Zum Tod von Raimund Fellinger

Zum Tod von Raimund Fellinger

Erinnerung
	  Raimund Fellinger  | © Foto: Wolfgang Becker

Raimund Fellinger, der große Steuermann des Suhrkamp Schiffes, ist gestorben. Als Lektor und Cheflektor prägte er das Programm, das Gesicht des renommierten Verlages. Der Schriftsteller Andreas Maier widmet ihm eine persönliche Erinnerung.

Raimund Fellinger verstummte schon einmal. Am Aschermittwoch 2013 versuchte ich ihn zu erreichen, keine Antwort. Am Donnerstag: nichts. Am Freitag rief ich im Verlag an. Er hatte am Mittwoch einen Schlaganfall erlitten, einen schweren. In diesen Tagen, er war in Berlin, sah ich ihn nicht. Er konnte nicht mehr sprechen. Die erste Nachricht von ihm erreichte mich am Samstag, eine SMS. Sie bestand aus zwei zusammenhangslosen Buchstaben, es war nur der Versuch einer SMS. Seine Frau erzählte, Raimund Fellinger habe, so ziemlich als das erste nach dem Schlaganfall, im Krankenhaus nach der Neuen Zürcher Zeitung verlangt. Man könnte hierin ein Zitat aus Thomas Bernhards Wittgensteins Neffe vermuten. Aber er las tatsächlich immer die Neue Zürcher Zeitung, ich selbst besorgte sie ihm einige Male.

Als ich ihn im idyllischen Bad Salzhausen besuchte, wo er sich zur Erholung und zum Sprachtraining aufhielt, einsam in der kleinen Stadt, sah ich sein Krankenzimmer. Er hatte es in ein Arbeitszimmer verwandelt. Ich musste lachen und rief aus: Raimund, was ist denn das? Er sagte bloß, er schreibe an einem Nachwort zu Ja. Allerdings arbeitete er natürlich auch an anderen Dingen.

Wir liefen langsam durch Bad Salzhausen und gingen ins Kurhaus, einen Kaffee trinken und ein Stück Kuchen essen. Ich trank Riesling, er blieb bei dem erstgenannten. Der Tag war grau. Wir sprachen ein bisschen über den Verlag, über meinen Roman, über ihn. Die Zeit tröpfelte für eine Stunde. Wer uns sah, hätte uns sicher für Verwandtschaft gehalten.

Dann begleitete ich ihn zurück zur Klinik, am unteren Ende einer riesigen, mehrfach gewinkelten Treppe verabschiedete er sich. Dass ich ihn zur Unterstützung diese Treppe hochbegleite, lehnte er ab. Es wäre, sagte er, für mich ein unnützer Weg. Ich blieb also unten und sah ihn, wie er mit langsamen, angestrengten Schritten diese schier endlose Treppe hinaufstieg, immer eine Hand am Geländer, mit dem speziellen Sitz seines Sakkos, und ohne zurückzuschauen. Ich war in diesem Moment erschüttert. Es ist das Bild, das ich seitdem immer vor mir hatte: Wie er langsam diese endlose Treppe nach oben steigt.

Die Welt hatte ihn dann noch sieben Jahre. Wir haben noch schöne Dinge gemacht, als gäbe es immer eine Zukunft. Drehten gemeinsam Filme, arbeiteten an Texten, aßen zusammen, feierten. Aber die Treppe ist er schließlich weitergegangen. Langsam, Schritt für Schritt, schier endlos lang. Er hat es geschafft. Es ist vollbracht.

Letzte Änderung: 16.08.2021

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