»Was möchten Sie sein?«

»Was möchten Sie sein?«

Gespräch mit Robert Spaemann
Robert Spaemann | © Foto: MyTUM-Portal München

Im einflussreichen Kreis der nichtmetaphysischen Philosophen war Robert Spaemann wohl der interessante Außenseiter, weil er nie aufhörte, teleologisch zu denken und nach der Bedeutung der Argumente zu fragen. Vor einigen Jahren hatte Alexandru Bulucz den katholischen Denker, der am 10.12.2018 gestorben ist, nach seinem Selbstverständnis befragt.

Als eine der bedeutendsten Stimmen unter den Philosophen der Nachkriegszeit hat Robert Spaemann mit seinen Schriften über die Ideengeschichte der Neuzeit, die Naturphilosophie, die Anthropologie, die Ethik und die politische Philosophie die philosophische und gesellschaftliche Debatte wie nur wenige beeinflusst und geprägt. Am 10. Dezember 2018 ist er im Alter von 91 Jahren in Stuttgart gestorben.

Alexandru Bulucz: Im Jahr 1927 geboren sind herausragende Philosophen, Soziologen, Theologen und Literaten wie Dieter Henrich (5. Januar 1927), Joseph Ratzinger (16. April 1927), Klaus Heinrich (23. September 1927), Günter Grass (16. Oktober 1927), Günter Rohrmoser (29. November 1927), Niklas Luhmann (8. Dezember 1927), Rudolf Boehm (24. Dezember 1927) … Ich höre hier auf. Aber vielleicht ist das Jahr 1927 zu eng, um eine Generationsbeziehung herstellen zu können, wurden Günter Patzig (28. September 1926), Hermann Lübbe (31. Dezember), Odo Marquard (26. Februar 1928) und andere doch nicht wesentlich früher oder später geboren.
h5. Wenn Sie jetzt versuchen, diese Generationsbeziehung herzustellen: Welches Hauptmerkmal dieser Generation würden Sie hervorheben? Geteilt hat sie die schlimme Erfahrung des Zweiten Weltkrieges, die Entlassung in das Erwachsensein an dessen Ende, den ungeklärten Status beziehungsweise die Gründungsphase der Bundesrepublik bis 1949 …

Robert Spaemann: Bei allen gab es eine gewisse Abneigung gegen pathetische Unbedingtheiten, dabei war ich ja gerade ein Anhänger von Unbedingtem, aber das, was unbedingt ist, ist sehr wenig. Karl Jaspers sagte, dass Gott ist, ist genug. Deshalb war es schon – wie Helmut Schelsky schrieb – die „skeptische Generation“. Aber bei den meisten führte diese große Skepsis nicht zum Relativismus. Man hatte eher eine soziologische Betrachtungsweise. Das war besonders deutlich bei Niklas Luhmann zu sehen. Mit Luhmann hat mich immer etwas verbunden. Bei der Hegel-Preisverleihung 1988 habe ich die Rede auf ihn gehalten. Ich habe gesagt, jede Generation braucht, wenn sie eine bedeutende Philosophie hervorbringt, einen Anti-Philosophen, der die Philosophie als solche in Frage stellt. Das sei in unserer Generation Niklas Luhmann, und den ich jetzt hier lobe, ist der Anti-Philosoph, sagte ich. Luhmann hat mir ganz zugestimmt. Er sagte: „Sie haben mich verstanden.“

Noch ein anderer Philosoph, der sich auch verstanden fühlte, war Hans Jonas, den ich deshalb nennen muss, weil es eine große Übereinstimmung zwischen uns gab, aber nicht für das, wofür er gelobt wurde, nicht für seine politischen Optionen, sondern für das Buch, das er während des Krieges als Soldat gänzlich ohne Literatur geschrieben hatte: Organismus und Freiheit. Ansätze zu einer philosophischen Biologie. Das ist ein hervorragendes Buch. Die Leute waren der Meinung, ich hätte das weitestgehend bei ihm abgeschrieben, aber auch er hat nicht bei mir abgeschrieben, sondern wir hatten einfach einen sehr ähnlichen Gedanken. Während ich von seiner politischen Philosophie, die ich für schwach hielt, wenig überzeugt war. Das Prinzip Verantwortung war in der polemischen Richtung begründet, nämlich gegen Ernst Bloch geschrieben. Ich habe ihn dazu gefragt. Er sagte, die Bewahrung des menschlichen Lebens auf der Erde ist der höchste Bezugspunkt unserer Verantwortung. Ein andermal habe ich ihn hier bei einem Spaziergang im Wald gefragt, was er tun würde, wenn ein großer Krimineller ein Tötungsinstrument erfinden würde, das das irdische Leben aller höheren Lebensformen auslöscht – das ist heute denkbar, zwar kann man das noch nicht, aber man weiß, wie es gehen müsste –, wenn man ihm sagen würde: „Wir möchten Ihre Überzeugung, Ihre These, die höchste Verantwortung sei die Bewahrung des Lebens auf der Erde, testen. Hier ein zehn- oder zwölfjähriges Mädchen. Entweder bringen Sie dieses Mädchen mit eigener Hand um, nachdem Sie es wüst beschimpft haben, oder die Welt fliegt in die Luft. Würden Sie das tun?“ „Nein, ich würde es nicht tun“, war seine Antwort. Worauf ich entgegnete: „Herr Jonas, gut, dann sind wir uns einig, allerdings ist Ihr Prinzip damit hinfällig geworden.“ Denn es gibt etwas, das böse ist und das man auch nicht tun darf, um etwas Gutes zu bewirken. Jetzt habe ich einen großen Bogen gemacht und bin auf Jonas gekommen, aber er spielte eine große Rolle. Was er über Freiheit geschrieben hat, ist hervorragend.

Was uns, die im oder um das Jahr 1927 Geborenen, verbindet, ist ein gewisser Stil des Denkens, nicht bestimmte Thesen, sondern die Art, zu denken, und die starke Verflechtung systematischer Fragen mit Historischem. Henrich war – und das muss man vielleicht auch zu seinem Ruhm sagen – sehr mutig. Er setzte im Ausgang des Neukantianismus an und hielt an den grundlegenden Fragestellungen des Deutschen Idealismus fest, obwohl das auch im Ritter-Kreis außer Mode gekommen war. Das war eher ein hermeneutisches Denken wie bei der Forschergruppe Poetik und Hermeneutik, bei deren 16. Kolloquium ich den Vortrag Aufhalter und letztes Gefecht gehalten habe.

Es ist ein Stil des Denkens, ein versuchsartiger. Manchmal sind auch gerade die Skeptiker besonders dogmatisch, beharren auf ihrem Skeptizismus. Hegel sagte: Alles in den Topf des Relativen zu werfen, „ist eine Befriedigung, welche sich selbst überlassen werden muss, denn sie flieht das Allgemeine, und sucht nur das Fürsichsein“; gegen die kann man also gar nicht argumentieren, weil sie das Argument verachtet. Aber es geht immer auch um einen geistigen Kampf. Michel Foucault glaubte nun gar nicht an so etwas wie Wahrheit, für den war jedes Streitgespräch ein Machtkampf. Er sagte, es gehe sowieso nicht um Wahrheit, sondern um Macht. Darin war er Nietzscheaner.

Kann man vielleicht sagen, dass diese, Ihre Generation auch eine konservative war?

Ja, das ist merkwürdig. Der Skeptiker ist konservativ, typisch dafür ist Odo Marquard. Man braucht eine gewisse Überzeugung, um für etwas zu kämpfen. Der Skeptiker kämpft nicht. Die Leute vom 20. Juli 1944, die das Attentat auf Hitler planten und die einen großen Umsturzplan hatten, waren alles Leute, die an einem Unterschied zwischen gut und böse, wahr und falsch festhielten, denn nicht für eine Hypothese riskierten sie ihr Leben. Ich glaube, das ist entscheidend. Darum auch der Unterschied zwischen meinen Freunden aus dem Ritter-Kreis und mir. Ich hatte eine gewisse Narrenfreiheit in Ritters Seminar, weil ich die Rittersche Frage, was bedeutet das, nicht so aufgenommen habe, sondern Thesen in der Philosophiegeschichte für das genommen habe, was die meinten, die das gesagt haben. Nehmen wir Thomas von Aquin. Da können Sie diskutieren. Stimmt das oder stimmt das nicht, was er sagt? Sie können es aber auch historisch fragen. Was bedeutet es im Kontext der Geschichte des Geistes, dass das gerade jetzt gesagt wird? Und da sind wir auch bei meinem Buch Der Ursprung der Soziologie aus dem Geiste der Restauration, das eigentlich gegen Ritter geschrieben war. Aber manchmal ist es ja so, dass in einer Dissertation der Lehrer angegriffen wird, auch um ihn zu überwinden. Und Ritter war eben ganz von dieser Art, und deshalb der hohe Respekt vor der Tradition, denn man müsste eine feste Überzeugung haben, die gegen die Tradition spricht. Wenn man die nicht hat, dann lässt man die Dinge so wie sie sind, denn sie zu ändern, würde vielleicht bedeuten, dass etwas Schlimmeres kommt als das, was man überwunden hat. Der Skeptiker glaubt nicht zu wissen, was das absolut Gute ist, weshalb er sich auch nur in Extremsituationen auflehnen wird, aber normalerweise finden Sie unter Widerständlern keinen Skeptiker. Bei mir ist es so, dass ich mir selbst sehr zweideutig werde, weil ich einerseits bestimmte Überzeugungen habe und andererseits die Frage, was bedeutet das, sehr fruchtbar gewesen ist. Ich habe immer versucht, das zusammenzubringen, das heißt, die Wahrheitsfrage mit der Geschichte zu verbinden. Das verbindet mich mit Martin Heidegger, denn er ist jemand, der tatsächlich einerseits geschichtlich denkt und andererseits kein Historist oder Relativist ist. Wenn man das verbindet, dann entsteht so etwas wie das, was in unserem Kreis bei Ritter herrschend war, wo ich aber – wie gesagt – diese Rolle der Narrenfreiheit hatte, weil Ritter immer einen großen Respekt vor traditionellen Thesen hatte. Er hatte sich ja auch in Münster mit Josef Piper befreundet.

Zu Ritters Hochschätzung für die Tradition ist auch interessant: Es gab in Münster noch einen Philosophie-Lehrstuhl, einen Konkordatslehrstuhl, der immer von einem katholischen Philosophen geführt werden musste. Das war in diesem Falle Otto Most, ein Neuscholastiker, ganz langweilig, aber Ritter, der mit ihm eigentlich gar nichts gemeinsam hatte, hatte immer mit großem Respekt davon gesprochen, dass dieser Lehrstuhl erhalten bleiben müsse, denn er sei wie ein kostbares Gut, das es zu pflegen gelte. Ein Traditionsbestand eben. Aber eine Diskussion über eine philosophische These, zum Beispiel über den Primat der Existenz vor der Essenz wurde nicht geführt. Er hat einfach nur gefragt: Was bedeutet das? Aber gemeint ist nicht die Frage nach dem, was der Autor gemeint haben könnte, sondern was es bedeute, dass so etwas überhaupt gedacht wird, jetzt und damals. Das ist bei mir auch so. Mein Fénelon-Buch Reflexion und Spontaneität ist auch eine ganz ausführliche Darstellung einer sehr speziellen These über die Natur der Gottesliebe. Ich habe das als philosophische Habilitationsschrift eingereicht, und Ritter fand es sehr interessant. Aber den gleichen Hintergedanken hatte ich auch bei dem Buch über de Bonald Der Ursprung der Soziologie aus dem Geiste der Restauration. Das Teleologieproblem ist eigentlich immer das bei mir im Hintergrund Stehende, das teleologische Verständnis des Lebens.

Vielleicht noch einmal zurück zur Frage nach dem Bindeglied der 27er …

Es war philosophische Hermeneutik … Damals gab es kein Interesse an analytischer Philosophie, das hat man nebenbei betrieben, wenn man sich irgendwie dafür interessiert hat. Ich habe ein Jahr lang in der Schweiz in Freiburg bei I. M. Bocheński Logik studiert. Bocheński war einer der Päpste der analytischen Philosophie und ein Dominikanerpater. … eine Hermeneutik mit einem stark politischen Zug, denn diese Generation ist immer auch politisch interessiert gewesen. Man kann den Weg besonders gut bei Odo Marquard verfolgen, der die Frankfurter Schule rezipiert hat. Im Ritter-Kreis war ich derjenige, der die Dialektik der Aufklärung bekannt gemacht hat. Das kannten sie gar nicht. Die Erstausgabe, die in Holland erschienen ist, habe ich in einer Buchhandlung antiquarisch erworben. Darüber habe ich in dem philosophischen Kolloquium bei Ritter einen Abend bestritten, und das mochte Ritter. Das musste man zur Kenntnis nehmen, aber die Utopie des Scheins … „die Ahnung von der Majestät des Tages, der die Erde bescheint, ohne sie zugleich zu verbrennen“ … Das ist so eine Wendung in der Dialektik der Aufklärung. Aber alles was nach Utopie aussieht, war für Ritter uninteressant, oder er war sogar dagegen. Er war ein Verteidiger der Bürgerlichkeit. In England hatte er sogar einmal T. S. Eliot zu Gast. Es ist wirklich sehr schwer, etwas Inhaltliches zu sagen. Seine Schüler haben das dann ausdifferenziert. Die Abwesenheit der Metaphysik, das war eigentlich bei allen außer bei mir ein Kennzeichen.

Damit nehmen Sie sich fast aus dem Kreis der 27er heraus.

In gewisser Hinsicht schon. Nicht ganz, denn ich nannte ja schon ein paar Dinge, die mich mit dieser Generation verbinden. Die historische Denkweise verbunden mit der systematischen, das ist aber auch Hegel. Auch hinter Hegels Geschichte der Philosophie steht der Gedanke, dass das Denken über die Wirklichkeit selbst zur Wirklichkeit gehört. Es geschieht also etwas. Bei Heidegger geht das meiner Ansicht nach zu weit, auch wegen seiner Verirrungen im Dritten Reich. Wenn er davon sprach, dann immer von einem Ereignis in der Geschichte des Seins. So betrachtete er das: Da sei etwas geschehen. Dass er als Subjekt involviert war, spielte keine Rolle, sondern es geschah. Das Sein selbst hat sich so und so verborgen. Manchmal grenzt es ans Komische. Wenn das Sein sich verbirgt, kann man auch sagen: Du hast dich verschlossen.

Ihre Doktorstudie über L. G. A. de Bonald Der Ursprung der Soziologie aus dem Geist der Restauration ist 1959 im Kösel-Verlag erschienen. Nur zwei Jahre früher veröffentlichte E. M. Cioran Über das reaktionäre Denken, ein Buch über J. M. de Maistre, also über einen anderen berühmten konservativen Denker der Restauration. De Bonald und de Maistre werden nicht selten als Reaktionäre bezeichnet.

Ich habe 1974 beim Münchner Kongress Tendenzwende einen Vortrag gehalten, in der Gegenwart des damaligen Bundespräsidenten Walter Scheel, wo auch Ralf Dahrendorf gesprochen hat. Dahrendorf begann seinen Vortrag mit den Worten: „Ich spreche zu Ihnen als ein Linker.“ Dann kam sein Vortrag, der sehr interessant war. Hinterher in der Diskussion habe ich gesagt: „Herr Dahrendorf, ob Sie rechts oder links sind, hängt nicht von Ihnen ab. Wenn hinreichend viele Leute links von Ihnen sind, dann sind Sie rechts. Wenn hinreichend viele Leute rechts von Ihnen sind, dann sind Sie links. Das haben Sie gar nicht in der Hand.“ Es hat mich immer geärgert, wenn man mich als konservativ bezeichnet hat, aber natürlich kennen die anderen einen besser als man sich selbst. Wenn man an bestimmten Dingen festhält, die man als bewahrenswerte Errungenschaften ansieht, ist man dann konservativ? Ich habe keine neuen Ideen. Es ist nur so, ich gebe das, was ich habe, nicht einfach auf. Der Skeptizismus ist deshalb auch konservativ, weil er nicht an die Gründe glaubt, die das Bestehende erschüttern. Dann kamen eben die 68er, und das ist dann ein Kapitel für sich.

Reaktionär sein heißt, man möchte wiedergewinnen, was verloren war. Nicolás Gómez Dávila zum Beispiel sagte, ich bin nicht konservativ, sondern reaktionär, er sagte, es ist heute schon ein Zustand, den ich für nicht so gut halte. Aber der Reaktionär unterscheidet sich vom Konservativen dadurch, dass er nichts will. Er will auch nicht das Alte wiederherstellen, weil er weiß, dass das gar nicht geht. Dávila wusste, der Reaktionär will gar nichts, er ist nur der, der im 1. Akt schon die Leichen des 5. Aktes voraussieht.

Der Reaktionär als Prophet?

Ja!

Statt über den Demokraten sollten wir über den Revolutionär sprechen.

Es kommt immer darauf an, gegen was man revoltiert. Es gibt gute und schlechte Revolutionen, wobei ich sagen muss, dass sich in den letzten Jahren Beobachtungen, die ich gemacht habe, bestätigen, was immer eigentlich katholische Auffassung war, dass nämlich die gewaltsamen Revolutionen fast nie Verbesserungen bringen. In meiner Überzeugung ist das erst im Zusammenhang mit dem Arabischen Frühling gewachsen. Wenn man sieht, was daraus geworden ist und wie man das hier gefeiert hat und wo man jetzt lieber sagen würde: „Ach, hätten wir doch wieder die Zeit vor dieser Revolution“, dann muss ich sagen, dass ich sehr skeptisch bin. Und dann muss schon etwas völlig Außerordentliches geschehen, denn fast immer enden Revolutionen blutig. Und auch heute ist es immer noch die Französische Revolution … Hegel hat sich positiv über sie geäußert. Was er nicht erwähnt hat, das ist der erste Völkermord in der Geschichte, die Vendée. Frauen und Kinder, ausdrücklicher Befehl: Niemanden übriglassen, das ist alles ein Bauernpack, die Vendée … Das erste Mal in der Geschichte bringt man planmäßig eine Bevölkerung um. Demokratie ist eine andere Frage. Demokratie, die Schweiz ist das beste Beispiel dafür. Direkte Demokratie durch Volksabstimmungen bringt oft fortschrittlich denkende Menschen zur Verzweiflung. Im Film Der dritte Mann aus dem Jahr 1949, der unter den Besatzungsmächten in Wien spielt, ist Harry Lime – verkörpert von Orson Welles – ein großer Drogenboss. Ein Freund, der ihn trifft, redet ihm ins Gewissen, was er alles mit dem Drogenhandel anrichtet. Sie sind am Riesenrad des Wiener Praters und fahren zusammen Gondel, als der Drogenhändler sagt: „In den 30 Jahren unter den Borgias hat es in Italien nur Krieg, Terror, Mord und Blutvergießen gegeben, aber sie brachten Michelangelo, Leonardo da Vinci und die Renaissance hervor. In der Schweiz herrschte brüderliche Liebe, 500 Jahre Demokratie und Frieden. Und was hat es gebracht? Die Kuckucksuhr!“ In einem meiner Texte plädiere ich für eine Demokratie mit nicht-demokratischen Seelen. Das ist eine platonische Idee. Wenn die Seele des Menschen demokratisch ist, dann ist es das Chaos, dann gibt es keine Vernünftigen, dann gibt es keine Größe, dann gibt es auch nicht wirklich Gutes. Nur aristokratische Seelen können eine Demokratie machen.

Ausschnitt aus einem im Oktober 2015 in Stuttgart geführten Gespräch.

Proustscher Fragebogen

Was ist für Sie das größte Unglück?
Menschlichem Hass ausgeliefert sein.
Wo möchten Sie leben?
Dort, wo ich lebe.
Was ist für Sie das vollkommene irdische Glück?
Die Quadratur des Zirkels.
Welche Fehler entschuldigen Sie am ehesten?
Die auf eigene Kosten.
Ihre liebsten Romanhelden?
Don Quijote.
Ihre Lieblingsgestalt in der Geschichte?
Jesus von Nazareth.
Ihre Lieblingsheldinnen in der Wirklichkeit?
Jeanne d’Arc.
Ihre Lieblingsheldinnen in der Dichtung?
Antigone.

Ihr Lieblingsmaler?
Cezanne.

Ihr Lieblingskomponist?
Olivier Messiaen, Arvo Pärt.
Welche Eigenschaften schätzen Sie bei einem Mann am meisten?
Güte, Klugheit, Mut.
Welche Eigenschaften schätzen Sie bei einer Frau am meisten?
Güte, Klugheit, Schönheit.
Ihre Lieblingsbeschäftigung?
Wandern.
Wer oder was hätten Sie sein mögen?
Der, der ich bin.
Ihr Hauptcharakterzug?
Redseligkeit.
Was schätzen Sie bei Ihren Freunden am meisten?
Dass sie meine Freunde sind.
Ihr größter Fehler?
Dann machen wir hier die Redseligkeit.
Was wäre für Sie das größte Unglück?
Dann würde ich hier sagen: Fremdenhass physisch ausgeliefert sein.
Was möchten Sie sein?
Robert Spaemann.
Ihre Lieblingsfarbe?
Blau.
Ihre Lieblingsblume?
Wilde Glockenblume.
Ihr Lieblingsvogel?
Nachtigall.
Ihr Lieblingslyriker?
Georg Trakl.
Welche geschichtlichen Gestalten verachten Sie am meisten?
Ich kenne niemanden gut genug, um ihn zu verachten.
Welche militärischen Leistungen bewundern Sie am meisten?
David gegen Goliath.
Wie möchten Sie sterben?
Bewusst und ohne große Schmerzen.
Ihre gegenwärtige Geistesverfassung?
Müdigkeit.
Ihr Motto?
Nichts zu sehr.

Letzte Änderung: 13.08.2021

Als eine der bedeutendsten Stimmen unter den Philosophen der Nachkriegszeit hat Robert Spaemann mit seinen Schriften über die Ideengeschichte der Neuzeit, die Naturphilosophie, die Anthropologie, die Ethik und die politische Philosophie die philosophische und gesellschaftliche Debatte wie nur wenige beeinflusst und geprägt. Am 10. Dezember 2018 ist er im Alter von 91 Jahren in Stuttgart gestorben.

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