Deutsch und immer noch jüdisch

Deutsch und immer noch jüdisch

Begrüßung zur Verleihung des Goethepreises der Stadt Frankfurt
Barbara Honigmann | © Alexander Paul Englert

Die Schriftstellerin und Malerin Barbara Honigmann wurde nach dem Zweiten Weltkrieg in Ost-Berlin geboren, studierte Theaterwissenschaft, arbeitete als Dramaturgin und Regisseurin, bevor sie von 1975 an als freie Autorin tätig wurde. Sie schrieb bisher ein gutes Dutzend Bücher, in denen sie das Leben in der DDR, die jüdische Existenz und ihre Hinwendung zur Religion ihrer Vorfahren thematisierte. Nun konnte sie den Goethepreis der Stadt Frankfurt entgegennehmen. Die Dezernentin für Kultur und Wissenschaft, Ina Hartwig, hielt die Begrüßungsansprache.

28. August 2023 in der Paulskirche

Es ist mir eine große Ehre und besondere Freude,
Sie an Johann Wolfgang Goethes Geburtstag zur feierlichen Verleihung des nach ihm benannten Preises der Stadt Frankfurt zu begrüßen. Übrigens, es ist sein 274. Geburtstag.

Ich heiße insbesondere die diesjährige Preisträgerin, die Schriftstellerin Barbara Honigmann herzlich willkommen und freue mich sehr, Sie so wunderschön umrahmt von Familie und Freunden hier in der ersten Reihe unserer Paulskirche zu sehen.

Nicht minder herzlich darf ich den Laudator und langjährigen Freund und Weggefährten von Barbara Honigmann begrüßen, nämlich Wolf Biermann. Wer kennt nicht seine großartigen Lieder und seine Gedichte. Dass er deutsch-deutsche Geschichte geschrieben hat, ist weithin bekannt. Seine Wirkung geht so weit, dass das Deutsche Historische Museum in Berlin ihm gerade eine Einzelausstellung widmet, auch dies eine Form der Auszeichnung. Genauso wie wir uns als Stadt Frankfurt ausgezeichnet fühlen dürfen, dass Wolf Biermann die heutige Laudatio auf die Preisträgerin Barbara Honigmann hält. Dafür danke ich Ihnen im Namen der Stadt Frankfurt sehr herzlich, lieber Herr Biermann.

Nach seiner Laudatio gratuliert Wolf Biermann mit Heinrich Heine | © Foto: Alexander Paul Englert

Der Goethepreis der Stadt Frankfurt zählt zu den bedeutendsten Kulturpreisen Deutschlands. Mit ihm bekennt sich die Stadt Frankfurt zu Johann Wolfgang Goethe, der in Frankfurt am Großen Hirschgraben geboren wurde und prägende Lebensjahre in der damals freien Reichsstadt verbrachte.

Dieses Frankfurter Bekenntnis zu ihrem großen Sohn mag selbstverständlich erscheinen und doch muss es mehr denn je vor einer reinen Tradierung geschützt werden. Es muss lebendig bleiben und immer wieder neu in Beziehung gesetzt werden zu einer sich ständig wandelnden Gesellschaft.

Die eindrucksvolle Geschichte des Goethepreises zeigt, wie sehr dieser Preis etwas Überzeitliches verkörpert und zugleich ein Dokument seiner Zeit ist. Dies schließt manche Irrtümer, Verfehlungen und Entgleisungen mit ein. Ich nenne nur zwei Namen, die das Spannungsfeld der Goethepreisträger markieren, Sigmund Freud und Ernst Jünger. In einem so einfühlsamen wie kenntnisreichen Porträt über Barbara Honigmann, das vor wenigen Tagen in der Jüdischen Allgemeinen erschienen ist, nennt der Autor des Textes Thomas Sparr den Goethepreis folgerichtig einen „doppelten Preis“. Er schreibt: „Die Geschichte des Frankfurter Goethepreises spiegelt Ruhm und Ruchlosigkeit, politische Willfährigkeit und Opportunismus ebenso wider wie literarische Freiheit, Mut, Eigensinn und Widerstehen.“ Und ich möchte noch einen weiteren Satz von Thomas Sparr zustimmend zitieren: „Es ist eine gute und glückliche Entscheidung der Jury, diese Autorin und ihr Werk zu ehren.“

Fürwahr! Die Schriftstellerin, Dramatikerin, Essayistin und Malerin Barbara Honigmann ist eine überaus würdige Goethepreisträgerin, von der ich den schönen Satz zitieren darf: „Im bewegten Leben eines Schriftstellers gehört die Entgegennahme eines Literaturpreises eindeutig zu den Höhepunkten“ – von denen sie bereits sehr viele erleben durfte, wie ich ergänzen sollte.

Wir sind stolz und glücklich mit ihr eine Literatin auszuzeichnen, deren Romane ungemein eindrücklich vom Schicksal jüdischer Menschen in der DDR erzählen. Es ist ein Blick, gespeist aus eigner Anschauung auf die großen Hoffnungen besonders von jüdisch-kommunistischen Emigranten, die ihr sicheres Exil in England verließen, um wenige Jahre nach der Shoah ein neues, ein besseres Deutschland mitaufzubauen. Dass es ihre eigenen Eltern sind, denen Barbara Honigmann eindrucksvolle, dabei völlig pathosfreie Porträts in Prosa gewidmet hat, wird von ihr nicht verbrämt. Ihre Romane verwandeln Zeitgeschichte in Literatur.

Dabei schreibt Barbara Honigmann in einer überaus kunstvollen, dabei schnörkellosen und glasklaren, manchmal fast berlinisch lakonischen Sprache.

Autobiografisch grundiert sind einige ihrer Bücher, etwa der Briefroman „Alles alles Liebe“, zu dem sie von Natalia Ginzburgs Roman „Die Stadt und das Haus“ animiert wurde, und „Bilder von A.“, der von der Liebesbeziehung einer jungen Dramatikerin zu einem älteren und durchaus erfolgreichen Regisseur erzählt und eine großartige Tiefenbohrung ins filigrane Milieu der Ostberliner Bohème der 70er Jahre darstellt.

Ich will nicht zu viel verraten, aber das reale Vorbild für diesen A. hat nach seiner Ausreise in den Westen Anfang der 80er Jahre im Frankfurter Kulturleben eine nicht unerhebliche Rolle gespielt…
Barbara Honigmann hatte noch in der DDR zu ihren jüdischen Wurzeln gefunden und den Glauben anders als ihre Eltern auch konsequent leben wollen.

Nach ihrer Ausreise nach Straßburg konnten sie und ihre Familie hier frei und offen ein „unverschämt jüdisches“ Leben führen. Ein Dokument der Dankbarkeit dafür ist der hinreißende Roman „Chronik meiner Straße“ aus dem Jahr 2015.

Barbara Honigmanns Werk spiegelt diese Hinwendung einer deutschen Jüdin zu ihrer Religion. „Ich gefalle mir in der Rolle als eine der letzten deutschen Juden, immer noch deutsch und immer noch jüdisch“, formuliert sie in einer Eloge auf den Schriftsteller Jakob Wassermann, auch er Jude und Deutscher.

Was Frankreich ihr ermöglicht, ein Leben nach den Regeln des religiösen Judentums zu führen, hatte die DDR ihr verwehrt. Selbst die säkularen Eltern blieben trotz ihrer Systemnähe und gewisser Privilegien immer Außenseiter.

Die wechselseitige Distanz war unüberbrückbar und ein wichtiger Faktor für die Enttäuschung und Resignation der Eltern, die sich von Deutschland ein zweites Mal betrogen fühlten. Und dies, obwohl sie das Bewußtsein teilten, wie Barbara Honigmann einmal schrieb, dass sie nicht in die deutsche Schuld verstrickt waren. „Das macht das Leben zwar auch nicht leichter, aber es was wenigstens eine Klarheit“.

Dieses Bewusstsein teilt Barbara Honigmann mit dem Liedermacher Wolf Biermann, an den ich nun mit Vorfreude auf seine Laudatio das Wort übergeben darf. Doch zuvor möchte ich Ihnen, liebe Frau Honigmann, ganz herzlich im Namen der Stadt Frankfurt zum Goethepreis des Jahres 2023 gratulieren!

 
 

Applaus in der gut besuchten Paulskirche | © Foto: Alexander Paul Englert

 
 

Barbara Honigmann, Ina Hartwig, Wolf Biermann | © Foto: Alexander Paul Englert

Letzte Änderung: 30.08.2023  |  Erstellt am: 30.08.2023

Barbara Honigmann trägt sich ins Goldene Buch der Stadt Frankfurt ein | © Foto: Alexander Paul Englert
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