auf die baldige Beschleunigung in der Nähe der Amari-Seen vor. Ein borstiger Gedanke strömte zur Idee. Als er sich nach einem Rückstoß wieder aufrichtete und Halt fand, kletterte er über das Schott, an der Seite hinauf, und hockte sich in den Laderaum. Inmitten von schiefen Holzkisten und verfluchter Erde wurde der Feuerwurm ruhig und träumte vom Schiff Demeter und dem friedlichen Lauf der Warna.

Wandernd und fleischfressend irrte der furchterregende Feuerwurm im Schutz der Nacht durch die engen Straßen der Vororte von P. In der dichten Luft des Lokals wird er in Dreck und billiges Bier getränkt, stolperte über stumpfe Darts, schlüpfte mit Leichtigkeit in ein Hosenbein, verfing sich beim Schlummertrunk im Ärmelbund, stach und quälte, er zerbrach und bildete sich neu, als Schmuckstück oder Halskette, er dehnte und teilte sich, er verschanzte sich auf Lisettes Schultern und war eine Straußenboje, in Faustos Händen wurde er zum Pfeifenreiniger, Flaschen glänzten wie neu, für Frau Livagnes war er das Äquivalent einer Klobürste.

Aufreizend und anmaßend hielt er bis in die späten Abendstunden Hof, bis er hinausgeworfen wurde und sich erbost auf den Weg machte, um Streuner aufzuspüren. Flöhe und Pest, Zecken und Ratten, unerklärliche Ödeme und gewaltsame Todesfälle. Im Laufe der Jahrhunderte begegnete er Kaufleuten, die ihn unter Vertrag nahmen. Von Fiktion zur Fiktion wird er 1912 durch einen glücklichen, ruckartigen Sprung zum Protagonisten des Gemäldes „Dynamik eines Hundes an der Leine“, ein unerwartetes Schnellen auf Leinwand, Rahmen und Bewegung, niemand ahnt die usurpierende Anwesenheit des furchterregenden Feuerwurms, die Bewegung verschleiert, stumpft ab, verwirrt. Und in der Zwischenzeit beißt er zu. Im Streifzug der Jahre und doppelseitiger Mäntel der sechziger Jahre erdachte der Feuerwurm die Kunstausstellung „Arte povera più azioni povere” und ließ sich nieder und machte Kunst und wurde ein Borstenwurm in Tarnung.

Im Jahr 2004 löste er sich in Neapel in einem verzinkten, Methylenblau gestrichenen Aluminiumtank in einer Spiegelung auf, er zerrieb und skalpierte sich, er schrumpfte zusammen und starb ein wenig, mit einem Wort, er zog sich zurück und so verschwand er. Vielleicht ist er jetzt auf See in einem Container, vielleicht ist es schon Zeit, in Japan von Bord zu gehen, und, wie der geteilte Visconte, blüht er wieder auf in einer Zuchtfarm von ahnungslosen Kugelfischen, die der furchterregende Feuerwurm ohne Zögern vergiftet. Die Lucrezia Borgia der sieben Meere, die Leonarda Cianciulli der Seifenwürmer, aus dem Zirkus im Feuer, aus Zelluloid in Rabid, aus Zeit und Weise, mit ein wenig Fantasie, hätten James Bond nicht geglättet. Man dachte daran, Piranhas und Krokodile durch Feuerwürmer zu ersetzen, aber daraus wurde nichts. Während der Feuerwurm auf den Sommer wartet, liegt er mit Sand bedeckt am Ufer und ist eine Haarspange, ein Vu-Cumprà-Armband, erlahmt im warmen Wasser, weicht galant den Quallen aus, wartet seine Zeit zwischen den Algen, einem Schwarm Brassen und einer Tracina ab.

Aus dem Italienischen von Sarah C. Schuster und Michele Sciurba

Letzte Änderung: 18.09.2024  |  Erstellt am: 10.09.2024

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