Erinnern Sie sich? (An Storm)

Erinnern Sie sich? (An Storm)

Eine literarisch-philosophische Reihe
F. W. Bernstein, Muschel | © Art Virus Ltd.

Im Zeitalter der Beschleunigung vergeht die Zeit scheinbar exponentiell schneller als je zuvor. Angesichts der Fülle flüchtiger vorwärtsgerichteter Augenblicke in unserer modernen Gesellschaft setzt Autor und Philosoph Otto A. Böhmer mit Leichtigkeit und Humor eine satirische Zäsur und schafft komische Ein- und Rückblicke in unsere komplexe, philosophische Welt.

No. 7 – Storm

ERINNERN SIE SICH?

Wir waren damals in Husum unterwegs. Man hatte uns einen Betreuer an die Seite gestellt, der sich, wie fast alle in Husum, mit dem bekannten Dichter Theodor Storm auskannte, den er am Anfang seiner launigen Ausführungen in Amrum seßhaft machte, was aber nicht störte, denn Amrum ist ohnehin schöner als Husum. Meinen wir.

Es gibt ohnehin Einsichten, die stehen für ein ganzes Leben, hatten wir zuvor schon gelernt. Als er siebzig Jahre alt war, befand Storm: „Ich bedarf äußerlich der Enge, um innerlich ins Weite zu gehen“. Damit brachte er seine ganz persönliche Existenzform auf den Punkt, die sich im Kleinen einrichtete, um von dort aus zum Großen und Ganzen zu kommen. In der deutschen Literaturgeschichte gilt Storm als Provinzdichter von nationalem Rang; das ist nicht abwertend gemeint, sondern zeigt nur einen Wirkungskreis an, von dem man, bei allem Wohlwollen, nicht zuviel erwarten darf. Wer in der Provinz wohnt, muß nicht notwendig provinziell werden; er hat vielleicht sogar mehr Möglichkeiten, in seiner Welt das zu entdecken, was „allen in die Kindheit scheint und wo noch niemand war: Heimat“ (Ernst Bloch). – Storm ist der Sohn eines Juristen, und er wird selber Jurist; auch das zeigt eine Kontinuität an, die es in sich hat. Seine Heimatstadt Husum, die er später auch im Gedicht zu würdigen weiß („Doch hängt mein ganzes Herz an dir,/ Du graue Stadt am Meer“), verläßt er nur ungern; zum Studium muß er allerdings raus und fremde Luft schnuppern. Er macht das, wie anderes auch, sehr bedächtig: Vier Jahre studiert er in Kiel, das nicht gerade aus der Welt ist; zwischendurch (1838/39) wagt er sich nach Berlin, wo es ihm so gut gefällt, daß er auch dort gern den Kerl von der Küste gibt. Nach dem Studium geht es, ganz folgerichtig, wieder nach Husum zurück; er läßt sich als Rechtsanwalt nieder, heiratet und bekommt Kinder (so wie sich’s gehört). Was Storm mehr wurmt als die gesamtgesellschaftlichen Verhältnisse in deutschen Landen, aus denen schließlich die zögerliche Revolution von 1848 erwächst, ist die Tatsache, daß seine Heimat, das sturmumtoste Schleswig-Holstein, auf schmähliche Weise den Dänen zugesprochen worden war. Der Dichter, der damals allenfalls ein Gelegenheitsdichter ist, zeigt sich als Patriot; als ihm die dänischen Behörden 1852 die Zulassung entziehen, geht er zurück nach Berlin und kommt im preußischen Staatsdienst unter.1856 wird er Amtsrichter in Heiligenstadt, ein Amt, das ihn nicht in die Überanstrengung treibt. Erste Novellen , Märchen (Der kleine Häwelmann) und Gedichte sind erschienen; der Jurist Storm macht sich als Schriftsteller einen Namen. Dabei erweist er sich als Autor, der an sein Publikum denkt: Ein volkstümlicher Ton durchzieht seine Schriften, die, so scheint es, allesamt an einem Ort entstanden sein könnten, der auch als Titel einer Erzählung dient: Am Kamin. Erst mit der Zeit, als seine literarische Übung den Meister macht, wird Storms behagliches Erzählen mit rauheren Klängen durchsetzt; in seinen besten Novellen (Pole Poppenspäler, 1874; Die Söhne des Senators, 1880; Der Schimmelreiter, 1888) geht es um Konflikte, die das Ich angesichts übermächtiger Wirklichkeiten zu durchstehen hat; dabei kann es äußerlich unterliegen, im eigenen Bezirk aber eine Würde bewahren, deren Gewicht vor allem an der Liebe hängt. Die Liebe ist eine Himmelsmacht, das haben nicht nur die Dichter immer wieder gern beschworen; wenn man Glück hat, widersetzt sich die Liebe sogar ökonomischen Zwängen und findet, über die Zeiten hinweg, zurück in die eigenen glückseligen Anfänge (Pole Poppenspäler). Auch in seinem Privatleben, das an sich ordentlich ist und dem Familienglück große Bedeutung beimißt, macht die Liebe von sich reden: Nachdem er 1846 seine Cousine Constanze Esmarch geheiratet hat, verliebt er sich in die Tochter eines Husumer Senators, und zwar heftig. Er spricht von der „erschütterndsten Leidenschaft meines Lebens“ und sieht seine wohlgeordnete Welt durcheinandergebracht. Der Klatsch in der Kleinstadt blüht, und Dorothea Jensen, seine große Liebe, zieht es vor, Husum zu verlassen. Alles scheint wieder seinen gewohnten Gang zu gehen, aber die Geschichte erfährt noch eine kleine Pointe: Achtzehn Jahre später, nach dem Tod der ersten Frau Storm, wird Dorothea Jensen die zweite Frau Storm, woraus zu ersehen ist, daß eine „erschütternde Leidenschaft“ sich ziehen kann, bis sie, mit kleineren Nachbeben, Jahr und Tag überdauert hat und in der Ehe zur Ruhe kommt. – 1864 endet die dänische Herrschaft in Schleswig-Holstein, was Storm hocherfreut zur Kenntnis nimmt. Hatte er sich zuvor noch als Lyriker gesehen, der hauptberuflich als Advokat tätig ist, so arbeitet er nun vorwiegend als Prosaautor. Er zeigt sich als ein Mann des liberalen Bürgertums: Im Bürgertum sieht er Fleiß und Tüchtigkeit verkörpert, der Bürger besorgt jenen Wohlstand, an dem die unproduktiven Stände, Adel und Klerus, ohne Eigenleistungen teilhaben. Ihnen gilt die Kritik des Dichters, die er, allerdings eher verhalten, in seine Novellen einfließen läßt. – Als sich sein Leben, das, alles in allem, nicht sehr aufregend war, dem Ende zuneigt, ist Storm ein populärer Dichter. Seine Werke werden in bekannten Zeitschriften vorabgedruckt, man liest ihn im Familienkreis und schätzt ihn als einen Mann, der die gute alte Zeit so zu schildern weiß, daß sie auch zu einer guten neuen Zeit taugen könnte. Storm selbst, das ist ein wenig alterstypisch, wird melancholisch: Zwar war er längst wieder daheim, aber das Bild von der Heimkehr mit all ihrer Wehmut läßt ihn nicht los; mag es im Leben, wie schon der Dichterkollege Novalis befand, auch „immer nach Hause“ gehen, so bleibt es doch zweifelhaft, ob wir jemals dort ankommen: „In allen Jahren, die ich in der Fremde lebte, war immer wieder das Brausen des heimatlichen Meeres an mein inneres Ohr gedrungen, und oft war ich von Sehnsucht ergriffen worden, wie nach dem Wiegenliede, womit einst die Mutter das Tosen der Welt von ihrem Kinde fern gehalten hatte. – Nun hörte ich es wieder, das Wiegenlied des Meeres; am Tage wanderte ich hinaus an seine Küste und ließ die Wellen zu meinen Füßen rauschen, des Nachts klang es hinüber in die schlafende Stadt, nur unterbrochen von dem tönenden Flug der Wandervögel, die in großen Zügen unsichtbar unter den Sternen dahinrauschten. Wie oft stand ich jetzt im Dunkel meines Gartens, blickte hinauf zu der lichten Sternenhöhe und ließ mein Ohr von diesen Akkorden des Schöpfungsliedes erfüllen … Es ist ein melancholisches Lied, das Lied von der Heimkehr.“
Erinnern Sie sich?

Letzte Änderung: 07.10.2024  |  Erstellt am: 17.06.2024

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