Erinnern Sie sich? (an Joseph von Eichendorff)
Im Zeitalter der Beschleunigung vergeht die Zeit scheinbar exponentiell schneller als je zuvor. Angesichts der Fülle flüchtiger vorwärtsgerichteter Augenblicke in unserer modernen Gesellschaft setzt Autor und Philosoph Otto A. Böhmer mit Leichtigkeit und Humor eine satirische Zäsur und schafft komische Ein- und Rückblicke in unsere komplexe, philosophische Welt.
Nr. 28 - Joseph von Eichendorff
Am 5. Mai 1807 verläßt der Student der Rechte Joseph von Eichendorff zusammen mit seinem knapp zwei Jahre älteren Bruder Wilhelm das heimische, auf den Höhen über der Oder gelegene Schloß Lubowitz, um zu einer beschwerlichen Reise aufzubrechen, an deren Ende ein leuchtendes Ziel wartet: Heidelberg, die heimliche Hauptstadt der deutschen Spätromantik. Dafür nimmt man gern Strapazen in Kauf, denn das Reisen ist zu jener Zeit mehr Tortur als Freude. Die Postkutschen rumpeln dahin und lassen die Sehnsüchte der Fahrgäste zu einem einzigen Wunsch zusammenschnurren, der da lautet: mit heiler Haut ankommen.
Am 9. Mai erreichen die Brüder Eichendorff Budweis und fahren tags darauf in Österreich ein. In Linz an der Donau muß ihre Kutsche repariert werden. Weitere sieben Tage mühsamer Fahrt liegen noch vor ihnen. Endlich ist es soweit, Heidelberg rückt näher, die Spannung wächst – was auch aus Joseph von Eichendorffs Tagebuch-Aufzeichnungen jener Zeit herauszuhören ist: «Gleich hinter Neckarelz, wo wir etwas abendaßen, erblickten wir zum ersten Male den geliebten Neckar, über den wir übergeschifft wurden. In Wimersbach wurde zum letzten Male umgespannt, und nun ging’s immer fort in blühenden Tälern an schönen Bergen, aus denen die Nachtigallen schlugen (…) Endlich, um 4 Uhr morgens, fuhren wir mit Herzklopfen durch das schöne Triumphtor in Heidelberg ein, das eine über alle unsere Erwartung unbeschreiblich wunderschöne Lage hat. Enges blühendes Tal, in der Mitte der Neckar, rechts und links hohe felsige, laubige Berge. Am linken Ufer Heidelberg, groß und schön, fast wie Karlsbad. Nur eine Hauptstraße mit mehreren Toren und Märkten. Links überschaut von dem Abhange eines Berges die alte Pfalzburg, gewiß die größte und schönste Ruine Deutschlands, majestätisch die ganze Stadt. Alles schlief noch. Nur Studenten, wie überall gleich zu erkennen, durchzogen mit ihren Tabakspfeifen schon die Straßen.»
Überwältigt von ihren Eindrücken, beziehen die Brüder Eichendorff das vorbestellte Quartier am Paradeplatz und versuchen zu schlafen, was nicht recht gelingen will. Zu aufgewühlt sind sie noch von der langen Reise, die nun ihr Ende gefunden hat. Gegen Mittag erkunden sie zum ersten Mal ihre Umgebung: Wilhelm schaut sich die Stadt an, Joseph besteigt den Heidelberger Hausberg. Die Aussicht, die er dort oben bereits auf halber Höhe hat, kommt ihm großartig vor; er gerät ins Schwärmen, und der schöne Schein, der über den Dingen liegt, leuchtet ihm direkt in sein Leben: «Ich bestieg (…) zum ersten Male den heiligen Berg (…), und obschon ich mich so verirrte, daß ich durchaus den Gipfel nicht erreichen konnte, so genoß ich doch die himmlischste Aussicht (…) auf die ganze Stadt, vor mir auf eine unendliche Ebene, die sich bis Frankreich hin erstreckt, in der sich die Türme von Mannheim erheben, – und die vom Rhein, wie von einem Silberfaden durchschnitten, und rechts von den blauen Rheingebirgen begrenzt wird.»
Was Joseph von Eichendorff in Heidelberg widerfährt, ist das Aufdämmern einer Ahnung, die zur Gewißheit wird. Inspiriert von einem Ort und einer Umgebung, die sich als so romantisch zeigen, wie Eichendorff es vermutet hat, kommt er zur Einsicht, daß sich das Geheimnis der Welt erschließen läßt – es liegt jenseits der bekannten Vordergründigkeiten und verlangt eine behutsame Annäherung, ein Hinhören auf den Wesensgrund der Dinge, der seine eigene Sprache spricht. Der Glanz des Daseins, das Begreifliche im Unbegreiflichen, gibt sich für den zu erkennen, der in der Lage ist, das «Zauberwort» zu treffen, von dem Eichendorffs berühmtester Vierzeiler spricht: «Schläft ein Lied in allen Dingen, / Die da träumen fort und fort, / Und die Welt hebt an zu singen, / Triffst du nur das Zauberwort.»
Dieses Zauberwort ist der Schlüssel zur natürlichen Existenz; es läßt die Zeit stillstehen und verleiht dem Dasein einen anrührenden Schimmer, von dem man annehmen muß, daß er göttlichen Ursprungs ist. Eichendorff lernt in Heidelberg begreifen, daß sehr wohl zusammengeht, was im Zuge einer neuen Schärfe und Überschwenglichkeit des Denkens auseinandergerissen wurde: der Glaube an Gott, mit dem er fröhliche Lebensinnigkeit verband, und die Lust an der Wissenschaft, der er sich mit jener Demut nähert, die der Ursprünglichkeit der Natur mehr abzugewinnen vermag als den Lehrmeinungen hochfahrendenr Vernunft. Der Mann, der Eichendorff zu dieser Einsicht bringt, ist ein umstrittener Hochschullehrer: Joseph von Görres, ehemaliger Journalist, gelehrter Autodidakt und Naturphilosoph, der im Herbst 1806 an die Universität Heidelberg berufen wurde. Görres’ Vorlesungen, von seinen Gegnern als «Laffen-Gewäsch» verhöhnt, sind für Eichendorff eine kleine Offenbarung: Mit einem Mal fühlt er sich auf die tatsächliche Bedeutung einer poetischen Existenz vorbereitet, und er glaubt zu verstehen, worin die ihm zugemutete Wahrheit besteht. Von Görres scheint er lernen zu können, was Gläubigkeit meinte, nämlich Gottvertrauen, Bescheidenheit vor der Schöpfung und eine vorbehaltlose Annahme des Lebens als Geschenk.
Eichendorff, der die emotionsgeladene Umtriebigkeit vor allem der frühen Romantik im Alter durchaus despektierlich zu kommentieren pflegte, hat Görres, unbeirrt von allen Schmähungen, die über seinen Heidelberger Lehrer im Umlauf waren, ein dankbares Andenken bewahrt: Seine «geheimnisvolle Gewalt lag (…) in der Großartigkeit seines Charakters, in der (…) brennenden Liebe zur Wahrheit und einem unverwüstlichen Freiheitsgefühl, womit er die einmal erkannte Wahrheit gegen offene und verkappte Feinde und falsche Freunde rücksichtslos auf Leben und Tod verteidigte; denn alles Halbe war ihm tödlich verhaßt, ja unmöglich (…) Görres, ohne es zu wollen oder auch nur zu wissen, schlicht (…) bis zum Extrem, (…) verschmähte selbst die unschuldigsten Mittel des Effekts. Sein durchaus freier Vortrag war monoton, fast wie fernes Meeresrauschen schwellend und sinkend, aber durch dieses einförmige Gemurmel leuchteten zwei wunderbare Augen und zuckten Gedankenblitze beständig hin und wider; es war wie ein prächtiges nächtliches Gewitter, hier verhüllte Abgründe, dort neue ungeahnte Landschaften plötzlich aufdeckend, und überall gewaltig, weckend und zündend fürs ganze Leben.»
Die Görressche Botschaft, die Eichendorff vernimmt, bestimmt fortan sein Denken. Im Treiben der Heidelberger Studenten mischt er mit, legt dabei jedoch Wert auf einen gewissen Sicherheitsabstand. Er sucht die Einsamkeit, unternimmt lange Wanderungen, die ihn mit Ausblicken und manch wundersamer Tagträumerei belohnen. Er lauscht den Stimmen und Stimmungen, die in ihm sind, nimmt sie beim Wort und versucht zu ergründen, was sie, über das Mitteilbare hinaus, anklingen lassen. Eichendorff, von Kindheit an tief gläubig, lebt mit einer hartnäckigen Sehnsucht, die ihm von Jahr zu Jahr vertrauter wird: Sie kreist um die Vergänglichkeit – eine Vergänglichkeit, in der auch frühe Geborgenheit, das allererste, ständig erinnerte Kinderglück, zur unheimlichen, dem Tod anempfundenen Ruhe kommt. Eine solche Sehnsucht, in Ortsabhängigkeit gesetzt, ist Heimweh: Eichendorff sieht Lubowitz, das elterliche Schloß, vor sich, das sich mit wehmütigen Bildern in ihm eingenistet hatte. Lubowitz kommt ihm wie ein gefährdetes Refugium vor, das nur zu schützen ist, wenn man es in seiner Versunkenheit bewahrt und zu einer poetisch verklärten Geschichte macht, die, mit liebevollen Variationen versehen, jederzeit und an jedem Ort aufgerufen und neu erzählt werden kann: «Kindisch lag ich im Lubowitzer Garten am Lusthause im Schatten in der Mittagsschwüle und sehe die Wolken über mir und denke mir dort Gebirge und Inseln mit Schluchten (…) oder im Frühling im Garten und sehe ins Tal hinab, es ist ein so wunderlicher Abend, die Sonne ist schon untergegangen, aber der Strom leuchtet noch (…) Da geht unsichtbar ein leises Rauschen durch den Garten, die Blumen neigen sich leise, mich schauert – es war die Muse, die lächelnd vorüberging, Garten und Täler beleuchtend, ich war ihr noch zu kindisch (…), und ich schlummerte ein, träumend von künftigen Liedern.»
Das Leben in Heidelberg gleicht zunächst einer heiteren Unternehmung, bei der Eichendorff nichts anderes im Sinn hat, als der Poesie des Lebens nachzuhorchen und sie zu fassen. Die Romantik allerdings ist nicht mehr ganz neu, und sie pflegt ihre eigenen Manie-rismen und Selbstbespiegelungen. Eichendorff sieht, mit einiger Verzögerung, die Fallstricke, die auf dem Weg zu einer umfassenden Romantisierung des Daseins ausgelegt sind; er begreift, daß echte Romantik nicht darin bestehen kann, sich schnell wechselnden Gefühlsströmungen anzuverwandeln, sondern eines einzigen, unteilbaren Glaubens an Gott und das Leben bedarf. Eichendorff läßt sich davon in einer Weise inspirieren, die den Gegebenheiten und dem Stand seiner Jahre entspricht. Er ist jung, und die Romantik, der er sich zugehörig fühlt, hat strenge Jugendbewegtheit auf ihre Fahnen geschrieben. Die Jugend, der man nachläuft, droht allerdings, genauer besehen, zur puren Kraftmeierei, zur Umtriebigkeit zu verkommen, der man sich ergibt wie einem Rausch.
Im Rückblick hat Eichendorff auch für das Leitmotiv überschwänglicher Jugendlichkeit kritische Worte gefunden; ihm stellte er das Bild einer Jugend entgegen, das sich am Wesentlichen begnügt und erfreut: «Die Jugend ahnt hinter dem Morgenduft die wunderbare Schönheit der Welt; sie sich selbsttätig zu erobern ist ihre Freude (…) Was ist denn eigentlich die Jugend? Doch im Grunde nichts anderes als das noch gesunde und unzerknitterte, vom kleinlichen Treiben der Welt noch unberührte Gefühl der ursprünglichen Freiheit und der Unendlichkeit der Lebensaufgabe. Daher ist die Jugend jederzeit fähiger zu entscheidenden Entschlüssen und Aufopferungen und steht in der Tat dem Himmel näher als das müde und abgenutzte Alter; daher legt sie so gern den ungeheuersten Maßstab großer Gedanken und Taten an ihre Zukunft. Ganz recht! denn die geschäftige Welt wird schon dafür sorgen, daß die Bäume nicht in den Himmel wachsen, und ihnen die kleine Krämerelle aufdrängen. Die Jugend ist die Poesie des Lebens.“
Der Gefühlsüberschwang, den die Romantik auf die Wertmaßstäbe des gewöhnlichen Lebens ablädt, birgt Gefahren in sich, die gerade Eichendorff, als unmittelbar Beteiligter, wie kein zweiter sieht. Emotionale Hochspannung, bedingungslos inszeniert, wird zur Überspanntheit; schiere Daseinsfreude schlägt, ohne Vorwarnung, in ihr Gegenteil um, und die Schönheitsillusionen kollabieren vor dem Hintergrund andrängender Todesahnungen. So ist denn auch die Melancholie die ständige Begleiterin des romantisierenden Helden; man gibt sich aufgeklärt-exaltiert und kann doch nicht begreifen, so heftig in dieses eine Leben eingebunden zu sein, das von dunklen Schatten begleitet wird. Was die Melancholie zudem verstärkt heraufbeschwört, sind die feinen Konturen eines Verfalls, der alle Formen des Lebens umfaßt und sich, aufseiten des empfindsamen Individuums, zu einem schmerzlich-glücklichen Gefühl der Traurigkeit bündelt. Eichendorff hat solche Gefühlsinnenräume oft und gern ausgeleuchtet; in seinem Prosatext Viel Lärmen um nichts, zu dem sich ein anderer Schwermutskünstler, der dänische Philosoph Sören Kierkegaard, besonders hingezogen fühlte, nimmt er ein Traumbild von Heidelberg zum Anlaß, um eine Vergänglichkeit aufschimmern zu lassen, die nicht jenseitig ist, sondern mitwebt am hiesigen Diesseitsgeschehen: «Da träumte ihm, er stände auf dem schönen Neckargebiete von Heidelberg. Aber der Sommer war vorbei, die Sonne war lange untergegangen, ihn schauerte in der herbstlichen Kühle. Nur das Jauchzen verspäteter Winzer verhallte noch, fast wehmütig, in den Tälern unten, von Zeit zu Zeit flogen einzelne Leuchtkugeln in die Luft. Manche zerplatzte plötzlich in tausend Funken und beleuchtete im Niederfallen langvergessene, wunderschöne Gegenden. Auch seine ferne Heimat erkannte er darunter, es schien schon alles zu schlafen dort, nur die weißen Statuen im Garten schimmerten seltsam in dem scharfen Licht. Dann verschlang die Nacht auf einmal alles wieder. Über die Berge aber ging ein herrlicher Gesang (…) Das ist ja das alte, schöne Lied! dachte er und folgte nun bergauf, bergab den Klängen, die immerfort vor ihm herflohen. Da sah er Dörfer, Seen und Städte seitwärts in den Tälern liegen, aber alles so still und bleich im Mondschein, als wäre die Welt gestorben.»
Eichendorff begnügt sich damit, Heidelberg als reine Episode wahrzunehmen, und er ist klug genug, sich vom romantischen Troß rechtzeitig wieder abzusetzen. Einer Dichtkunst, die nur noch mit den abgenutzten Versatzstücken der eigenen Ästhetik arbeitet, setzt er, auf seine Weise bereits geheimnisvoll inspiriert, «die Poesie selber» entgegen, aus der, wie er schreibt, eine bis ins Erhabene hinaufreichende Begeisterungsfähigkeit erwächst, der nichts Geringeres als «das ursprüngliche, freie, tüchtige Leben» zugrunde liegt, «das uns ergreift, ehe wir darüber sprechen». Das Erinnern an diese Poesie ist gleichsam magisch; es währt einen ewigen Frühling lang und erzählt davon, wie Sehnsucht, auch wenn sie erfüllt scheint, niemals an ihr Ende gelangt. In Eichendorffs Gedicht Frische Fahrt klingt das so: «Laue Luft kommt blau geflossen, / Frühling, Frühling soll es sein! / Waldwärts Hörnerklang geschossen, / Mut’ger Augen lichter Schein; / Und das Wirren bunt und bunter / Wird ein magisch wilder Fluß, / In die schöne Welt hinunter / Lockt dich dieses Stromes Gruß. // – Und ich mag mich nicht bewahren! / Weit von euch treibt mich der Wind, / Auf dem Strome will ich fahren, / Von dem Glanze selig blind! / Tausend Stimmen lockend schlagen, / Hoch Aurora flammend weht, / Fahre zu! Ich mag nicht fragen, / Wo die Fahrt zu Ende geht!»
Eichendorff blieb nur ein Jahr in Heidelberg; der schöne Schein aber, der von dieser Zeit ausging, machte ihn zum Dichter, der sein Lied von Gott und der Welt mit den wiederkehrenden Klangfolgen des menschlichen Erlebens versah: Sehnsucht und Glück, Liebe und Leid, Fernweh und Heimkehr, Vergänglichkeit und Freude, Naturschönheit und Künstlertraum, die ihren inneren Halt allesamt aus der Zuversicht des Glaubens beziehen. In Eichendorffs äußerem Leben indes sind Erfolgsbotschaften rar: Die Eltern sind hoffnungslos verschuldet; 1819 wird Schloß Lubowitz zur Versteigerung freigegeben, und Eichendorff entscheidet sich, der Not gehorchend, für die, wie er sie nennt, «gewöhnliche juristische Laufbahn». Trotz guter Examina findet er erst mit 34 Jahren, damals schon Vater von vier Kindern, eine halbwegs auskömmliche Stellung im Staatsdienst. Nahezu drei Jahrzehnte müht er sich als Beamter ab – nicht ohne Ehrgeiz, aber zunehmend resigniert. Er wird zwischen verschiedenen Ministerialbehörden hin- und hergeschoben und quittiert schließlich am 1. Juli 1844 den Dienst. Dreizehn glückliche Jahre sind ihm noch vergönnt: «Das Herz weit und hoffnungsreich, das Auge frei und fröhlich, ernste Treue erfrischend über mein ganzes Wesen, so ist mein Sein, ich möchte fast sagen, mein Verliebtsein in die unvergängliche jungfräuliche Schöne des reichen Lebens. Meine einzige Bitte zu Gott ist: Laß mich das ganz sein, was ich sein kann!»
Über seine Heidelberger Inspirationen ist Joseph von Eichendorff an eine Weltanschauung gelangt, die ein altmodisches Gottvertrauen auf einmal wieder so neu, so heiter und frei erscheinen läßt, daß sogar die Träume der Jugend noch reifen dürfen und am Ende nahezu unversehrt sind. «Der Dichter ist das Herz der Welt!» notiert Eichendorff als eine der kühnen Einsichten, die ihm in Heidelberg nahegelegt werden, und er leitet daraus seine ganz persönliche, «höhere Pflicht» ab, die er als wahres Wort nimmt, das niemals altern kann. In Eichendorffs 1834 erschienenem Roman Dichter und ihre Gesellen findet sich das dazugehörige Bekenntnis; es ist so wundersam wie die Poesie selbst und macht auch denen Mut, die sich, wie wir, schon seit längerem in einer ganz anderen Zeit aufzuhalten haben: «Er sann lange nach (…), sang immerfort ein längst verklungenes Lied leise in sich hinein, ohne zu wissen, woher der Nachhall kam. Da fiel es ihm plötzlich aufs Herz: wie in Heidelberg lagen die Häuser da unten zwischen den Gärten und Felsen und Abendlichtern, wie in Heidelberg rauschte der Strom aus dem Grunde und der Wald von allen Höhen! So war er als Student manchen lauen Abend sommermüde von den Bergen heimgekehrt und hatte über die Feuersäule, die das Abendrot über den Neckar warf, in die duftige Talferne gleichwie in sein künftiges, noch ungewisses Leben hinausgeschaut (…) Die Ahnung war es, der erste Schauer des schönen, überreichen Lebens, das gewißlich mit aller seiner geahnten und ungeahnten herrlichen Gewalt über uns kommen wird, wenn wir nur fröhlich standhalten. Wo wären wir denn aufgewacht von den sogenannten Träumen? Was hätte sich denn seitdem verändert? Aurora scheint noch so jung über die Berge wie damals, die Erde blüht alljährlich wieder bis ins fernste, tiefste Tal – warum sollte denn unsere unsterbliche Seele, die all den Plunder überdauert, allein alt werden? (…) als hätte der Mensch nicht auch die höhere Pflicht, sich auf Erden auszumausern und die schäbigen Flügel zu putzen zum letzten, großen Fluge nach dem Himmelreich, das (…) nicht wie ein Wirtshaus an der breiten Landstraße liegt, sondern treu und ernstlich und mit ganzer, ungeteilter Seele erstürmt sein will.»
Erinnern Sie sich?
Letzte Änderung: 04.12.2025 | Erstellt am: 04.12.2025
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