Ich bin selber vorne
Franz Mon war einer der bekanntesten Künstler der Konkreten Poesie im deutschen Sprachraum. Nun ist er im Alter von 95 Jahren gestorben. Er wirkte als Lautpoet, Hörspielautor und Grafiker. Im Gespräch mit Bernd Leukert erklärte er vor zehn Jahren, wie sich der charakteristische Mon-Klang entwickelt hat.
Wenn Sie diese Texte schreiben – das sind ja Lautgedichte, aber eben nicht nur Lautgedichte, es geht ja weit hinein in den Lettrismus, besonders, wenn es keine lesbaren Gedichte mehr sind, sondern nur noch sichtbare, sehe ich die auf der Linie einer kurzen Tradition, nämlich der Avantgarde der 50er Jahre, da fing das an, wurde noch einmal wiederbelebt in den 70ern, die natürlich vieles ausschließt. Das ist eine Selbstbeschränkung. Hatten Sie das von Anfang an so geplant? Oder ist das biographisch bedingt gewesen, dass Sie diesen Weg eingeschlagen haben?
Also, mit dem Lettrismus habe ich nie etwas zu tun gehabt. Ich habe in den 50ern meine Arbeit angefangen. Damals kannte man in Deutschland vom Lettrismus gar nichts. Allmählich und mühselig haben wir den Dadaismus entdeckt, Raoul Hausmann, Kurt Schwitters zum Beispiel, den Expressionismus, Arno Holz. Wir haben ja in unserer eigenen Literatur eine weitreichende, bis in den Barock zurückreichende Tradition, mit dem Wortmaterial zu arbeiten, mit Permutationen, mit Metaphern usw. Und meine wesentliche Entdeckung war die Artikulation. Wenn ich spreche, dann bewege ich meine Mundorgane. Und da fiel mir auf, dass eine eigentümliche Art von Literatur entsteht, wenn ich meine Mundorgane bewege. Und ich habe dann damals – da war ich noch Student – mit artikulatorischen Beobachtungen Texte analysiert und festgestellt, dass es da ganz bestimmte Artikulationskonturen gibt, die einen Text charakterisieren. Und von da aus kam ich zur akustischen Literatur. Und die andere Seite waren eben die Elemente der schriftlichen. Mir wurde klar, Literatur ist nicht nur Bedeutung und Sätze und Geschichten und Stories, sondern Literatur ist auch geschrieben. Und da war ich auf der visuellen Seite.
Das war der Weg? Vom Akustischen zum Visuellen?
Nein, das war simultan. Das lag nebeneinander. Im Grunde war es die Vorstellung, ich muss mich auf das Elementare, auf das Material beziehen, aus dem Literatur besteht. Auf den Materialbegriff kam ich durch Gespräche mit dem Maler Karl Otto Götz, der damals in Frankfurt lebte. In der Zimmergalerie Franck, die es damals gab, lernte ich ihn kennen. Und wir kamen ganz schnell ins Gespräch, und ich habe jahrelang mit ihm freundschaftlich zu tun gehabt. Und von ihm kam der Begriff, den die Maler und die Musiker natürlich auch hatten: des Materials. Für mich wurde dann allmählich klar, dass zu meinem Materialbegriff auch das semantische Moment gehört, die Konnotation, und nicht nur das Hör- oder Sichtbare.
Dennoch hat es ja mit einem selbst zu tun, wenn man diesen Weg geht, also über das Material. Sie sagen ja nicht: Gut, wir haben eine poetische Tradition, die fängt meinetwegen in der Renaissance an, also, wie verhalte ich mich dazu? Diesen Weg sind Sie ja nicht gegangen.
Nein, nein. Das war ja in den frühen 50er, späten 40er Jahren. Die Zimmergalerie fing ja, glaube ich 1948 an, und ich gehörte zur Flakhelfer-Generation. Für mich war alles, was heute selbstverständlich bis in den Grundschulen an Modernität da ist, null. Nichts war da. Und es kamen dann ganz minimale Zufallsentdeckungen, die einen dann langsam auf die Spur brachten. So fing das damals an. Damals – 1950 war ich Vierundzwanzig – war es für mich klar, dass das, was ich kennengelernt habe in der Schule oder wo auch immer, also die Literatur, die es in den 30er und in den 40er Jahren in Deutschland gab, – das ist es nicht. Das will ich nicht, und das wollen wir nicht, nämlich meine Generation. Bei Rühm oder bei Artmann gibt es dieselben Reflexe. Und auf der anderen Seite, mir war klar, mit dem, was ich jetzt da anfange, kann ich auch keinen Blumenpott gewinnen. Da kräht kein Hahn danach, was ich jetzt hier ausprobiere. Auf der anderen Seite sagte ich mir aber, ich will das machen, was ich machen will, was mir wichtig, was mir interessant ist, – wo meine Interessen sind. Und vermutlich werde ich auch lange nicht meine Brötchen damit verdienen können. Das war mir von vornherein klar. Brötchen müssen woanders herkommen.
Und wo kamen die Brötchen her?
Von der Verlagsarbeit. Dort habe ich meine Brötchen verdient und parallel dazu diese Dinge gemacht seit den ausgehenden 40er Jahren.
Gab es da von der Haltung her eine Nähe zur Trümmerliteratur, zu diesen Bestandsaufnahmen?
Nein, überhaupt nicht. Die Trümmer waren ja da. Die hat man gesehen. Ich war ja auch noch Soldat gewesen. Das war das Faktische. Warum soll ich mich damit beschäftigen?
Ich meinte dieses Vonvorneanfangen: Was ist denn überhaupt noch da? Bindfaden, Taschenmesser…
Das ist die ältere Generation. Wir Zwanzigjährigen haben die Trümmer nicht gemacht. Sie sind da, und ich kann nicht von vorne anfangen, weil ich gar nicht weiß, wo vorne ist. Ich bin selber vorne, ich, privatim. Und es gab natürlich Glücksfälle, Zufälle, dass man dann doch Entdeckungen macht, Kontakte findet, wie den in der Zimmergalerie zu Karl Otto Götz oder in einer Bibliothek einer Kollegin meines Vaters, einer Bibliothek aus den 20er, zehner, 30 Jahren hatte, da war Kandinsky drin und Paul Klee und Klabund und solche Sachen. Da konnte ich rein.
Das Gespräch wurde 2012 in Frankfurt am Main geführt.
Letzte Änderung: 14.04.2022 | Erstellt am: 09.04.2022