Otto A. Böhmer bewegt sich so kundig in der Philosophiegeschichte, dass man neidisch werden kann. Und wie er die hochfliegenden Reflexionen der Denker in den Alltag versetzt, erzeugt hochkomische innere Monologe und virtuose Dialoge. Aus der Porträtsammlung „Wie Philosophen an sich selbst scheitern“, die im Frühjahr 2023 erscheint, wählen wir zu Beginn „Adorno“.
Mit den Tücken des Alltags kommen Philosophen nicht unbedingt besser zurecht: Manch mächtiger Gedankengang, zu dem sie sich aufschwingen, erweist sich vor der Realität als Schuß in den Ofen, und was das Bemühen angeht, mit den täglichen Belästigungen Schritt zu halten, die das Leben so bringt, befindet sich der Philosoph dabei oft genug auf dem Holzweg. Für lang anhaltende Momente kann er aus dem Tritt geraten oder gar die gedankengestützte Orientierung verlieren – seiner Würde muß das keinen Abbruch tun. Im Gegenteil: In den ganz gewöhnlichen Zumutungen, im kaum merklichen Scheitern erweist sich der Philosoph als Mensch unter Menschen, über den man lächeln darf, gerade weil der Respekt vor seinem Denken ins Beträchtliche wächst.
Das vorliegende Buch berichtet von den mal erhabenen, mal erheiternden Bemühungen der Philosophen, im Geschäftsbetrieb des Alltags Haltung zu bewahren und der eigenen Rede Sinn nicht zu vergessen. Die kleinen Begebenheiten im Leben großer Philosophen, die der Autor zu sich bittet, erzielen fast immer Wirkung: Sie passen ins Bild der jeweiligen Philosophie, so dass man vermuten darf, sie könnten erdacht worden sein, um den dazugehörigen Philosophen bei merk- und denkwürdiger Laune zu halten. – Philosophie kann nicht leisten, was, im wiederkehrenden Anspruch, von ihr verlangt wird; ein Defizit, aus dem auch das auf- und abschwappende Interesse stammt, mit dem sich die Philosophie konfrontiert sieht. Wenn alles so viel weniger eindrücklich ist, als man vermutet hat; wenn die Antworten fehlen, dafür aber neue Fragen auftauchen, dann werden die Philosophen zurückgeworfen auf die Anfänge des Denkens, das sich von jeher im Kreis bewegt. Es ist, wie es ist: Der Philosoph kann scheitern im Leben, und er befindet sich damit in vorzüglicher Gesellschaft. Auch der Tod löst nicht das Problem, das er, letztendlich, selber ist: „Wenn ein Philosoph“, beschied schon der boshafte Schopenhauer, „etwa vermeinen sollte, er würde im Sterben einen ihm allein eigenen Trost, jedenfalls eine Diversion, darin finden, daß dann ihm ein Problem sich löste, welches ihn so häufig beschäftigt hat, so wird es ihm vermutlich gehen wie einem, dem, als er eben das Gesuchte zu finden im Begriffe ist, die Laterne ausgeblasen wird …“
Um so mehr scheint demnach der Blick zurück zu lohnen: Nostalgie ist erlaubt, ja: erwünscht. Was gedacht wurde, kann, in aller Unverbindlichkeit, wieder gedacht werden; vom Museum des Denkens führen noch immer Fluchtwege hinaus ins Unbehauste. Es steht uns frei, die Philosophie von einst zu feiern – respektvoll, aber auch maliziös, wie es einer Zeit, die das bessere Wissen durch Besserwissen ersetzt hat, entspricht. Die großen Philosophen waren kühn genug, es mit Gott und der Welt aufnehmen zu wollen, wobei sie sich selber nicht vergaßen; darin liegt ihre Würde, eine stille Komik auch wohl, der wir, wie betagte Traumtänzer, noch immer gern verfallen. Im Leben, in dem es bekanntlich lebensgefährlich zugeht, erweist sich die Philosophie als Verständigungsprogramm für selbstbewußte Aussitzer und anspruchsvolle Verlierer. Aus ihm blitzt bei Gelegenheit jene Heiterkeit auf, die wir in unseren besten Stunden als einen tröstlichen Schimmer auszumachen glauben, der uns zukommt und über den Dingen liegt. Gut so. Das darf so bleiben.
ADORNO
Geb. 11.9.1903 Frankfurt a.M., gest. 6.8.1969 Visp (Wallis, Schweiz)
Ist das denn alles?
Theodor Wiesengrund-Adorno wuchs als Sohn einer Sängerin und eines Weinhändlers auf; der Einfluß der Mutter war deutlich prägender, so dass es nicht überraschend kam, als er ihren Namen annahm. Anfangs prägte ihn die Musik mehr als die Philosophie, in deren Dunstkreis er eher zögerlich geriet. 1931 habilitierte sich Adorno mit einer Arbeit über Kierkegaard; die Philosophie hatte, was seine persönliche Interessenlage anging, endgültig zur Musik aufgeschlossen. 1938 übersiedelte er mit dem Frankfurter Institut für Sozialforschung nach New York. Die Jahre der Emigration, in denen wichtige Schriften wie „Minima Moralia“, „Philosophie der neuen Musik“ und die „Dialektik der Aufklärung“ entstanden, bei der Max Horkheimer als Coautor fungierte, währten bis 1949; dann kehrte Adorno nach Frankfurt zurück. Er wirkte nun ganz als Professor, eine Existenzform, die ihm auf den Leib geschrieben war, wie sich herausstellte. Die eigentliche Stärke seiner Philosophie, nämlich die Kunstfertigkeit, Widersprüche auszuhalten, ohne falsche Hoffnungen aufkommen zu lassen, erwies sich anfangs als faszinierend und zeitgemäß; später jedoch kamen handfeste Widerstände auf: Man deutete das Aushalten des Unvereinbaren als ein Aussitzen realer Probleme und diskreditierte das von Adorno ausgesprochene Bilderverbot, welches ja durchaus eine altehrwürdige Tradition besitzt, als ästhetisch verbrämten Eskapismus. Diese Schmähungen, die auf den Philosophen herniedergingen, haben ihn, wie man inzwischen weiß, getroffen. – Adorno blieb dem Subjekt in altmodisch-kritischer Treue verbunden. Aus der „Wahlverwandtschaft von Erkennendem und Erkannten“, von der er sprach, erwächst ein negativ geläutertes Selbstverständnis, das mit dem Anderssein der Welt als Objekt vertraut werden kann: „Vom Subjekt ist Objekt nicht einmal als Idee wegzudenken, aber vom Objekt Subjekt. … Um das Ding zu spiegeln, wie es ist, muß das Subjekt ihm mehr zurückgeben, als es von ihm erhält.“ – Eine Erweiterung des eigenen Ansatzes, kritische Philosophie im Bewußtsein ihrer nichthintergehbaren Widersprüche zu betreiben, entwickelte Adorno in seiner Ästhetik. Sie wird, als künstliches Denken aufgeschobener Wahrheit, zur Sprachkritik, die unter einem übergeordneten Interesse steht. Schon in seinem Hauptwerk, der „Negativen Dialektik“, hatte Adorno darauf verwiesen, daß „der Philosophie ihre Darstellung nicht äußerlich“ sei, „sondern ihrer Idee immanent“. Dafür steht auch der berühmt gewordene Schlußaphorismus aus den „Minima Moralia“, in dem es heißt: „Philosophie, wie sie im Angesicht der Verzweiflung einzig noch zu verantworten ist, wäre der Versuch, alle Dinge so zu betrachten, wie sie vom Standpunkt der Erlösung sich darstellten. Erkenntnis hat kein Licht, als das von der Erlösung her auf die Welt scheint: alles andere erschöpft sich in der Nachkonstruktion und bleibt ein Stück Technik.(…) Ohne Willkür und Gewalt, ganz aus der Fühlung mit den Gegenständen heraus solche Perspektiven zu gewinnen, darauf allein kommt es dem Denken an……“
Der Philosoph Theodor W. Adorno setzte sich einmal zu dem Philosophen Martin Heidegger an den Tisch. Dieses denkwürdige Ereignis, von dem wir erst kürzlich Kenntnis erhalten haben, fand im Restaurant Strandmöwe bei Dagebüll statt, in dem man an guten Tagen Meerblick hat, allerdings nur im ersten Stock und dort auch nur im Stehen. Da beide Herren einander nicht kannten, konnte es zu dem folgenden, durchaus freundlich gehaltenen Zwiegespräch kommen.
Adorno (er hatte sich gerade einen Fischermen’s Toast mit gemischtem Salat sowie ein großes Spezi bestellt):
„Ach ja! Wenn man bedenkt, daß das philosophische Denken – nach Abstrich von Raum und Zeit – weder Reste zum Gehalt hat noch generelle Befunde über Raumzeitliches …“
Heidegger (er wartete seit geraumer Zeit auf einen Hubertustopf mit Spätzle und ein Glas Bollschweiler Ölegarten):
„Sie sagen es! Dabei fragen wir uns doch immer wieder, ob das Dasein nur Gewesenes im Sinne des Dagewesenen ist – oder gewesen als Gegenwärtigendes-Zukünftiges, in der Zeitigung seiner Zeitlichkeit.“
Adorno: „Eben. Wo ein absolut Erstes gelehrt wird, ist allemal, als von seinem sinngemäßen Korrelat, von einem Unebenbürtigen, ihm absolut Heterogenen die Rede; prima philosophia und Dualismus gehen zusammen. Um dem zu entrinnen…“
Heidegger: „Müssen wir uns wieder auf das aus dem Sichvorweg entnommene Phänomen des Noch-nicht besinnen. Es ist ja so wenig wie die Sorgestruktur überhaupt eine Instanz gegen ein mögliches existentes Ganzsein, daß dieses Sichvorweg ein solches Sein zum Ende allererst möglich macht. Aber, verzeihen Sie bitte, ich habe Sie unterbrochen.“
Adorno: „Das macht nichts. Je selbstherrlicher das Ich übers Seiende sich aufschwingt, desto mehr wird es unvermerkt zum Objekt und widerruft ironisch seine konstitutive Rolle. Denken bricht in zweiter Reflexion die Suprematie des Denkens über sein Anderes, weil es Anderes immer in sich schon ist.“
Heidegger: „Leider denken ja nicht alle so wie Sie. Die meisten haben längst vergessen, daß in der einfachsten Handhabung eines Zeugs das Bewendenlassen liegt. Das Wobei desselben hat den Charakter des Wozu; im Hinblick darauf ist das Zeug verwendbar oder in Verwendung. Das Verstehen des Wozu, das heißt des Wobei der Bewandtnis, hat die zeitliche Struktur des Gewärtigens.“
Adorno: „Allerdings. Wen wundert`s da noch, daß der Gedanke, der nichts positiv hypostasieren darf außerhalb des dialektischen Vollzugs, über den Gegenstand hinausschießt, mit dem eins zu sein er nicht länger vortäuscht; er wird unabhängiger als in der Konzeption seiner Absolutheit, in der das Souveräne und das Willfährige sich vermengen. Vielleicht zielte darauf die kantische Exemtion der intelligiblen Sphäre von jeglichem Immanenten.“
Heidegger: „Meinen Sie? Ich glaube eher, daß der Umgang mit Zeug sich letztlich doch der Verweisungsmannigfaltigkeit des Umzu unterstellt. Die Umsicht bewegt sich in den Bewandtnisbezügen des zuhandenen Zeugzusammenhangs… Guten Appetit darf ich wünschen!“
Adorno: „Danke. Ihnen auch. Der mythische Bann hat sich ja säkularisiert zum fugenlos ineinandergepaßten Wirklichen. Das Realitätsprinzip, dem die Klugen folgen, um darin zu überleben, fängt sie als böser Zauber ein; sie sind desto weniger fähig und willens, die Last abzuschütteln, als der Zauber sie ihnen verbirgt: Sie halten sie für das Leben. Alles, was heutzutage Kommunikation heißt, ausnahmslos, ist nur der Lärm, der die Stummheit der Gebannten übertönt …“
Heidegger (nach einer kurzen, aber deutlich vernehmbaren Pause des Ankostens): „Hm … Was essen Sie da, wenn ich fragen darf?“
Adorno (sorgfältig kauend): „Einen sogenannten Fischermen’s Toast. Etwas pappig, aber geschmacklich erfreulich neutral. Und Sie? Sind Sie mit Ihrem…“
Heidegger: „Mit meinem Hubertustopf will ich nicht unzufrieden sein. Zumindest ahnt man, was man ißt, und weiß doch nicht …“
Adorno: „Daß eine Art Versenkung ins Detail wie auf Verabredung jenen Geist zutage fördert, der als Totales und Absolutes von Anbeginn gesetzt war.“
Heidegger: „Dabei kann die durchschnittliche Alltäglichkeit ja durchaus bestimmt werden als das verfallend-erschlossene, geworfen-entwerfende In-der-Welt-sein. Ob es aber gelingen kann, diese Strukturganze der Alltäglichkeit des Daseins in seiner Ganzheit zu erfassen?“
Adorno: „Warum nicht? Das Moment von Selbständigkeit, Irreduktibilität am Geist dürfte doch wohl zum Vorrang des Objekts stimmen. Wo Geist heute und hier selbständig wird, sobald er die Fesseln nennt, in welche er gerät, indem er anderes in Fesseln schlägt, antizipiert er, und nicht die verstrickte Praxis, Freiheit.“
Heidegger: „Dieser phänomenale Befund ist nicht wegzudeuten. Das Gewissen ruft das Selbst des Daseins auf aus der Verlorenheit in das Man. Das angerufene Selbst bleibt in seinem Was unbestimmt und leer.“
Adorno: „Unter anderem wohl auch, weil der Überschuß übers Subjekt, den subjektive metaphysische Erfahrung nicht sich möchte ausreden lassen, und das Wahrheitsmoment am Dinghaften Extreme sind, die sich berühren in der Idee der Wahrheit. Denn diese wäre so wenig ohne das Subjekt, das dem Schein sich entringt, wie ohne das, was nicht Subjekt ist und woran Wahrheit ihr Urbild hat. Unverkennbar wird reine metaphysische Erfahrung blasser und desultorischer im Verlauf des Säkularisierungsprozesses, und das weicht die Substantialität der älteren auf. Sie verhält sich negativ in jenem Ist das denn alles?, das am ehesten im vergeblichen Warten sich aktualisiert.“
Heidegger (auf die Uhr blickend): „In der Tat. Sie geben mir das Stichwort. Es wird, glaube ich, Zeit …“
Adorno: „Für mich, denke ich, auch … (laut) Herr Ober, können wir zahlen?“
Ober (mißmutig): „Ich hoffe doch …“
Letzte Änderung: 28.11.2022 | Erstellt am: 28.11.2022
Otto A. Böhmer Wie Philosophen an sich selbst scheitern
Die etwas andere Philosophiegeschichte
220 S., geb.
ISBN: 978-3-7776-2959-9
Verlag Hirzel, Stuttgart 2023
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