Erinnern Sie sich? (An Heidegger)

Erinnern Sie sich? (An Heidegger)

Eine literarisch-philosophische Reihe
F. W. Bernstein | Möwe trägt Hut | © Art Virus Ltd.

Im Zeitalter der Beschleunigung vergeht die Zeit scheinbar exponentiell schneller als je zuvor. Angesichts der Fülle flüchtiger vorwärtsgerichteter Augenblicke in unserer modernen Gesellschaft setzt Autor und Philosoph Otto A. Böhmer mit Leichtigkeit und Humor eine satirische Zäsur und schafft komische Ein- und Rückblicke in unsere komplexe, philosophische Welt.

No. 12 – Heidegger

ERINNERN SIE SICH?

Die Sonne stand hoch am Himmel und hatte doch noch nicht alle Kraft beisammen, die sie für den bevorstehenden Sommer brauchte. So sah sie milchig aus, ein wenig verschwommen, was aber auch an den altgewordenen Augen liegen mochte, die sich zu ihr erhoben. Ja, sie waren alt geworden, die Augen, und nicht nur diese -. Elfride H. machte sich da längst nichts mehr vor. Die Kräfte ließen nach, die Körper-Kräfte ebenso wie die des Geistes; manchmal, an ungünstigen Tagen, wurde jede Bewegung zur Last. Es war nicht so, daß sie dem gleichgültig, ja ergeben gegenüberstand; noch immer – nicht. Natürlich hatte es den üblichen Gewöhnungsprozeß gegeben, den alle Menschen mitmachen müssen, was man ja auch als eine Art Gerechtigkeit ansehen kann: Man gewöhnt sich ans Altern, notgedrungen, und die dazugehörigen schwermütigen Gedanken schleifen sich ab, verlieren, alltäglich, an Schärfe. Und doch schmerzte es sie noch: die Gewißheit, der Zeit ausgeliefert zu sein, all die Stunden, Tage, Jahre aus der Hand geben zu müssen; am Ende blieb die Grube, das Grab, eine Heimstatt in kalter Erde. Für diese Gewißheit brauchte man eigentlich Trost, es wäre also von Nutzen gewesen, gläubig zu sein. Aber Elfride H. war nie gläubig gewesen, zumindest nicht christengläubig; sie hatte dafür an die Umgestaltung auf Erden geglaubt, an eine wahre Revolution, die sich in den Dienst des höherwertigen Lebens stellte. Mit diesem Glauben konnte sie nun keinen Staat mehr machen, leider – was weniger an ihr selbst lag, sondern am Unvermögen einiger weniger geschichtlicher Figuren, die sich als unentschlossen und als hasenherzig erwiesen hatten. Für die Regelung der gewöhnlichen Geschäftigkeit unter Menschen war ihr Glaube ohnehin untauglich gewesen; ihm ging es um das große Ganze, um einen historischen Kraftakt, der die schlechte Gegenwart weggefegt und die bereitstehende Zukunft festlich illuminiert hätte. Aber – vorbei war vorbei; eine einmalige Gelegenheit vertan, verschenkt, verraten. Einen erneuten Versuch würde es nicht geben, nicht in absehbarer Zeit, nicht mit ihr und nicht mit ihm.

Elfride H. schaute hinüber zu ihrem Mann, dem größten noch lebenden Denker des Abendlands – so war er, sehr zu Recht, wie sie fand, genannt worden. Er lag im Liegestuhl, der größte noch lebende Denker des Abendlands, und ließ sich die Frühlingssonne auf den Bauch scheinen. Der Liegestuhl stand vor der Hütte, die über Jahre, Jahrzehnte hinweg ihre Trutzburg geworden war, klein, aber fein, und es fiel auf, daß der Liegestuhl schräg stand. Nun befand sich die Hütte ohnehin am Hang, in beträchtlicher Höhe, und das Gelände war dementsprechend abschüssig. Dennoch hatte M.H., ihr Mann, den Liegestuhl anders hingestellt als sonst – schräg eben, in eine Kuhle, so daß das Bild des ruhenden Denkers ein prekäres war: jeden Moment, fand Elfride H., konnte es in sich zusammenfallen, da mußte er nur eine unglückliche Bewegung tun, sich einiger dreister Kritiker erwehren etwa, handgreiflich, im Halbschlummer, der ihn übermannt hatte, und er wäre abgestürzt, mitsamt dem ohnehin wackligen Liegestuhl, abgestürzt, den Hang hinunter – ein Vorgang mit Symbolwert, und die dreisten Kritiker, von denen es ja noch immer so arg viele gab, hätten ihren Spaß gehabt. Elfride H. sah hinüber auf die andere Seite des Tales; dort standen die Berge im Sonnenlicht, das Schwarz der Wälder war aufgerauht und von hellen Schneisen durchzogen.

Wie oft hatten sie beide diesen Blick getan, hinüber auf die andere Seite des Tals, er war zur Selbstverständlichkeit geworden und bot doch, in Momenten einer wie neu antretenden Aufnahmebereitschaft, kleine Geschenke der Wahrnehmung: Die Ansichten des Schwarzwalds, die ihnen mittlerweile zum altvertrauten Inventar geworden waren, veränderten sich dann unter ihren Augen, die Wälder zerfielen, die Enge des Tals verschob sich zu einer trügeri-schen Weite, und der Himmel, ansonsten über allem verharrend, kam herab, setzte sich fest über den Hängen, hüllte sie ein in Wolken und Nebel. Oder die Veränderungen, die von den Menschen verursacht worden waren: ein ungutes Zurechtfeilen der Landschaft, für die Zwecke des touristischen Kommerzes, was ein Ausschlachten bedeutete und zugleich gröbste Kosmetik war – eine Art Schönheitschirurgie, die von Verächtern der Schönheit und ohne die Einwilligung des jeweils Betroffenen praktiziert wurde. So hatten die Skilifte überhand genommen, dazu die wahllos verstreuten, lieblos zusammengehämmerten Ferienhäuser und die zu ihnen hinaufführenden Asphaltwege, deren einzige Funktion darin bestand, den Feriengästen eine bequeme Anfahrt mit dem Auto zu ermöglichen. Diesem neuen Ungeist hatten sie beide sich entzogen, dachte Elfride H.; ihre Hütte, gebaut vor mehr als vierzig Jahren, ließ sich nur über einen steilen Anstieg erreichen, sie war in die Landschaft eingefügt, und sie besaß nichts von jenem Komfort, der heutzutage für selbstverständlich gehalten wurde. Von ihm selbst, von M.H., dem größten noch lebenden Denker des Abendlandes, gab es eine Beschreibung ihres Refugiums, des Häuschens am Hang: “Am Steilhang eines weiten Hochtales des südlichen Schwarzwaldes steht in der Höhe von 1150 m eine kleine Skihütte.

Im Grundriß mißt sie 6 zu 7 Meter. Das niedere Dach überdeckt 3 Räume: die Wohnküche, den Schlafraum und eine Studierzelle. In der engen Talsohle verstreut und am gleich steilen Gegenhang liegen breit hingelagert die Bauernhöfe mit dem großen überhängenden Dach. Den Hang hinauf ziehen die Matten und Weideflächen bis zum Wald mit seinen alten, hochragenden, dunklen Tannen. Über allem steht ein klarer Sommerhimmel, in dessen strahlenden Raum sich zwei Habichte in weiten Kreisen hinaufschrauben. – Das ist meine Arbeitswelt, gesehen mit den betrachtenden Augen des Gastes und des Sommerfrischlers.”
Elfride H. sah den Himmel über sich, der zwar kein Sommerhimmel, sondern erst ein Frühlingshimmel war, so daß der von ihm angesprochene “strahlende Raum” noch nicht ganz jene Leuchtkraft besaß, die den gelungenen Sommern hier oben zukam, und auch die Habichte waren nicht zu sehen; sonst aber stimmte alles, was er in seiner Beschreibung festgehalten hatte. In der Stille, die nur von dem hier üblichen sanften Rauschen untermalt wurde, hörte sie das Knarren der uralten Bäume; schon immer klang es so, als ob die Tannen fallen müßten, steif und im Innern haltlos geworden vom Alter. Sie waren jedoch stehengeblieben, über eine inzwischen unvor-denkliche Zeit hinweg, standen fest in der Erde und trotzten den Jahresstürmen nach eingeübter Weise.

Ja, das Alter -. Sie sah ihn, ihren Mann, auf einmal merkwürdig eindringlich: Wie er da lag, auf seinem schrägstehenden Liegestuhl, mit geschlossenen Augen, leise säuselnd im Schlummer, unter einer Wolldecke, die sich über seinem Bauch spannte, wirkte er unangenehm klein, ja: kleinlich. Natürlich war er ja klein, körperlich klein, M.H., der noch lebende größte Denker des Abendlandes, aber in ihrem Blick war dieses mehr in die Breite als in die Höhe zielende Leibesformat stets ausgeglichen, überhöht worden durch seine enorme geistige Größe, so daß er ihr eigentlich als Riese vorgekommen war, der die Gewichte der Welt trug. Jetzt aber, in diesem einen fast fatal zu nennenden Augenblick, kam er ihr wie ein Zwerg vor, ein im wackligen Liegestuhl abgelegter Zwerg, in dessen Körpermitte sich, unter verfilzter Wolldecke, ein albernes Bäuchlein erhob. Elfride H. rieb sich die Augen. Was war nur in ihren Blick gefahren, daß er sich so eine Frechheit erlaubte. Wie konnte sie ihn, den Mann ihres Lebens, nur mit solchen Augen sehen. Sie schaute hinauf zum Frühlingshimmel – so als habe der diesen häßlichen Täuschungsakt ihres Sehens zu verantworten. Die Sonne hatte sich inzwischen noch mehr ausgebreitet, sie legte Glanz übers Land und reichte bis in die entlegeneren Winkel. Als Elfride H. danach wieder den Blick senkte und auf ihn starrte, ihren Denker, war der Kontrast nur noch größer: M.H., noch immer im Liegestuhl säuselnd, wirkte wie gewaltsam aus der Helle ins Dunkel versetzt, und das Dunkel trug auf, so daß er eigentlich noch kleiner erschien. Und – noch dicker. Sie kam näher, auf leisen Sohlen, aber was sie sah, wurde nicht erfreulicher; eher drohte er im schrägstehenden Liegestuhl noch mehr auseinan-derzugehen, es war, als würde er, vor ihren Augen, von einer bösen Macht aufgepumpt und kastenförmig gemacht.

Sie blieb stehen, eine Stimme klang ihr den Ohren, seine Stimme, die von früher her zu ihr empordrang, eine Reminiszenz aus versunknen Tagen, etwas erinnernd, was ihnen beiden bekannt war, nur zu bekannt, aber auch die Stimme paßte sich dem häßlichen Bild an, das sie vor Augen hatte, und wiederholte eine seiner wesentlichen Erkenntnisse, in höhnischem Tonfall und ganz und gar – verfälscht. “Doch das Sein – was ist das Sein?” sagte die Stimme. “Ich will es dir sagen, Frau. Ich bin es selbst, das Sein, ich – selbst. Dies zu erfahren und zu sagen, muß das künftige Denken lernen. Das Sein – das ist nicht Gott und nicht ein Weltgrund. Das Sein ist weiter denn alles Seiende und ist gleichwohl dem Menschen und vor allem dir, Frau, näher als jedes Seiende, sei dies ein Fels, ein Tier, ein Kunstwerk, eine Maschine, eine Hütte, sei es ein Engel oder Gott. Das Sein, das ich bin, ist, es ist das Nächste, wodurch das Wort Nächstenliebe, zumindest für dich, Frau, eine andere Bedeutung gewinnt. Die Philosophie ist unterwegs zum Sein, also unterwegs zu mir, und mit ihrem Aufbruch geschieht das endgültige Sich-finden in das Wort, in mein Wort, in die Sprache …” Die Stimme endete, und es war, als ob sie ver-endet wäre; ein Gurgeln war noch zu hören, ein Murmeln – und ein böses, schnell hinweggenommenes Gelächter. Wieder rieb Elfride H. sich die Augen, doch es gab kein Pardon: Noch immer lag er da, in seinem schrägste-henden Liegestuhl, der kleinste und dickste Denker des Abendlands, und das Säuseln aus seinem Mund klang wie das Zischeln der ewigen bösen Kreatur. Sie tat zwei Schritte nach vorn, Elfride H., wollte Hand an ihn legen, unter der überall hinreichenden Sonne, Hand an den Liegestuhl mitsamt seinem in ihm lümmelnden Denker, wollte beide den Abhang hinunterpurzeln lassen, was für eine Freude, aber da geschah schon etwas anderes: Das Stuhl sackte ein, an der am tief-sten gelegenen Stelle, in das frühlingshaft weiche Erdreich, und der Denker rutschte so sanft zur Seite, daß er davon nicht mal aufwachen mußte; er blieb liegen, und Elfride H., die sich nun wahrhaftig schämte, fand, daß er aussah wie – ein kompaktes Vieh in der Sonne.

Martin Heidegger (1889 bis 1976) war ein sehr deutscher Philosoph, der deutscher Tiefsinnigkeit noch einmal zur Weltgeltung verhalf. Er tat dies ohne Rücksicht auf Verluste – ohne Scheu auch vor dem wohlfeilen Spott und den Verstrickungen des Bösartigen. Heidegger erinnerte, wieder und wieder, an den im Unvordenklichen aufscheinenden Grund des Denkens; er verstand es, das Hochkomplizierte mit dem Einfachen zusammenklingen zu lassen, und er führte vor, in lebenslanger Arbeit, daß man die Geschichte der Philosophie auch ganz anders verstehen kann. So war denn die Weltgeltung, die er erzielte, kein Mißverständnis, sondern ein Vorgang von innerer Folgerichtigkeit. Er brachte, gleichsam nebenbei, auch eine Aufwertung des Provinziellen hervor, das ohnehin besser ist als der Ruf, den ihm die Propagandisten urbaner Vielfalt verpaßt haben. Ungeachtet der bemerkenswerten Resonanz, die Heidegger gerade im Ausland zuteil wurde, bekannte er sich zu der von ihm selbst so genannten Provinz, womit er die ihm nahestehenden Landschaften seiner Heimat meinte: den Schwarzwald etwa mit seinen Wäldern und Höhen, aber auch Freiburg i.Br., wo er die meiste Zeit über lehrte, und, nicht zuletzt, seine Geburtsstadt Meßkirch, in die er immer wieder gern zurückkehrte. Heidegger, der sich allen Abwerbungsversuchen entzog, mit denen er für das großstädtische Bildungstreiben gewonnen werden sollte, lieferte mit seiner Philosophie die Belege dafür, daß sich auch im überschaubaren Umkreis, aus der Nähe heraus, eine Sicht der Dinge herstellen läßt, die zu einer von den Zeitläuften nur unwesentlich berührten Welt-Offenheit führt.

Daß sich an Heidegger – er gilt übrigens, laut einer Umfrage, als der neben Nietzsche und Kant weltweit bekannteste deutsche Philosoph – noch immer die Geister scheiden, hat weniger mit seiner Philosophie zu tun, die mittlerweile auch von seinen Gegnern zähneknirschend und unter Protest anerkannt wird, sondern läßt sich an einem zählebigen politischen Fehltritt festmachen, für den der Philosoph, nachdem er sich weigerte, öffentlich das Büßerhemd anzulegen, schließlich konsequent abgestraft wurde. Heidegger nämlich ließ sich, man weiß das, mit dem Nationalsozialismus ein, und er tat dies, wie es Philosophen zu tun pflegen, wenn sie sich in die Niederungen der Politik begeben: hochfahrend, rechthaberisch und durchdrungen vom wohltuenden Bewußtsein, es besser zu wissen als andere …
Seine Liaison mit den Nazis hat Heidegger immer als kleineren Betriebsunfall deklariert, weswegen er sich auch zu keiner Entschuldigung oder gar irgendwelchen Bekundungen des Schams aufraffen mochte; fast konnte man meinen, daß ihm der Umstand, sich in der Einschätzung einer historischen Situation geringfügig vertan zu haben, mehr zu schaffen machte als die Barbarei, die von kleingeistig-elitären Deutschtümlern und ihren unzähligen Erfüllungsgehilfen angerichtet worden war. Im übrigen ist es, bis auf den heutigen Tag, unerklärlich, daß Heidegger ausgerechnet in den Horden des Nationalsozialismus die Sendboten des Seins erblicken wollte, dem er, der philosophischen Tradition entgegenarbeitend, sein Interesse widmete. Einmal mehr zeigte sich, daß die vom Allgemeinen herrührende Aufnahmekapazität philosophischer Begriffe wehrlos wird, wenn ihr, in willkürlicher Anmaßung, Inhalte verabreicht werden, die einen ganz anderen Wirklichkeitsbereich, einen ganz anderen Zeit-Horizont meinen – und meinen müssen.

Im Sommer 1916, der für ihn ansonsten nicht sehr erfolgreich verlief, lernte Heidegger, ein kleingewachsener, dunkelhaariger Mann mit eigenartigem Charme, seine zukünftige Frau Elfride Petri kennen. Es geschah am Bodensee, genauer gesagt: auf der Insel Reichenau, und es war der Beginn einer Liebe, die sich, anschließend, durch schwere Zeiten lavierte. Elfride Petri, Offizierstochter, der später die dazu passenden Allüren nachgesagt wurden, stammte aus dem Norden; mit süddeutscher, im besonderen alemannischer Mentalität tat sie sich ein Leben lang schwer. Die “wissende Heiterkeit”, von der Heidegger später einige Male sprach (die er selbst wohl nur eher sparsam bedienen konnte), war nicht unbedingt ihre Sache. Dafür zeigte sie eine Treue, die an Ergebenheit grenzte. Schon früh erkannte sie das Außergewöhnliche an Heidegger, das sie zwar nicht unbedingt verstand, aber stets mit Entschiedenheit verteidigte und unterstützte. Den eigenen Lebens-Entwurf – bis zu ihrer Eheschließung (im März 1917) bewies sie sich als Studentin der Nationalökonomie in einem Fach, das von Männern dominiert wurde – stellte sie, wie selbstverständlich, zugunsten der Karriere ihres Mannes zurück, was ihr vermutlich nicht ganz leichtgefallen ist. Elfride Heidegger, als verhinderter Wirtschaftswissenschaftlerin, lag denn auch das “rechnende Denken”, von dem Heidegger übrigens nicht viel hielt, mehr als die Philosophie, der sie nur dann etwas abgewinnen konnte, wenn dieser zuvor im eigenen Hause höchstrichterliche Billigung zuteil geworden war.

Während sie Heidegger ansonsten in (fast) allem folgte, ging sie ihm voran, als es zweckmäßig wurde, Gesinnung zu zeigen. Es ist wohl richtig, wenn man sagt, daß Elfride H. eine überzeugte Nationalsozialistin war, die nicht nur der damals weitverbreiteten, aus den unterschiedlichsten Irrationalismen zusammengebrauten Aufbruchstimmung erlag, sondern sich auch als Aktivistin präsentierte, der antisemitische Ressentiments keineswegs fremd waren. Folgt man diversen Zeitzeugen, so hat sie sich zudem einen hartnäckigen Rest an Unbelehrbarkeit bewahrt, der den Umgang mit ihr, um es milde zu sagen, etwas erschwerte; wahrscheinlich ist es auch diese Unbelehrbarkeit gewesen, die Hannah Arendt, Heideggers große Liebe, zu dem Stoßseufzer veranlaßte: “Die Frau, fürchte ich, wird so lange ich lebe bereit sein, alle Juden zu ersäufen. Sie ist leider einfach mordsdämlich …”
Mordsdämlich war Elfride H. sicher nicht; im Laufe der Zeit wurde sie für Heidegger nur noch wertvoller, weil: unentbehrlich. Sie nahm ihm das Unangenehme ab, entwickelte taktisch-organisatorisches Geschick, wenn es galt, die Biographie ihres Mannes ins Tragische hinein umzudeuten . Heidegger wußte, was er an seiner Elfride hatte, und in Gedanken ist er der Lebens und Zweckgemeinschaft, die ihn mit seiner Frau verband, immer treu geblieben. Von der Liebe, in der sie beide einst zusammenfanden, kündet noch ein Gedicht, das Heidegger in Erinnerung an den Sommer 1916 schrieb – “Abendgang auf der Reichenau” heißt es und geht so: “Seewärts fließt ein silbern Leuchten / zu fernen dunkeln Ufern fort, / und in den sommermüden, abendfeuchten / Gärten sinkt wie ein verhalten Liebeswort / die Nacht. / Und zwischen mondenweißen Giebeln / verfängt sich noch ein letzter Vogelruf / vom alten Turmdach her – / und was der lichte Sommertag mir schuf / ruht früchteschwer – / aus Ewigkeiten / eine sinnentrückte Fracht – / mir in der grauen Wüste / einer großen Einfalt.”

Erinnern Sie sich?

Letzte Änderung: 17.01.2025  |  Erstellt am: 17.01.2025

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