Die Sache mit der Wohnungssuche. Damals schon schwer und längst nicht einfacher geworden, begleitet Sarah C. Schusters kurzes Prosastück ein Pferd zu einer Wohnungsbesichtigung.
EIN ZIMMER FÜR EIN PFERD
Die Herde zwängte sich zur gegebenen Uhrzeit durch den steilen, schmalen Treppengang in Richtung Dachgeschoss. Das Holz knarrte unter der Anspannung: Massenbesichtigung. Das Pferd versuchte, seine Position nicht zu verlieren, ohne jemals eine gehabt zu haben. Die Chancen waren räudig, denn das Pferd hatte weder einen Kuchen gebacken noch eine Flasche Champagner in der nicht vorhandenen Hand oder einen Haushalt mit doppeltem Einkommen.
Stattdessen zwängte es seine Person in das kleine Kästchen eines Fragebogens. Das Papier: Was sind Sie beruflich? Das Pferd: Student. (Vermieter verbessert die Antwort des Pferdes, notiert sich arbeitslos und manövriert Student Richtung Ausgang). Vermieter: Wir melden uns bei Ihnen.
Enttäuschende Aussichten, enttäuschte Einsicht, nicht nur für Menschen. Enttäuschte Souveränität. Zurück im Stall durchsuchte das Pferd seinen Briefkasten, sortierte die Rechnungen beiseite und öffnete das amtliche Schreiben, das übrigblieb. Zwecks Katalogisierung Ihrer Person hätten wir noch eine Frage bezüglich Ihrer derzeitigen Wohnverhältnisse: Wohnen Sie in einer Wohn- und Wirtschaftsgemeinschaft und einer Verantwortungs- und Einstehensgemeinschaft – ja, nein oder nur eines von beiden?
Um schnellstmögliche (!) Antwort wurde gebeten. Natürlich, Zeit kostet – gibst du ihr die Hand, zeitigt sie schon mal den ganzen Arm, dann ist es mit der Armut auch nicht mehr so weit. Man sagt, die Zeit habe schon bei manchen Menschen das Kapital samt Kopf gefressen: kaputale Zeitnot. Die Geschichte mit dem Arm und der Zeit.
Man sagt weiter, Zeitarmut habe ihren Ursprung in einem nicht fristgerecht eingereichten Antwort-Schreiben auf eine Frage, die nicht mehr gestellt werden durfte – mehrfach kopiert und archiviert in verstaubten Aktenschränken längst untergegangener Kulturen. Man sagt, diese Antwort sei nun nur noch Wort: sie habe ihr Anti verloren.
„Wie ich wohne?“, dachte das Pferd. Die Kopie Ihrer Meldebescheinigung sowie die Kopie Ihres Personalausweises bestätigen die von Ihnen angegebene Adresse als Ihren aktuellen Wohnsitz. Das Pferd wohnte nicht. Es dachte. Es suchte. Dabei wusste es, dass es bei den Setzungen kleinkarierter Formvorleger nichts zu gewinnen gab. Es konnte sich nicht mal an seine eigene Enttäuschung halten. Auf nichts war Verlass. Aber eines Tages wird ein Pferd in den Altbauten unserer Stadt die Dielenböden der Jahrhundertwende freilegen.
Verworfener Grund, von Laminat verstellt, das kein Herzbrett kennt. Verworfener Boden, der atmet, der spricht – der antwortet, wenn man ihn begeht: verworfene Rede. Es tut mir leid, Ihnen mitteilen zu müssen, dass wir uns leider anderweitig entschieden haben. Wir danken Ihnen für Ihr Interesse und wünschen Ihnen für die Zukunft viel Erfolg. Wonach das Pferd eigentlich suchte? Es musste nicht mit dem Kopf gegen die Wand rennen, um zu wissen, dass sie da ist. Doch wie sollte es überhaupt loslaufen, wenn es keinen Grund hatte, auf dem es stehen kann.
Letzte Änderung: 27.06.2024 | Erstellt am: 25.06.2024
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