Verkappte Anarchisten

Verkappte Anarchisten

Gespräch mit Jan Kuhlbrodt
	  Jan Kuhlbrodt  | © Foto: Klaus Praefke

Jan Kuhlbrodt spricht über den Zusammenhang von Erfahrung und Gedicht, vom Unterschied von Gedicht und Prosa, von Rhythmus und Grenzverschiebungen, von Philosophie und Poesie. Im Gespräch mit Bernd Leukert äußert sich der Lyriker zum Fortschritt, der hin und her geht, und zur aufklärerischen Arbeit, für die er steht.

Bernd Leukert: Mir ist aufgefallen, dass Deine Lyrik – um diesen problematischen Begriff zu verwenden – einen auffallend praktischen Zugriff aufweist. Es geht entweder um Geschichte, die beeinträchtigt ist von Ideologie, oder um biographische Angelegenheiten. Beides kreist um Themen und hält sich daran. Ist das Deine Möglichkeit, Gedichte zu machen?

Jan Kuhlbrodt: Ich glaub’ schon. Ich bin auch etwas verwirrt – hinsichtlich der Gattungen. Ich glaube, dass ich philosophisch denke, dass ich lyrisch denke und auch in Prosa denke, dass aber die Funktionen, wie ich sie denke, nicht die klassischen Formen sich wählen. Das Erzählen sucht sich eher das Gedicht und die Philosophie eher den Prosa-Text.

Dennoch machst Du einen Unterschied zwischen Erzählung und Gedicht.

Ja. Das ist ja die klassische Unterscheidung: ob ich Verse benutze oder eine mehr oder weniger gebundene Rede. Zum Teil habe ich Hexameter benutzt, die ich aber hinterher zerstören musste, weil: Man muss auch mal an den Leser denken.

Aber vielleicht wartet der ja darauf, mal so etwas zu finden! Ich kann mir vorstellen, dass Leute den hohen Ton auch suchen.

Ja, aber die rhythmische Komponente ist ja nicht an den hohen Ton gebunden. Ich habe einen Freund, der ist Komponist. Dem schreibe ich manchmal Texte. Der hat sich mehrfach geweigert, das Wort ‚Spiegelei’ zu vertonen. Denn er sagt, das kann man nicht. Ich glaube aber, das Wort ‚Spiegelei’ kann man in einem Hexameter unterbringen. Insofern ist die rhythmische Form nicht an den hohen Ton gebunden. Aber vielleicht umgekehrt!, dass der hohe Ton die rhythmische Form sucht, weil er sonst Kitsch wird.

Dennoch bleibt die Frage, wo denn dann für Dich die Unterscheidung ist: Du hast Erzählung, Du hast Prosa – die ja in der jüngeren Vergangenheit – mit den siebziger Jahren – als emphatischer Begriff aufkam. Prosa war nicht Roman, sondern Text. Den unterwarf man reduktionistischen Disziplinen, so dass übrigblieb, was übrigblieb. Was aber macht für Dich das Gedicht aus?

Ja, das Gedicht arbeitet im wesentlichen rhythmisch und geht auf den Vers. Elke Erb sagt: Vers ist Vers. Das heißt, das Gedicht operiert mit dem Vers als einer abgeschlossenen Einheit. Die ist fraktaler als ein Prosatext, weil die Verse sich aneinander- oder aufeinandersetzen, nicht wie Sätze, die sich aneinander wenden, sondern die Bezüglichkeit ist eben eine horizontale, während sie bei der Prosa vertikal ist. So kann man es vielleicht sagen.
Der Prosa ist es auch wurscht, wann die Seite zu Ende ist, dann wird sie eben einfach umgeschlagen, während ein Gedicht schon das Ende der Strophe markiert.

Da spielt die Form eine größere Rolle.

Auch die Zäsuren spielen eine größere Rolle. In der Prosa hat man mit einem Satzzeichen vielleicht eine Anzeige oder mit dem Kapitelende. Aber der Rhythmus der Zäsuren ist schneller im Gedicht als in der Prosa.

Man will ja was erreichen

Zum anderen fällt mir auf, dass Dein praktischer Zugriff keine formalen Experimente einschließt. Es gibt ein paar Texte, die fallen etwas heraus. Da arbeitest Du mit Permutationen. Aber Du zerhackst die Zeilen nicht, Du zerhackst die Wörter nicht, Du amputierst die Worte nicht. Aus gutem Grund?

Es bietet sich mir nicht an, so zu arbeiten, weil der Text es nicht fordert. Es ist vielleicht auch meine Art, so zu denken, oder mein Festhalten an aufklärerischen Gedanken, – was aber nicht heißt, dass ich das verabsolutieren möchte. Ich will nur sagen, dass es für mich wichtig ist, ein Thema gewissermaßen in aufklärerischer Tradition zu behandeln. Das heißt nicht, dass ich das, was Ulf Stolterfoht macht, nicht genießen kann. Das sind andere Maßgaben der Arbeit, andere Rhythmen sozusagen. Ich sehe mich schon mehr oder weniger als Aufklärer. Mir ist das Thema auch wichtig. Die Gedichte sind ja auch meistens thematisch geordnet. Die Texte spielen das Thema durch und nicht die Form. Das ist meine Art des Arbeitens, vielleicht auch mit einer vermessenen Hoffnung: Man will ja was erreichen damit.

Ja, vielleicht erleben wir es nicht mehr … Ich habe gestern Abend ein Zitat gehört, das dem Komponisten Helmut Lachenmann zugeschrieben wird: Wenn ein Künstler weiß, was er will, dann will er nur das, was er weiß.

Das stimmt allerdings. Es ist aber auch so, dass der Text immer auch dagegen arbeitet, gegen das, was ich will.

Auf diesen Punkt wollte ich kommen.

Das ist bei Lachenmann garantiert auch so.

Aber sicher. Nach dem Punkt, an dem man also der Sprache folgt und nicht mehr dem Thema, muss man sich irgendwann entscheiden: Folgt man weiter dem Thema? Was lässt man zu? Was lässt Du zu?

Zuweilen muss man der Sprache folgen, weil’s einfach Spaß macht. Dann wird es auch verspielt. Aber man verlässt damit das Thema nicht, glaube ich, weil der Spaß auch thematisch generiert wird. Wenn man gewisse Vorsätze hat oder ein gewisses Thema im Kopf, dann ergibt sich daraus auch der Spaß. Auch das absurde Moment ist in jedem Thema vorhanden. Es gibt kein Thema, was man endgültig lösen könnte. Das heißt, es gibt in jedem Thema diese Spannen, die ins Absurde treiben. Denen muss man auch ein Stück weit nachgeben, sonst wird es anstrengend. Dann kriegt man auch Rückenschmerzen, wenn man den Spaß raus lässt. Das ist, glaube ich, auch das, was ich mit Aufklärung meine. Aufklärung heißt nicht, die Wahrheit zu sagen, sondern ein Thema auszuleuchten in seinen im Moment möglichen Perspektiven. Dabeizubleiben. Und dann heißt es natürlich auch, es an die Ränder zu treiben und über die Ränder zu gehen. Und dann treibt jedes Thema ins Absurde.

Und das ist zugleich das Zeitgenössische, denn das kann in verschiedenen Epochen nur sehr unterschiedlich ausfallen.

Na klar. Es geht immer um eine Grenzverschiebung. Aber ob es immer eine Erweiterung ist, weiß man nicht. Die Grenzen werden auch zurückgenommen und wieder erweitert. Über Fortschritt kann man reden, wenn Freiheit herrscht. Und bis dahin ist sie nur ein Gedanke. Es ist der Gedanke, dass irgendwann, irgendwann eine Freiheit herrscht oder irgendwann Versöhnung sei. Aber bis dahin ist der Fortschritt nicht zielgerichtet, sondern geht hin und her.

Ich habe gerade bei Karl Heinz Bohrer gelesen, dass es bei Valéry und bei Baudelaire keine Versöhnung gibt. Es gibt keine Möglichkeit der Versöhnung.

Es ist die Frage, ob sie formuliert ist. Gerade bei Baudelaire. Sie ist nicht als Möglichkeit der Versöhnung formuliert. Aber indem ich die Unmöglichkeit formuliere, brauche ich die Versöhnung.

Als Folie.

Genau. Er propagiert die Erlösung nicht. Aber sie schwingt auch bei Baudelaire mit. Denn sonst würde in dem Augenblick kein Sonett gelingen, wenn er nicht eine Identität von Inhalt und Form wenigstens anstreben würde. Sonst würde alles zerfasern. Auch Baudelaire würde zu keiner Aussage fähig. Er sagt nicht: das ist die Versöhnung, sondern er versucht zu ordnen, was ihm vorliegt. Und das ist natürlich unversöhnt. Aber das, was er macht, ist quasi die Versöhnung, nämlich das Unversöhnte zu zeigen. Das ist eben dialektisch. Und das würde auch Valéry so sehen. Für ihn ist ja Technik ein wahnsinnig wichtiges Moment. Es geht nicht um Beherrschung, wenn er von Technik spricht, sondern um Ordnung auf einer anderen Ebene. Dieser Unterschied ist wichtig zwischen Ordnung und Beherrschung. Ordnung ohne Beherrschung bedeutet, man macht sich selber nicht zu Souverän, indem man ordnet. Sonst würde man zum Herrscher. Es geht aber darum, Herrschaft zu überwinden usw.

Ja, die Herrschaft braucht auch immer die Willkür.

Genau. Das ist quasi ihr Innerstes. Insofern sind wir alle verkappte Anarchisten, jeder, der Kunst macht, letztlich.

Beschäftigst Du Dich lange mit Deinen Themen, bevor Du Dich entschließt, etwas daraus zu machen? Oder sind es Fundstücke?

Sowohl als auch. „Kaiseralbum“ ging so los, dass mir irgendwann dieses Buch vom Apfel, „Liber de pomo“, herausgegeben von Friedrichs (II, der Staufer) Sohn Manfred zur Rehabilitierung seines Vaters in die Hand gekommen ist. 2001 wurde das noch einmal herausgegeben. Und das hat mich fasziniert. Zum einen: Die Verwechslung von Platon und Aristoteles im Text selber ist witzig, weil sie auch der mittelalterlichen Philosophie widerspricht, die gar nicht so aristotelisch sein will und es aber dann plötzlich ist in dem Text. Zum anderen: Der Anspruch, einen Ketzer zu rehabilitieren, indem man einen griechischen Text aus dem Arabischen ins Latein übersetzt und das dann dem Papst widmet! Das ist auch ein Gedanke, den ich phantastisch fand. Und darüber bin ich dann zu Friedrich II. überhaupt gekommen. Der Anlass war dieses Buch. Vor allem hat es ein wahnsinnig schönes Material. Es gibt eine englische Versform dieses Buches aus dem 19. Jahrhundert, ein Langgedicht, das mit abgedruckt ist; dann der lateinische Text und der übersetzte, sehr gut kommentiert. Das ist ein Buch! Es hat ein paar Jahre gedauert, bis ich so weit war. Aber da kommt natürlich einiges zusammen. Dass ein anderer Sohn Friedrichs, der Konrad, in einem sizilianischen Dichterkreis tätig war, fand ich auch ganz witzig, dass in der Zeit auch das Sonett seinen Durchbruch feiert usw. Da kommt vieles zusammen. Deshalb hat das auch eine Zeit lang gedauert. – Und eine andere Ebene ist halt biographisch in den Texten. Das ermöglicht mir natürlich, sehr viel Material zu generieren, – wo ich möglichst nah dran bin, was ich meine zu kennen, – was sich dann aber doch als fremd herausstellt.

Philosophie und Poesie

Es gibt ja die These, dass am Anfang die Philosophie und die Poesie eins waren.

Das finde ich immer noch.

Idealerweise ist das so. Und die Dichter, die Substantielles hinterlassen haben oder noch schreiben, sind oft erfahren in der Philosophie.

Es gibt zwei Möglichkeiten. Es gibt eine Form des Denkens, die philosophisch ist, und es gibt den Kanon der philosophischen Überlieferung. Und ich glaube, man kann philosophisch denken, ohne den Kanon zu kennen. Es geht einfach darum, wie man sich der Welt öffnet. Natürlich macht der Kanon einiges leichter, man muss das Fahrrad nicht neu erfinden, aber es gibt in jedem Bereich, auch in der Philosophie, ziemlich geniale Dilettanten. Und die muss man schon auch ernst nehmen. Auch in der Dichtung gibt es die. – Also für mich, um auf die These zurückzukommen, ist das der Weg. Ob der mir vorgeschrieben war, weiß ich nicht. Nein, das hat sich letztlich so ergeben. Ich wollte eigentlich nie Dichter werden. Ich wollte immer Philosoph sein. Und erst während des Studiums hat sich herausgestellt, dass das philosophische Skelett doch relativ eng ist und dass man andere Formen benutzen muss, auch um den Gedanken zu bringen usw.

Es kommt darauf an, was man da zulässt und was nicht. Und wenn man natürlich in einer strengen Schule ist, dann muss man sich an die Ableitungen halten. Aber das ist nicht sehr fruchtbar. Man kann freilich zu Schlüssen kommen, die alle anderen Versuche vorher zunichte machen.

Aber man wäre ja nicht da hingekommen ohne die anderen Versuche. Die Schwierigkeit besteht auch mit dem Wahr und Falsch. Es ist nicht so, dass die Philosophie eine Pyramide wär’ – Hegel hätte das gerne gehabt! An der Spitze der Pyramide dann Hegel, und unten treibt alles auf diesen Gedanken hin. Aber sie ist auf jeden Fall ein Steinbruch oder ein Bergwerk oder ein letztlich ungeformter Haufen von Gedanken, die sich je nach Perspektive zu anderen Formen zusammensetzen.

Ich denke auch, dass Lebenserfahrung – und die gehört ja auch zum Gedichteschreiben – bieder bleibt, wenn sie nicht die Qualität einer philosophischen Reflexion gewinnt.

Einer künstlerischen oder philosophischen Reflexion. Ich denke auch, dass die Erfahrung für uns alle ein Fundament ist. Ich habe ja recht viel unterrichtet, also auch Schreiben usw. Und man merkt, dass die souveräne Beherrschung der Form noch nicht zum Gedicht führt, sondern es muss schon auch eine Erfahrung dahinter stehen, es kann auch ganz abstrakt eine Erfahrung mit der Form sein, es muss nicht der frühe Verlust der Eltern oder so sein. Darum geht es nicht. Sondern es geht darum, dass die Form sich irgendwie aufreibt, sich stößt. Dann wird es spannend, weil es entweder sehr viel Anstrengung braucht, um die Regel einzuhalten oder die Regel kalkuliert zu verletzen. Das sind die zwei Möglichkeiten, die die Würze eines Textes ausmachen.

In den Beintaschen

Du hast erwähnt, dass Du erst während des Philosophiestudiums darauf gekommen bist, dass Du mehr ausdrücken willst als das, was in der Philosophie vorgezeichnet ist. Gab es aber vorher eine Beschäftigung mit Lyrik?

Ja, gelesen habe ich, seit ich Dreizehn bin, bis dahin Science Fiction, das fand ich ganz großartig. Und das kippte dann in eine Lyrikbeschäftigung. Ich hatte das Glück, in einem Freundeskreis zu sein, wo wir alle relativ viel Lyrik gelesen haben damals in Karl-Marx-Stadt. Dann haben wir immer das gelesen, was sozusagen zu uns kam, was sich ergab. Aber es gab ein paar Bücher, die hatten wir alle in den Beintaschen der Hose. Uwe Greßmann zum Beispiel und solche Geschichten, die hatten alle aus dem Freundeskreis – zehn, fünfzehn Leute. Wir haben die gelesen und darüber gesprochen. Das war natürlich auch ein Stück weit ein Ausbruch aus den DDR-Verhältnissen. Die Lyrik hatte immer auch für uns bedeutet zu reisen: Was uns nicht vergönnt war, das musste die Literatur, und speziell die Lyrik für uns erledigen. Darum haben wir auch streckenweise anders gelesen als Altersgenossen in Westdeutschland, für die das ja alles ein freies Spiel war. Für uns war das existentiell. Wir mussten das lesen, denn wir kamen nicht raus. Die Lyrik hat uns die Räume erschlossen. Auch dieses ‚zwischen den Zeilen’ – natürlich haben wir in jedem Text zwischen den Zeilen nach Informationen gesucht, was woanders, wo es eine freie Presse gab, gar nicht notwendig gewesen wäre.

Hat sich dann in der ‚Gedichtproduktion’ nach dem Mauerfall etwas geändert?

Erst einmal gab es natürlich viele Gedichte, die ich selbst eine Zeit lang geschrieben habe, die mit der Einmauerung und dem Mauerfall umgehen mussten, auch mit dem Verlust der Utopien, die wir durchaus hatten hinter der Mauer, auch bezüglich Westdeutschland oder der restlichen Welt. Also, wir waren ja keine Antikommunisten. Wir hatten natürlich mit dem Staatsgebilde gewisse Utopien verbunden. Ich gehöre nicht zum Prenzlauer Berg, ich war hier in Leipzig und in Chemnitz. Das waren schon andere Umstände. Und mit dem Verlust musste man schon erst einmal klar kommen. Das hat sich natürlich letztlich in den Texten Raum gesucht. Die Leerstelle musste ja neu gefüllt werden.

Aber das ‚Zwischen den Zeilen schreiben’ …

Das hat sich erübrigt. Man konnte dann wesentlich direkter operieren. Das ist auch sehr, sehr, sehr schön, weil man das Gedicht nicht mehr benutzen muss. Man kann direkt schreiben. Man kann das Gedicht schreiben und muss nicht das Gedicht schreiben, um irgendetwas anderes zu sagen. Das ist natürlich einer Befreiung gleichgekommen. Und man konnte auch endlich frei lesen! Wir konnte über Kafka anfangen zu lachen. Wir haben nicht überall das zerstörte Individuum suchen müssen, sondern wir konnten auch die amüsanten Stellen aufgreifen, die wir vorher ignoriert hatten. Insofern war das schon eine Befreiung.
Was aber beim Gedichtemachen, nicht nur für mich, sondern auch für Leute, die anders arbeiten – wie Ulf Stolterfoht etwa – den Reiz ausmacht, ist das Wagnis, die Sprache freizulassen. Und dabei kriegt man auch die Einschränkungen präsentiert, unter denen die Sprache leidet, – wenn man das ideologiekritisch formulieren will. Deshalb auch setzt man auf das Nichtidentische, das Adorno meint, das, was sich nicht in Sprache packen lässt, was aber trotzdem der Sprache anhaftet, das, was sich jenseits der Sprache befindet, das, worüber wir schweigen müssen, wie Wittgenstein schreibt. Aber sonst wär’s auch langweilig.

Letzte Änderung: 18.08.2021

Jan Kuhlbrodt, geboren 1966 in Karl-Marx-Stadt, studierte politische Ökonomie in Leipzig, Philosophie und Soziologie in Frankfurt am Main. Von 1997 bis 2001 studierte er am Deutschen Literaturinstitut in Leipzig. Der Philosoph, Erzähler, Essayist, Dramatiker und Lyriker arbeitete als Lehrer für jugendliche Strafgefangene und als Antiquar. Von 2007 bis 2010 war er Geschäftsführer der Literaturzeitschrift EDIT, lehrte an der Hochschule für Musik und Theater „Felix Mendelssohn Bartholdy“ in Leipzig und als Gastprofessor am Deutschen Literaturinstitut.
Seine Reflexionen sind in dem Blog postkultur nachzulesen.
Seinen ersten Gedichtband mit dem Titel „Verzeichnis“ begann er mit einem Zitat von Friedrich Wilhelm Joseph Schelling: „ … nicht also, daß ich auf eine bestimmte Art begrenzt bin, sondern die Art dieser Begrenztheit selbst, ist das Unerklärbare.“ Diesen mit starken Gedichten gefüllten Band durchziehen poetische Themen, die sich zugleich als philosophische Gegenstände aufs Anschaulichste darstellen: Die Sprache als Stimme/ Und Vorstellung und mit den Worten/ Nicht in Einklang zu bringen. („Herkunft“). Und gerade in den biographisch gespeisten Kapiteln, in denen Gesehenes, Erlebtes, Empfundenes lakonisch in erinnerten Alltagsbildern erzählt werden, schauen ihm Giordano Bruno, Walter Benjamin, J.G. Fichte, Wilhelm von Ockham oder Ernst Bloch über die Schulter. Neben Romanen und Essaybänden erschienen die Langgedichte „Zentralantiquariat“ und „Il Manifesto“ um und über Pasolini, den Großvater und Pound, schließlich der durchgestaltete Band „Stötzers Lied. Gesang vom Leben danach“, in dem aus Gedichten die Figur Stötzer postum als noch lebende entsteht mit all ihren Eigenheiten und Eigensinnigkeiten in der Grenzzone zwischen zwei Jahrtausenden. „Kaiseralbum“ ist ein poetisches Feuerwerk, das zur Hälfte virtuos, witzig und mit spürbarer Sprachlust den Kaiser besingt, zunächst den Staufer Friedrich II., der mit Tieren, auch wilden, reiste und seinem Zoo die gleiche Aufmerksamkeit erwies wie seinem Hofstaat. Belustigt und respektlos, versehen mit ausufernden, informativen und vergnüglichen Fußnoten, nimmt er ihn und seinen Großvater Barbarossa aus verschiedenen Positionen in den Blick, geht dann singend zu anderen Kaisern über, bis die monarchische Suite herrlich sich zur Kantate mit Arien, Rezitativen und Chören auswächst. In der zweiten Hälfte des Buches ist das „Requiem in Rom“ zur Erinnerung an Beatrix Haustein und Hans Werner Henze untergebracht und „At Chemnitz oder Gesang vom Leben im Süden der Mitte des Nordens“, ein großer Gesang auf des Dichters Heimatstadt, sarkastisch, bissig, aber auch zugewandt und äußerst lehrreich.
Jan Kuhlbrodt lebt als freier Schriftsteller in Leipzig. Dort wurde das folgende Gespräch am 24. November geführt.

Jan Kuhlbrodt Stötzers Lied | © Foto: Klaus Praefke

Jan Kuhlbrodt Stötzers Lied. Gesang vom Leben danach.

Illustrationen: Ivonne Dippmann
Softcover, 180 Seiten
ISBN: 978-3-945832-03-5
Verlagshaus Berlin, 2013

Hier bestellen
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