Die Grotte des Heiligen Benedikts

Die Grotte des Heiligen Benedikts

Eine kleine Reise in die Wälder und Träume des Christentums
Der Heilige Benedikt in Subiaco

Wer der glühenden Enge Roms entkommen möchte, findet in Subiaco einen Ort der Einkehr – und eine Reise zu den spirituellen Wurzeln Europas. Alban Nikolai Herbst nimmt uns mit in die Simbruiner Berge, wo Benedikt von Nursia einst in völliger Einsamkeit lebte. In einer Sprache von sinnlicher Tiefe erzählt er vom mächtigen Echo der Geschichte, das zwischen romanischen Türmen, moosüberwachsenen Grotten und flüsternden Wäldern widerhallt. Ein Text voller Atmosphäre, der Glaube, Natur und Kunst zu einem poetischen Ganzen verdichtet – meditativ, bildgewaltig und tief berührend.

Wem der Trubel und die stehende, steinerne Hitze Roms sowie das hochartistische Können der jugendlichen Taschendiebe zuviel werden – denen, erzählte mir einst mein Sprachlehrer, auch ein Römer, wenn er etwas auf sich halte, zum Opfer fallen müsse -, oder wer sich einfach nur besinnen möchte, der reist wie zu klassischen Zeiten in die Berge, aus denen die Ewige Stadt noch heute ihr Wasser bezieht: Entweder in die colli Albani oder die Sabiner Berge, nach Tivoli und Palestrina. Besser aber, Sie setzen sich, indem Sie die üblichen Touristenrouten verlassen, in den Wagen und fahren die eine Stunde bis an den Fuß des Appenin in die Simbruiner Berge nach Subiaco. Sollten Sie die Kosten eines Mietwagens oder insgesamt die italienische Fahrweise scheuen, nehmen Sie von Roma stazione termini (Hauptbahnhof) die Metro linea B bis Endstation Ponte mammolo und steigen in einen der blauen Busse der autolinea Co.tr.al, der Sie preiswert und bequem nach Subiaco kutschiert. Dann sollten Sie allerdings eine Übernachtung einplanen. Was sich in jedem Fall lohnt.

Subiaco ist ein quirliger, belebter Gebirgsort, der seine Bedeutung besonders durch die hierorts von Nero errichteten Talsperren und seinem heute nur noch als Ruine stehenden Palast gewann, dem in der Zeit der römischen Dekadenz weitere Kaiservillen folgten. Allerdings verdankt sich die kulturhistorische Bedeutung Subiacos einem ganz anderen Umstand, – nein, zwei Umständen: Hier gründete der aus Umbrien stammende Heilige Benedikt im Jahr 529 seinen für das gesamte Europa des mittelalterlichen Christentums maßgeblichen Klosterorden. Und hier wurden 900 Jahre später in der nach Benedikts Schwester Scholastica benannten Abtei die ersten italienischen Bücher gedruckt.

Erschrecken Sie also nicht, wenn Ihnen bei Ihrer Ankunft Reisebusse die Sträßchen versperren: Es ist nicht wahr, daß die italienische Provinz von Fernasien ethnisch neu besiedelt wird. Schnappen Sie sich einfach ein Taxi oder gehen Sie die zwei Kilometer zu Fuß über die Ausfallstraße Richtung Fiuggi. Schon erhebt sich das sanfte, mit saftiggrünem Wald bedeckte Gebirge aus dem Tal, und bald schon sprudelt rechts unten der glasklare, kalte Anio zwischen Oleanderbüschen und Nußbäumen. Im Hochsommer lassen sich, jedenfalls wochentags, in seinen Hunderten brusttiefer Becken herrliche und völlig einsame Bäder nehmen. Dann kann es auch passieren, dass Sie der Nymphe Aurisina ansichtig werden, von der Sie im ersten Buch der Metarmphosen Ovids lesen können. Seien Sie aber vorsichtig. Mit Naturgeistern ist es nicht unbedingt immer spaßig. Wiederum fährt am Wochenende, scheint’s, tutta l’Italia hierher, was wiedrum die Nymphe erschreckt. Weshalb sich Naturbegeisterte dann unefährdet Touren durch dichtes und lichtes Gehölz erwandern können, in den Wildwassern der Schluchten Kanu fahren oder Forellen angeln. Denn der sich aus den scharf eingeschnittenen Schluchten aufbäumende Naturpark ist ein mehr als ideales und obendrein wildreiches Urlaubsgebiet: Plötzliche weite Ausblicke lassen sie fast schweben, indes ein herber Honigduft die Nase umschmeichelt. Gelegenheiten für Ausritte und nicht zuletzt die herrliche Küche lassen einen noch Wochen später von dieser Weltgegend träumen.
Doch dazu sind wir nicht hier. Kultur steht auf unserm Programm.

Während der Geist langsam von dem geradezu lüsternen Grün der Vegetation, dem entfernten Blaßrot der allmählich entfernten Dächer Subiacos hinter uns, über uns von dem blendenden Blau des Himmels und seitlich links dem Gelbweiß der wilden, karstigen Felsaufrisse vereinnahmt wird, erblicken wir ein paar hundert Meter weiter den romanischen Turm der Abtei S. Scholastica, den ältesten Campanile Mittelitaliens. 1053 vollendet, wird sein unterer Teil sogar noch vor das Jahr 800 datiert. „Als einziger Zeuge von Bauwerken vor 1200 erhebt sich der edle Turm heute noch, ähnlich einer großen, alten Eiche“, schreibt 1904 Giovannoni. Das Kloster selbst ist teilweise durch Bombenangriffe zerstört, doch schlicht und geschmackvoll wiederhergestellt worden und wartet mit einem gotischen und einem „kosmatischen“, einer Mosaiktechnik des 13.-14. Jahrhunderts, gestalteten Kreuzgang auf, dieser in weißem Carrara-Marmor. Die berühmte Bibliothek birgt an die 100.000 Bände, unter anderem Augustinus’ De civitate Dei, sowie die ersten, von den aus Mainz hergewanderten Deutschen Sweynnheym und Panartz gedruckten Bücher. Eine Besichtigung können wir uns für die nächsten Tage vorbehalten. Denn erst einmal nehmen wir in der etwas unterhalb des Klosters gelegenen Foresteria del Monastero Quartier und machen uns dann, eine schmale in Serpentinen gewundene Straße hinan, an den Aufstieg zum Sacro Speco, der Heiligen Grotte des Benedikt von Nursia. Wie ein Schwalbennest klebt das in mehreren Geschossen um sie herumgebaute Kloster in der Felswand.

Der junge Benedikt war studienhalber nach Rom gekommen, aber im leeren Treiben der Großstadt habe ihn, erzählt die Legende, der Ruf Gottes erreicht. Deshalb zieht er sich erst in die Sabiner, dann in die völlige Einsamkeit der Simbruinischen Berge zurück, wo er in einer nahezu unzugänglichen Grotte drei Jahre verbringt, betreut von einem Mönch, der ihn unter Zuhilfenahme eines langen Seiles versorgt, an welchem er einen mit dem Allernotwendigsten gefüllten Korb zu dem Eremiten hinunterläßt. Diese Grotte ist das Herz des kleinen Klosters.

Wir betreten den Komplex jenseits des Parkplatzes über einen gepflasterten, durch ein Eichenwäldchen hinaufführenden Weg, der auf einem kleinen Plateau endet, das einen grandiosen Blick auf zwei übereinandererrichtete Kirchen sowie einige Kapellen freigibt und außerdem in Benedikts berühmten Rosengarten hineinschauen läßt – einen, den kein Wittich je zertrampelt. Jedes Bauwerk ist mit dem anderen wie durch Lehmkitt verbunden, vermittels Mauern, kleinen und riesigen Arkaden, mit dem angeschlossenen Kloster schließlich, von dem man allerdings kaum etwas merkt. Nur daß es natürlich Mönche sind, die die Besucher herumführen. Anders als unten in S. Scholastica ist eine solche Führung aber nicht Pflicht. Wer möchte, darf sich frei bewegen, kann ganz nach Gusto hier stehenbleiben oder dort, vor sich hin meditierend, vielleicht einfach nur träumen. Denn ist man eingetreten, öffnen sich Hunderte Galerien und Galeriechen, Nebenräume, Stiegen, ein auf den ersten Blick fast unübersichtliches Labyrinth von Gängen und Grotten, die auf nahezu natürliche Weise mit dem Fels verschmelzen, in den sie hineingehauen wurden.

Was diese Anlage aber eigentlich wundervoll macht, sind die farbigen, ein wenig verblaßten Fresken, die jeden Quadratzentimeter Gewölbe bedecken: Die ganze Anlage ist über die Jahrhunderte mit ihnen ausgemalt worden, besinnliche, gläubige, mitunter fantastische Szenen, Gemahnungen an den Tod, Kreuzgang, Himmelfahrt, bisweilen hochdramatisch gestaltet, oft flächig. Einige wenige, allerdings sehr verblichene Wandbilder entstanden bereits im 8. Jahrhundert. Es bleibe indessen einem der kleinen, seitlich des Klosters zu kaufenden Kunstführer überlassen, uns all die Bildschätze zu erläutern. Erst einmal wollen wir nur schauen und steigen von der prunkvollen, im sienesischen Stil ausgemalten Oberkirche in die Unterkirche ab, die in die Heilige Grotte, den Sacro Speco, führt. Für diesen kleinen groben Raum hat Raggi, ein Schüler Berninis, eine marmorne Figur geschaffen, die mit über der Brust gekreuzten Armen auf ein sehr einfaches, im Felsen steckendes Kreuz blickt. Die Umkleidung des kleines Altares ist eine Kosmatenarbeit wie der eine der beiden Kreuzgänge S. Scholasticas. Und während wir staunend durch die Gängchen wandeln, vollzieht sich, vom Betrachter abgewandt, das Klosterleben ganz wie zu Zeiten Benedikts, – doch falls Sie einen Führer haben, der großmütig ist, und das wird er sein, dann fragen Sie ihn einmal nach dem Teufel. Daraufhin wird er sie anlächeln und zu einem Fensterchen führen… – Schauen Sie einfach hindurch. Wenn Sie möchten, darf’s Ihnen schaudern. Ich muß Ihnen wahrscheinlich gar nicht versichern, dass Sie danach eine gehörige Zeit lang einfach schweigen werden. Und um sich zu erlösen, geben Sie ein Scheinchen in die Collekte. Bevor Sie das Kloster wieder verlassen, um ins Licht zu treten. Plötzlich spüren Sie mit Ihrem ganzen Leib, was es ist, das Licht. Und die ganze, ganze Welt ist plötzlich für Sie da.

Letzte Änderung: 30.05.2025  |  Erstellt am: 28.05.2025

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