Archaische Gewitterangst

Archaische Gewitterangst

SHORT SHORT STORY
Thomas Draschan, Bildersturm und Paranoia

Lukas Meschik erzählt mit geschärften Sinnen. Ein aufziehendes Sommergewitter entfacht uralte Instinkte. Der Mensch, trotz Zivilisation, bleibt ein Tier – wachsam, ausgeliefert, lauschend auf das Donnern eines Himmels, der keine Ruhe gibt.

Erstaunlich, wie das Grummeln eines sich nähernden Gewitters Urinstinkte weckt. Imposante Wolkenformationen dunkeln sich ein, das Wasser des nahen Sees wird unruhig. Es tröpfelt und die Wellen haben Schaum, als wäre es ein Meer. Alles zieht sich in die Häuser zurück, der Wäscheständer muss hereingeholt werden, wie schade, dass die eben fertiggetrockneten Hosen gleich wieder feucht sind. Die Türen fliegen zu.

Aus dem Tröpfeln wird mächtiger Regen, das Prasseln aufs Dach ist ein Trommeln. Das Schaukeln der Boote am Steg erzeugt dumpfe Paukenschläge, wenn sie ans Holz gehen. Aufrecht sitzt man da, mit wachen Sinnen, zur aufrechten Haltung passen die gespitzten Ohren. Eine Geladenheit liegt in der Luft. Ich weiß, dass ich ein Mensch bin, aber bleibe ein Tier. Vögel ziehen auf, sie verabschieden sich. Ein Sommergewitter wird sein, mit Blitzen, die krachen, als würden Monumente zerbersten.

Wir können uns auf nichts mehr konzentrieren, müssen unsere Aufmerksamkeit aufs Wetterschauspiel lenken. Ich sehe alles ganz klar, und nicht nur, weil ich so genau hinschaue. Alles brüllt Gefahr, was Klarheit schafft. Jetzt wird es existenziell. Eine schnurgerade sich abseilende Spinne hat mehr Angst vor mir als ich vor ihr und kehrt wieder um, retour an die Decke. Die Menschen rotten sich zusammen zur Angstgemeinschaft. Ich umarme mich selbst, sitze da und warte, was kommt. Der Regen ist böse, so laut ist er. Jemand hat ihn verärgert. Später, wenn die Müdigkeit ausreicht, werde ich mich ins Bett legen. Nichts ist geruhsam oder erholsam. Das Wetter hält wach. Schlafen, wo immer die Nacht einen findet, denke ich. Es geht weiter. Ein Ende zeichnet sich nicht ab. Wir können nur warten, bis etwas passiert oder nicht passiert ist. Von beidem lässt sich erzählen. Was wissen andere über uns? Das Wetter. Mehr haben wir oft nicht gemeinsam, aber mindestens das. Es gewittert, ein zerstörungswütiger Himmel fordert ein, ihn zu betrachten. Wir sind ihm ausgeliefert. Nichts schläft mehr.

Letzte Änderung: 03.03.2025  |  Erstellt am: 03.03.2025

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