Spätestens mit der Erfindung des Gottesgnadentums muss es frevelhaft gewesen sein anzunehmen, dass Könige und Kaiser der menschlichen Gattung angehören. Gewiss hat sich daran bis jetzt, da der Prince of Wales König Charles III. von England ist, manches geändert. Doch zu einer Zeit, als niemand glaubte, dass dessen Mutter jemals zu sterben fähig sein könnte, wurde die Schriftstellerin Eva Demski eines Buches mit Aquarellen ansichtig, das sie zu denkwürdigen Reflexionen über den Menschen im Prinzen veranlasste.
Als Kinderwunschtraum sind sie völlig aus der Mode gekommen, schon seit langem. Und nicht einmal auf dem Kinderfasching erscheinen sie noch, wo sie sich doch Jahre und Jahrzehnte gedrängelt hatten: der Prinz und die Prinzessin. Schon der allerkleinste Bub weiß, daß an dem Job wenig Wünschenswertes ist. Ein lebenslanger Prinz, ein immer älter werdender Prinz, ein König im Wartestand, gesegnet mit äußerst haltbaren weiblichen Vorfahren – wie weit unterlegen ist er jedem Seriendarsteller, Jockey oder Autogroßhändler, von Tennis- oder Fußballstars wollen wir gar nicht reden. Dennoch, ohne den Schimmer, den sein Name umgibt, wären die Aquarelle kaum an so besonderer Stelle aufgetaucht, liebevoll beschriftet, farbgetreu und schön der Aufmerksamkeit des Publikums, des Volkes also, nahegebracht. Seht her, Seine Königliche Hoheit, der Prince of Wales, Charles (der mit den Ohren, der Ehefrau, dem Umwelttick und den Poloponies) – er malt! Er malt richtige, ernst zu nehmende Bilder, nichts Peinliches, Revolutionäres oder Kokettes: Nein, er hat offenbar im Geheimen und ohne die Entourage der Klatschblätter (die, wie man weiß, in England von geradezu verblüffender Gemeinheit sind) die Aquarellmalerei erlernt. Keine leichte Kunst, wie der Kenner weiß: Gerade im scheinbar Ungefähren, Verfließenden liegen künstlerische Fallstricke, und berühmt wird man mit Aquarellen nur sehr selten – eigentlich gar nicht. Diese Technik scheint vorzugsweise von den im Leben zu kurz Gekommenen benutzt zu werden – vielleicht gerade, weil sie sich nicht brüstet und spreizt, nichts Neues ist an ihr und nichts Wildes — aber sie beschäftigt den, der sich ihr widmet, und gibt ihm Rätsel auf. Und nun ist in Charles ein Aquarellist von Geblüt und Geschmack ins Licht getreten. Wie werden die Grobiane wieder über ihn herziehen! Gerade die Journaille trägt der Besonderheit, ja, der Zerbrechlichkeit einer Existenz wie der seinen nicht nur nicht Rechnung – nein, an allen Ecken und Enden reißt die dünne Decke des Respekts, unter ihr kriecht die Häme, der Klassenhaß, der verdrängte Wunsch nach Aristokratie hervor, scheußlich gepaart mit der totalen Verfügbarkeit, die die Namen- und Gesichtslosen von denen zu fordern gelernt haben, die aus welchen Gründen auch immer einen Namen und ein Gesicht haben.
Vielleicht hatte der Prince of Wales gehofft, sich mit der Wahl seiner Gattin ein für allemal Ruhe vor den Tratschvampiren verschafft zu haben – die Hochzeit und das nicht enden wollende Getue um ein Geschöpf, das aussah, als würde es wirklich niemanden überfordern und als sei es bereit, in immer neuen Verkleidungen „wie du und ich, nur teurer“ zu spielen, mag er gemeint haben, Tribut genug an die Öffentlichkeit. Ein Volk haben sie ja schon lang nicht mehr, die Windsors, und werden wohl auch keines mehr kriegen. Wie auch immer die für den Kontinentaleuropäer schwer zu begreifende Abhängigkeit zwischen dem Prinzen und den Leuten sein mag, in Rechnung gestellt, er habe nun auch verstanden, daß auch die theatralischste Hochzeit auf Dauer zu nichts anderem als zu einer simplen Ehe geführt hat – jetzt aquarelliert er. Er hat begriffen. Rückzug aus dem Getümmel der Wahrnehmung wird nur dem gewährt, der sich der Langeweile überantwortet hat, auf Gedeih und Verderb, und der weiß, daß ihm eben diese Langeweile ein kleines Glück zu verschaffen weiß: Er muß nur geduldig sein. Der Übelwollende – und dafür ist gesorgt, daß ein König im Wartestand davon viele hat —, der Übelwollende also wird diese Bilder langweilig finden und sich damit selbst entlarven.
Es stimmt schon: Von Menschen und neuem Menschenwerk ist nichts darin zu finden, denn die Architektur, die seine Königliche Hoheit in dero Bilder lassen, ist eine sich der Natur anverwandelnde, würdevolle und bescheidene Architektur, nicht was die Größe, sondern was den Anspruch angeht. Kein Blut in den Bildern, keine Kanten, kein Schrecken. Ein König zieht – so will er es vielleicht – unerkannt durch das Land, dem er einst vorstehen wird, und bewahrt malend auf, was er sieht, was immer seltener zu sehen sein wird, und was er dereinst, kommt er nur noch rechtzeitig, vielleicht wird retten können.
Spätestens jetzt ist darauf hinzuweisen, daß aus den königlichen Aquarellen ein Buch geworden ist, ein schön und üppig gestaltetes Werk mit ein wenig verblüffenden Vorworten der Mutter und der Großmutter, deren freundliche Sätze den Prinzen sicher daran erinnern werden, daß er noch eine ganze Zeitlang warten und schauen, malen und bewahren wird. (H. R. H. The Prince of Wales Watercolours, A.G. Carrick Ltd., publiziert bei Little, Brown and Company, 1991.) Die mütterlich-großmütterlichen Vorworte sind nett, etwa wie auf einer Abiturfeier. Keine hat begriffen, worauf es dem Sohn und Enkel wirklich ankommt. Denn: Selbst wenn er eine Bestandsaufnahme der britischen Landschaftswunder, der einmaligen dörflichen Architektur, der schönen schottischen Seen und Berge macht, selbst wenn die Queen ihren älter werdenden Ältesten irgendwann mal ranläßt an den Königsberuf — er wird gar nichts retten können. Charles’ Engagement gegen die moderne Architektur, gegen die Verhunzung Londons zum Beispiel, ist bekannt. Der Umweltschutz und die Architekturbeschimpfung sind des Prinzen Hobby, nein, nicht sein Hobby – sein im vollen melancholischen Bewußtsein der Wirkungslosigkeit vorgetragenes Anliegen. Wer würde behaupten, daß er bei seinen vornehm und bescheiden vorgetragenen Philippiken gegen die auch in London allenthalben aufschießenden Gräßlichkeiten und Anmaßungen „internationaler Architektur“ (was nur heißt, daß die Täter immer ganz woanders wohnen und ihre architektonischen Schandtaten nicht zu sehen brauchen) nicht recht hätte? Nein, man stimmt ihm nicht nur nicht zu, man spricht ihm sogar das Recht zur Kritik ab: Da plötzlich soll sein Beruf, diese eigenartig imaginäre Profession, wieder zu einflußreich sein, man will ihn lieber Autobahnbänder durchschneiden und Moorhühner totschießen lassen.
Und man vergißt ganz, daß es ein seltsames Gefühl sein muß, aus den alten Ordnungen übriggeblieben zu sein und doch unwiederbringlich allein, nicht ohne Land, sondern ohne Macht: Früher hätte er Architekten einfach köpfen lassen, sie in den Tower werfen, sie des Landes verweisen können im Fall äußerster Gnade — es gilt, sicher auch für ihn, sich von der unwiderstehlichen Verführungskraft dieser Ge-danken zu lösen. So malt er eben sein Reich, so hat er auch das Buch gemacht, und man möchte ihm fast glauben, daß der Plan, seine Bilder und kleinen Texte gedruckt der Öffentlichkeit zugänglich zu machen, ihn tatsächlich verwundert und erfreut hat.Wir Bürgerlichen hängen wohl noch immer dem Gedanken an, einer wie Charles brauchte, was er sich wünscht, nur zu verfügen.
Wir vergessen ganz, daß auch ein König, wenn er sich den Künsten anheimgibt, genau wie jeder andere um seiner Fähigkeiten willen geliebt werden will. Wenn er versucht, sich mittels seiner Macht der Bewunderung für seine Kunst zu versichern, geht es todsicher schief. Deswegen hat ja Nero Rom angezündet, weil er irgendwie spürte, daß das verordnete Jubeln ihn nicht zu sättigen vermochte.
Die Zeiten sind andere geworden. Und so darf man dem Prinzen von Wales ruhig seine Rührung und Freude über die Geburt dieses Buches glauben, und es hat auch nichts mit Koketterie zu tun, daß er sich in seinen Texten ein ums andere Mal für seine künstlerische Unzulänglichkeit entschuldigt. Das ist nicht nur sehr britisch, jenes immer wiederkehrende: „Da sehen Sie, wie schwer es ist, in diesem Licht… Architektur zu malen ist gar nicht einfach … Sie sehen, für die Größe des Objekts hatte ich viel zu wenig Zeit… dies ist mir, fürchte ich, ziemlich mißlungen …“ und so fort, eine Melodie des Understatements, aber auch der rührenden Bitte, zu verstehen und nicht feindselig zu sein.
Der Stolz des Künstlers bricht sich nur gelegentlich Bahn: „Auf dieses kleine Blatt bin ich wirklich stolz“ oder, beiläufig verpackter Höhepunkt: „Das habe ich unter falschem Namen in die Akademie eingeschickt – und es ist tatsächlich angenommen worden!“ O Triumph! Die Bescheidenheit, die Demut des wirklichen Künstlers ist wahrscheinlich nur noch bei gekrönten Häuptern zu finden, die, weil sie vielleicht immer damit gekämpft haben, ihre ganze „Bestimmung“ für einen Bluff zu halten, in allem anderen niemals zu bluffen wagten.
Jeder Knabe, jedes Mägdelein von Gassengeblüt darf es sich heute leisten, mittels Bettfedern, Salatsieben, Kloschüsseln, Wandfarbe, Reisigbesen, Geschirrhandtüchern, Feldsteinen, Ofenbronze oder einfach Filzschreibern und Sprühdosen Kunst herzustellen: Das kann klappen oder auch nicht, manchmal klappt es, wenn Geschick und Glück und der willfährige Glaube der Kritiker da sind: Dagegen kann man gar nichts sagen. Nein, es ist sogar ganz verkehrt, darüber außer sich zu sein, das nützt nichts, und eine schlechte Presse gibt es obendrein. Irgendwie mendelt sich das alles zurecht, und was nach ein paar Jahren oder Jahrzehnten übrigbleibt – das hat eben die Menschenblicke ausgehalten und vielleicht sogar etwas zurückgegeben.
Aber so ein König in spe! Niemals dürfte er wagen, es seinen Zeitgenossen unbekümmert gleichzutun! Nicht auszudenken, was geschähe, wenn der Prinz seinen künstlerischen Impulsen auf eine Weise nachgäbe, an die wir uns bei jedem anderen längst gewöhnt haben, vermochten wir auch nicht immer, das blanke Unverständnis gänzlich aus unseren Blicken zu verbannen. Was wir uns und die Welt sich bei jedem und jeder X-Beliebigen, die das Künstlersein für sich reklamieren, niemals trauen würden, nämlich zu sagen: Der Kaiser ist nackt. Beim Prinzen würde es die ganze Welt und auch wir laut rufen: Aber seht doch, er ist nackt. Vielleicht wäre er es gar nicht, aber seine Stellung würde uns den Mut geben, so mit ihm zu verfahren.
Ja, denke ich, auch deswegen aquarelliert der Prinz. Da kann das alles nicht passieren, und die beiden passenden Vorwürfe, den der Langweiligkeit und den der mangelnden Professionalität – die kann er aushalten, die macht er sich vorsichtshalber selbst. Aber Vorsicht! Mit dem „kunstvollen Schachtelbecher“, den Heinrich Heine bei einem Kurfürsten entdeckte, „er hatte ihn in seinen Freistunden geschnitzt. Er hatte deren vierundzwanzig am Tag“, hat das Buch des Prinzen nichts zu tun. An den Texten liest man sich sachte und ohne es zu merken fest. Hat man erst einmal die Merkwürdigkeiten aristokratischer Selbsterniedrigung begriffen, fühlt man sich unaufdringlich an die Hand genommen und durch ein England geführt, das der Maler und Verfasser, der vielleicht sogar eines Tages der Regent sein wird, wirklich liebt.
Der Prinz belästigt den Betrachter und Leser kaum mit seinen Sorgen, nur manchmal blitzt ein Kummer im Text auf, wie zum Beispiel beim Bild einer schönen alten Brücke, die „den Lasten modernen Verkehrs sicher nicht gewachsen wäre“.
Wäre das Buch nicht ein wenig wuchtig geraten, könnte man es als einen unspektakulären und genauen Führer zu den Schönheiten der Ereignislosigkeit benutzen.
Schüchtern fast lesen sich die Hinweise auf Urgroßmütter und noch ältere weibliche Vorfahren, mit denen er notgedrungen die Beschreibung der Schlösser ergänzt. Sie haben da nun einmal gewohnt, sicher, und wie eine späte Pflicht malt der Nachfahre brav die furchtbar vielen Fenster und Türmchen, Erkerchen und Türen, um sich erleichtert kurze Zeit später den sanften Schwüngen und Linien einer Landschaft oder der klaren Form eines bäuerlichen Anwesens zuzuwenden.
Ich habe sein England gesehen, in Wirklichkeit, und ich habe die krummen Straßen mit ihren Baumdächern, die rosenüberhäuften Cottages, die undramatischen, mit Schafen betupften Hänge immer sehr geliebt.
Aber sicher ist dieses scheinbar schlafende England nicht, das weiß der Prinz natürlich auch, und sieht genauso gut wie jeder andere, daß es Orte gibt, die den Abschied von ihnen schon in sich tragen, und daß er den Schreien nach Industrie, Technologie, Energie, Entwicklung, Markt, Europa nicht mit ein paar Hügeln und Bauernhäusern wird entgegentreten können.
Da malt er das eben noch, so viel er davon finden und festhalten kann, und wenn er in seinen Texten manchmal fast scheu den Zeitmangel beklagt, ist sicher, daß er nicht nur die Zeit zu malen meint. Ich denke, es geht ihm um die zugemessene, die noch verbleibende Zeit der in Jahrhunderten gewachsenen Landschaften.
Was ist zu tun? Wenn ich König wäre …, haben wir als Kinder gesagt und uns ausgedacht, was wir alles ein für allemal in Ordnung bringen würden. Beim Einschlafen war man dann manchmal ganz froh, daß nichts darauf schließen ließ, wir müßten unsere hohen Ziele eines Tages wirklich erklettern.
Da geht es dem Prinzen Charles wahrscheinlich ganz anders. Vielleicht ersehnt er den Tag, an dem er sich wenigstens repräsentativ ein bißchen wird einmischen können – vielleicht fürchtet er ihn aber auch, weil er alt genug hat werden müssen, um wissen zu können, daß er zwischen fast nichts und nichts leben wird, was seine Wirkung angeht.
Aber das Schicksal hält eben auch für angehende Könige und ewige Prinzen ein paar Freundlichkeiten bereit, und vielleicht gehört dieses Buch, in dem Charles anbietet, ein Stück weit mit ihm zu gehen und zu sehen, dazu.
Vielleicht hat man mich bis hierher mißverstanden: Den Hauptteil des Malbuchs bilden zwar die Ansichten von England und Schottland, aber wie jeder gute Brite ist er auch gereist und zeigt sich beeindruckt. Meiner unmaßgeblichen Meinung nach bilden diese Bilder aus der Serengeti und dem Nahen Osten, aus Italien und der Türkei (also durchweg Orte, die in kurzen Abständen in den Nachrichten auftauchen) zwar eine liebenswürdige Ergänzung der prinzlichen Wanderungen – ganz auf der Höhe seines Könnens zeigen sie ihn nicht.
“One of the most difficult things, about painting in Africa, apart from the fact that the watercolour evaporates in the heat, is trying to convey the mirage effect which is so often present.” So liebe ich den Künstler, nichts von Transzendenz und Ballung der negativen Vibrationen, nichts von der in Land art gefaßten Eroberung der Wüste, nichts von den Todesritualen, deren Zeichen in Natodraht nachgebildet und präzisiert werden – nein, die Wasserfarbe zerläuft, und die Spiegelungen sind so schwer zu malen. That’s it. Ein Hoch auf Seine Königliche Hoheit! „Die Kleckse, die Sie auf diesem Blatt sehen können, sind nicht etwa Büsche oder Bäume, sondern einfach Tausende von wilden Tieren…“ Er sagt ganz unschuldsvoll dazu, was er gemeint hat.
Oh, Englisch ist eine so schöne Sprache, so knapp und uneitel, so bar des künstlerischen Pathos und zum schöpferischen Raunen gänzlich ungeeignet: »I decided to give myself something difficult to paint in just a piece of sloping Turkey on a hot day.« Sicher, manchmal läßt er sich auch artig über die schmerzlich schönen Farben der Sonnenuntergänge und über die Schatten der antiken Helden, die überall nach ihm greifen, aus. Aber das tut er eher nebenbei, vielleicht, weil er um seine nicht vorhandene Ähnlichkeit mit den antiken Helden weiß: Er ist, denke ich, wenn man ihn mit seinem Block und seinen Gedanken in Ruhe läßt, dennoch oder gerade darum ganz zufrieden.
Immer wieder drängt sich die Erinnerung an Thomas Manns scheuen Prinzen in Königliche Hoheit auf – auch er glich einem Helden ganz und gar nicht, aber ihm wurde noch die Kompensation durch das Militärische, durch das Klimbim und Gloria der Uniformen, der Manöver, der Rituale einer aufs Dekorative und Hohle hingezüchteten Offizierskaste abverlangt.
So fremd und widerwärtig das dem Prinzen mit dem verkrüppelten Arm ist – Thomas Mann beschreibt diese Choreographie des gesellschaftlichen Lebens mit ihren Gewißheiten und Zugehörigkeiten auch als etwas sehr Tröstliches. Es gab ein Bild von der Welt, vom Oben und Unten, das von niemandem angezweifelt wurde, dagegen ist einiges zu sagen, aber man „wußte, worauf man sich verlassen konnte“. Thomas Manns Prinz wird durch die Liebe, die ihm widerfährt wie ein Gewitter, gleichzeitig befreit und gefesselt. In diesem wunderbaren kleinen Roman taucht das viel zitierte Wort vom „strengen Glück“ auf.
Auch wenn die Yellow press uns täglich glauben machen wollte, daß auch dem englischen Thronfolger solches geschehen sei (von den aktuellen Katastrophenberichten über die betreffende Ehe wollen wir gar nicht reden) – ich glaube es nicht. Ich bin vielmehr fast sicher, daß Charles sein ganz persönliches „strenges Glück“ in der Kunst gefunden hat.
Es sind ja auch schwierige Zeiten. Ein gesellschaftliches Muster, in dem jeder die ihm zugedachte Arabeske und Farbe erkennen kann, gibt es schon lange nicht mehr. Das Militärische ist ein finsterer und schauriger Nachfolger jener Operettenarmeen, von denen die Romane erzählen, und es war wie ein häßlicher Witz, daß des Thronfolgers jüngerer Bruder (ein offenbar sehr robuster und von der Blässe irgendeines Gedankens gar nicht angekränkelter junger Mann) in einen Krieg zog, der längst vergessen und verdrängt ist. Er hätte im Falkland-Krieg wahrhaftig sterben können, und dabei hat er sich doch nur den Resten des längst dahingeschiedenen Rituals unterzogen. Der Tatsache, daß auch Charles das gelegentlich tut, verdanken wir nicht so sehr unsterbliche Bilder von seinen Aufenthalten auf den Kriegsschiffen Seiner Majestät, sondern wirklich hinreißende Texte: In Port Suez ist ihm aufgefallen: „Schiffe zu malen, wie auch Hunde oder Kinder, kann außerordentlich frustrierend sein, denn sie haben die unglückselige Eigenschaft, sich fortwährend zu bewegen. Schiffe schwingen in ganz schwereloser Art am Anker hin und her, und das Bild ändert sich dauernd. Dann muß man mit zunehmender Ungeduld warten, bis es wieder zurückkommt.“ Wer nicht begreift, daß das ganz große Poesie ist, versteht nichts von Literatur. Zwischen Königliche Hoheit einerseits und Winnie the Pooh andererseits.
Die eigentliche Entdeckung, und das wird sich noch herumsprechen, ist der Autor und nicht so sehr der Maler Prinz Charles. Es ist zu wünschen, daß auch hierzulande das ganze Werk zugänglich gemacht wird – ich würde vorschlagen, in einer Übersetzung von Harry Rowohlt. „Als ich nach links schaute, fand ich es ziemlich schwierig, etwas zum Malen Geeignetes zu entdecken …“
Wie mag so ein fast gekröntes Haupt an etwas wie ein Buch herangehen? Denn er kann ja sämtliche Universitäten seines Landes entleeren und zu sich befehlen, er kann ganze Geisterarmeen von Schreibern beschäftigen, kein Professor der Malerei würde es verweigern, Seine Königliche Hoheit künstlerisch zu beraten. Er hätte Lohn und Brot für Jahre in den feinsten Schlössern anbieten können (denn Zeit hat er noch genug, schaut man sich seine unverwüstliche Mutter mit ihren ebenso unverwüstlichen Hüten an), und ich bin sicher, ganze Heerscharen von Fachleuten und solchen, die sich dafür halten, hätten ihm begeistert zur Verfügung gestanden. (Man muß leider sagen, daß selbst die allerlinkesten und strengsten Künstler einen unabweisbaren Hang zu Schlössern haben. Das luxuriöseste habe ich noch in streng sozialistischen Zeiten bei Prag kennengelernt.) Das alles hätte der Prinz leicht bieten können, aber ich glaube, er hat nichts dergleichen getan.
Wahrscheinlich hat er im kleinsten und erträglichsten Zimmer ein Feuerchen anmachen lassen, ein Glas mit was auch immer auf dem Tisch, und hat zu irgend jemandem, dem er vertraut, gesagt: Sieh mal Billy, ich hab da was gepinselt … Und Billy hat geantwortet, oh, Charlie, nett, schaut aus, als hättest du Windsor von Seeseite aus erwischt. Und Charlie sagt, hör mal, du Nase, das ist Bodrum in der Türkei! Ziemlich genau so beschreibt er nämlich die Reaktion auf eines seiner Blätter, und das besticht mich bei ihm immer wieder aufs neue: Die unbefangen hergezeigte offene Flanke, die Unschuld, mit der sämtliche Regularien des Kunstbetriebs außer acht gelassen werden. Ist das nun die Gelassenheit des Aristokraten oder die des Dilettanten?
Erst kürzlich hat er sich wieder ziemlich unbeliebt gemacht, weil er offenbar aus der Bescheidenheit des Amateurs ein Stück herausgetreten ist. Anlaß war wieder seine ewig offene Wunde: die Architektur. „Weil die Entscheidung über das geplante Museum of Scotland in Edinburgh seiner Ansicht nach ohne gebührende Befragung der Öffentlichkeit erfolgt war, trat Charles als Schirmherr des Museums zurück. Kein Wort verlor er darüber, daß die Jury sich aus erklärten Modernisten zusammensetzte und einen modernen Entwurf prämiiert hatte. Sein Zorn richtete sich bereits gegen den Verlauf des Wettbewerbs, der allein in den Händen sogenannter Experten gelegen habe.“ Da ist er, der durchs Dilettieren im positiven, goetheschen Sinn selbstbewußt gewordene Teilnehmer am künstlerischen Leben! Vielleicht sind auch seine Aquarelle mit daran schuld, daß er plötzlich Schirmherr in abgesicherter, in aristokratischer Langeweile und Blindheit abgehandelter Form nicht mehr sein kann, nicht mehr sein will. Er beschirmt nicht mehr die Ingroup, die verschworene Gemeinschaft der Experten, sondern das stumme und erleidende Publikum, denn er weiß: Architektur ist jene Kunst, der keiner entfliehen kann, so wenig wie dem Wetter. Er hat sich auseinandergesetzt. Und daran hat er uns teilnehmen lassen, und daraus leitet er jetzt eine Verpflichtung ab, die man vielleicht auf die kurze Formel bringen könnte (nicht in königlicher Sprache, allerdings): Das Volk ist nicht so doof, wie die Experten es machen. Aber es braucht eine Stimme.
So schlägt sich der land- und machtlose Fast-König auf die Seite der Sprachlosen und gibt ihnen, was er zu geben hat: sein Dilettantentum, sein stolz ausgelebtes, auf Papier und in Wörter gebanntes, sein bescheiden und stolz malendes Dilettantentum. Natürlich weiß er, daß er viel besser dran wäre, wenn die Journaille mehr von diesem Charles wahrnähme, als nur immer von neuem den Ehemann jener von unten schräg nach oben schauenden Kleiderständern zu karikieren.
Aber er ist gelassen, er zieht sich zurück, er malt und mischt sich ein, eins geht sicher nicht ohne das andere. „Mit der Malerei hat es eine wunderbare Bewandtnis“, sagt er, „du hast eine Entschuldigung, so lang auf einem Fleck sitzen zu bleiben, bis du alles begriffen hast…“, dann nennt er das Licht und die Landschaft, aber ich bin ganz sicher, daß er mehr meint – er hat die Wonnen der Kontemplation entdeckt, und deshalb sollte man ihn bald zum Regenten machen. Er würde, selbst wenn er könnte, diese Produzenten von „Karbunkeln im Gesicht eines lieben Freundes“ (so geruht er die Architekten zu nennen) nicht in den Tower werfen lassen, er würde sie zu überzeugen suchen, sanft, nachdrücklich, mit der ungebrochenen und kindlichen Kraft des Dilettanten.
© Eva Demski. Der Text ist erstmals 1991 im FAZ Magazin erschienen
Letzte Änderung: 22.09.2022 | Erstellt am: 21.09.2022
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