MANDRAGOREK

MANDRAGOREK

Zum Tod von Bert Papenfuß-Gorek im Sommer 2023
Bert Papenfuß-Gorek | © Ordu Oğuz, wikimedia commons

„Die Freiheit ist eine Schimäre“, schrieb er, und die einzige Beherrschung, die er akzeptierte, war die Selbstbeherrschung. Bert Papenfuß war ein freundlicher Anarchist, Kultfigur und Aushängeschild der Prenzlauer Berg Connection. Angeregt von der historischen Bohème, DaDa und Futurismus, wurde er als Lyriker, Sänger und Songwriter zur Legende des DDR Undergrounds. Der Schriftsteller Henryk Gericke erinnert an den Freund Papenfuß.

Der Tag hauchte aus, es war dunkel, das Wetter übel. Ich trat auf die Kastanienallee, den Prater-Garten im Rücken. Zwei Tage in Folge hatten Kombattanten und Sympathisanten „Papenfuß“ gefeiert. Am Vorabend navigierte Jürgen Kuttner in der Volksbühne durch eine gelungene Revue von Zitaten und filmischen Porträts des Meisters sowie von poetischen Darbietungen, Manifesten, Konzerteinlagen, wirren Statements und Selbstdarstellungen einer berufenen Schar von Gefährten und Kollegen. Die Volksbühne war ausverkauft, ein Auflauf alter Seilschaften. Manche stellten sich aus, andere ließen sich blicken, loyale Freunde umarmten, treue Feinde ignorierten einander. Eine schwer einzuschätzende Erregung bemächtigte sich aller, eine allgemeine Fassungslosigkeit füllte das Theater in Erwartung eines letzten Aktes.

Bert Papenfuß war ein Meister ohne Kreis, dennoch brach mit seinem Tod ein Zentrum weg. Es blieb eine Präsenz. Schon an diesem Abend deutete sich an, dass die Ikonografisierung des Dichters in vollem Gange war. Insbesondere die explizit politischen Statements aus seiner Feder und aus seinem Munde kamen zur Aufführung. Ein inzwischen überwiegend bürgerliches Publikum reagierte gefällig auf Ausführungen zur Abschaffung des Privateigentums. Erlöst durch den guten Witz, lachte man bei Berts Aufruf zum Generalstreik: „Nicht arbeiten kann jeder.“

Dass Berts Leben diese Worte gleichsam widerlegte, war keine Frage tieferer Einsichten in die Person, sondern sternenklar. Papenfuß war im Wortsinne ein Arbeiterpoet. Er schmiedete Verse, er feilte am Text, er prägte Bands, er schraubte an Zeitschriften, er betrieb Kneipen. Beinahe in allen der unzähligen Nachrufe auf ihn, wurde sein Pensum gewürdigt. Zugleich verlor der Künstler an Plastizität, denn der Mensch endete in der Beschreibung eines Anarchodichters und Trinkerbarden. Natürlich war Bert zu jeder Zeit ein politischer Dichter, doch seine Dichtung wurde lauter, je leiser er selbst wurde: „unumstößlich klingt sie aus, die ära des aktiven wortspiels“. Von Ära zu Ära schob sich die Botschaft vor die Poesie. Nur, Papenfuß wäre nicht der aktuell gefeierte Literat der Revolte, wenn er nicht zu allen Zeiten ein Poet von Format gewesen wäre. Er verfügte in unerreichter Weise über die Gabe, die Energie von Punkrock und die freiheitlich-experimentelle Grundordnung von Postpunk in ein wohlgesetztes Chaos der Worte umzuwandeln. Ihre mythologischen wie privatmythologischen Bedeutungen verquirlte er mit einem universellen Wissen, einem etymologischen Understatement, mit Obszönitäten und einem zur Hölle schreienden Humor. Vielleicht hat in der deutschsprachigen Lyrik nach dem Zweiten Weltkrieg niemand derart als Neuerer gewirkt, ihm voran noch Ernst Jandl und, um ein Jahrzehnt versetzt, Thomas Kling.

Dem Begängnis in der Volksbühne folgte am Morgen des 7. Oktober die Grablegung. Bert, der durchaus die Aura von Daten achtete, hätte die auseinanderdriftende Koinzidenz von Bedeutung und Status, von „Republikgeburtstag“ und Undergroundbegräbnis, vielleicht gefallen. Seine Beerdigung glich dann auch einem Staatsbegräbnis des Undergrounds. Es kamen viele, die Kapelle fasste die Herde nicht. Wie schon beim Begräbnis des zwanzig Jahre zuvor gestorbenen Anarchisten, Punkhippies und Dichters Lothar Feix in derselben Kapelle, war es ein irritierender Anblick, Berts Urne unter dem Kreuz zu sehen. Eine Bildstörung. Ihre Entzerrung fand durch siebenundsechzig Rosen statt, die an einer Leine quer durch die Kapelle hingen; Bert war ein Intensivtäter, weil er ein Liebender war.
… und ein Förderer. Von den 80er Jahren angefangen, hatte er die Veröffentlichung meiner Texte unterstützt. Im Kaffee Burger (zehn Jahre sicherte mir „das Burger“ die sogenannte Existenz) hielt er die Hand über mich. Gegen Beschwerdeführer unter den anderen Eignern verteidigte er meine zuweilen irregulären DJ-Sets und Veranstaltungen. Jahre später erfuhr ich davon. Nie verlor Bert mir gegenüber ein Wort darüber.

Nachdem im Mai 2023 bereits Andreas Koziol gestorben war, empfand ich den Tod von Bert Papenfuß als weiteren Volltreffer ins Gemüt. Diesem Gefühl, das durchaus ein Zustand war, verschaffte Stefan Döring während der Beisetzung den ergreifendsten Ausdruck. In der ihm eigenen minimalistischen Diktion las er für den Freund aus seinem Gedichtzyklus „drei etüden“. Eine Verbindung wurde im Raum spürbar, die vielleicht unerklärt blieb und auch nicht frei von Kämpfen war, welche jedoch einer lebenslangen Allianz entsprach. Dann trat Berts Tochter Leila-Anastasia neben das Porträt ihres Vaters. Leila las, bleich, mit schwarzen Blüten im Haar, Baudelaires „Berauscht Euch“. In der Kapelle echote es immer wieder verhalten, aber dringlich: „Seid trunken!“ Dieser Appell öffnete eine Dimension, die den Nachrufen auf eine Ikone fehlt. Berts Trunkenheit war eben nicht zuerst als Konsum zu verstehen, seine Verausgabung als „Wortzertrümmerer“ nicht einfach Berserkertum. Papenfuß schuf Dichtung von gebrochener Perfektion, nicht in seiner Poesie lag Verweigerung, in seiner Verweigerung lag Poesie, denn Bert war trunken vor Schönheit, egal wie Konvention Schönheit deuten mag.

… dann folgte auf dem Georgen-Parochial-Friedhof eine Seebestattung; den Matrosen der Prenzlauer-Berg-Marine ließ man unter dem Gesang der Gemeinde und den Klängen eines Akkordeons mit einem Shanty in das Berginnere hinab. Becherovka stand bereit, der Schnaps wurde wahlweise ins offene Grab oder in den Hals geschüttet. Die Bar war also eröffnet und man begab sich zum weiteren Kulturgelage in den Prater an der Kastanienallee. Der Ort war gut gewählt, die dienstälteste gastronomische Institution in Prenzlauer Berg war auch Stätte politischer Zusammenkünfte der Arbeiter im späten 19. und frühen 20. Jahrhundert. Auf dem Hof des Prater Gartens hatte in den 1990er Jahren die von Bert mitherausgegebene Zeitschrift „Sklaven“ ihr Hauptquartier. Nun fand man sich im Prater ein, um den Abschied vom Commandante der Szene zu feiern. Der Abend geriet zum Kontrastprogramm des großen Finales in der Volksbühne. Was dort eng getaktet über die Bühne gegangen war, gestaltete sich im Prater freier, um nicht zu sagen chaotischer. Der Ablauf war nie ganz klar, wurde oft zwischen den Darbietungen geregelt. Dichter deklamierten, Philosophen proklamierten, Bands spielten, DJs machten den Pausenclown, bevor dann noch zum Tanze aufgelegt wurde. Und es wurde getanzt. Man zögerte Berts endgültigen Heimgang um über zwölf Stunden hinaus.

Irgendwann trat ich auf die nächtliche Kastanienallee. Wie auf einem Bild Otto Nagels spiegelten sich die Leuchtreklamen verzerrt auf dem nassen Pflaster. Eine alte Abkürzung wählend, überquerte ich die Allee und trat in eine „Passage“ ein, wo sich früher ein Parkplatz befunden hatte. Seine schwarze Erde war stets von Reifen zerwühlt gewesen, man tappte durch Staub oder stakste durch Matsch von der Kastanienallee zur Schönhauser. Lange noch hatte dieser Nullpunkt gespeichert, was einst auch ungeregelt funktionierte. Vor einigen Jahren überbaute man die wilde durch eine architektonische Brache, schwarzer Sand wich creméfarbenem Sandstein. Abends dezent illuminiert, ist dieser Nicht-Ort gesäumt von Schaufenstern, hinter denen sich entweder Unternehmen unklaren Charakters verbergen oder sich die Dioramen von „Coworking Spaces“ für „digitale Nomaden“ zur Schau stellen. Auf halbem Wege durch dieses Ensemble ist man mit dem lebensfeindlichen Modell eines Spielplatzes konfrontiert; mit einer funktionalen Flucht von Edelstahlrutsche, handtuchgroßem Sandkasten und drei pilzartigen Hockern, letztere ein skulpturgewordenes Blindenzeichen, unfreiwilliger Ausdruck der Ignoranz gegenüber einer Kultur, die sich nicht in die Lustfeindlichkeit einer aseptischen Ordnung fügt.

Vor diesem Antidenkmal blieb ich in Andacht stehen. Zu keiner Minute in den vergangenen 48 Stunden brauchte ich so viel Kraft vor der Wahrheit: Bert war tot, Papenfuß würde nur noch im Wort zu verorten sein, der große Mandragorek war nun reine Poesie.

 
 
 
 
„unumstößlich klingt sie aus, die ära des aktiven wortspiels“: Aus „arianrhod von der überdosis“, 1988 in der ariadnefabrik erschienen, 2023 im Booklet zur Schallplatte Corp Cruid I, tapetopia 007 in der Serie tapetopia – GDR Undergroundtapes 1980 – 1990.

Mandragorek: Bezugnehmend auf „Ation Aganda“ von B.P. Mandragorek (22.7.‘84; rec. 10./11.10.‘84),: Ation-Aganda. Gedichte 1983–1990.

Letzte Änderung: 10.02.2024  |  Erstellt am: 10.02.2024

Ation-Aganda | © Ordu Oğuz, wikimedia commons

Bert Papenfuß Ation-Aganda

Gedichte 1983–1990
32 Zeichnungen von Bert Papenfuß und Ronald Lippok
mit CD-Audio, ca. 60 Minuten
176 S., geb.
ISBN-13: 9783938767504
Engeler Verlag, Schupfart 2008

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