Wein um die Lippen
Die flämische Lyrikerin Els Moors schlägt einen unbefangenen, leichten Ton an, der aber seinen dunklen Untergrund nicht verbirgt. Ihre „Lieder vom Pferd über Bord“ sind in einer zweisprachigen Ausgabe erschienen. Moors kommt aus Belgien, das Buch aus Berlin. Bernd Leukert stellt die Lyrikerin in der Reihe „Europoesie“ vor.
Wer sich in den einschlägigen Medien die Liste der belgischen Lyriker ansieht und sich fragt, welche Namen denn auch bei uns bekannt sind, stößt auf Hugo Claus, Maurice Maeterlinck, der aber vor allem Dramatiker war, Henri Michaux, der aber für ein Franzose gehalten wird und Leonard Nolens, der in seinem Land bekannt und einflussreich ist, von dessen vielen Gedichtbänden aber kein einziger ins Deutsche übersetzt wurde. Würden wir nicht den Kopf schütteln, wenn die Belgier außer Goethe, Schiller, Benn und Grünbein nichts von deutscher Lyrik kennten? Nach der Frankfurter Buchmesse 2016, bei der die Sprachfamilie Niederländisch/Flämisch zu Gast war, bekamen wir eine Ahnung von unserer Ahnungslosigkeit, was die Kenntnis dieser Poesie angeht. Unter den Gästen stellte sich auch Els Moors mit Gedichten vor, die bildhaft zupackend beginnen und sich dann in Eichendorffsche Welten wegdrehen. Moors, die Sprachwissenschaft in Gent und Kunst an der Amsterdamer Rietveld Academie studierte, hat seit 2006 zwei Gedichtbände, einen Roman und Erzählungen veröffentlicht. Die Gedichte haben Eingang in den vorliegenden zweisprachigen Band „Lieder vom Pferd über Bord“ gefunden. Sechs Zyklen umfasst das Buch. Und die Gedichte, die Christian Filips übersetzt hat, kommen verspielt daher, führen uns unsere Versatzstücke vor, werden unter einer unschuldigen Oberfläche bedrohlich, surreal und abgründig: Alle Boote nach Lampedusa voll besetzt/ Nur, was in der Mehrheit ist, das Volk/ will gern aus freien Stücken untergehen …
Nur wirft die deutsche Version öfter Fragen auf, die durch den Textvergleich nicht beantwortet werden. Warum etwa ist das flämische ‚klaar’ mit ‚klar’ übersetzt? Warum fehlt im selben Gedicht (engel leg een nieuw lichaam voor me klaar) die Hälfte einer Zeile? Warum werden manche Wortwiederholungen nicht aufgenommen?
Els Moors gehört zu den wenigen Dichterinnen, die immer wieder unverblümt sexuelle Lust zur Sprache bringen. Und was andernorts schon moniert wurde, soll auch hier nicht verschwiegen werden: Denn an diesen Stellen wird zuerst deutlich, wie die Übersetzung ins Deutsche sich vor dem Offensichtlichen geradezu versteckt. So wird aus in een film waarin ik mezelf betast „In einem Film: Mich Fingern“, aus fuckende konijnen werden „bumsende“ (im Kapiteltitel sogar mit doppeltem s) oder „verbumste Karnickel“, het eigenwijze stoten wird zum „irren Rammeln“ und neuken wird zuweilen unverändert ins Deutsche übernommen: „neuken“. Um das Wort „ficken“ zu vermeiden?
Els Moors betreibt eine besondere Spielart der Poesie. Ihre Sprachbilder und szenischen Verwandlungen kommen ohne die weit verbreitete Melancholie aus. Sie stellt gerne Feines gegen Grobes und Sensibles gegen Burschikoses. Es geht eine Leichtigkeit von diesen Gedichten aus und ein trügerischer Lebensgenuss auf dunklem Hintergrund. Böse Phantasie wird sarkastisch ausgemalt oder pointiert gewendet:
Die Luft ist ein Bogen, darunter/ humpelt der städtische Tauber/ vorwärts auf einer Kralle/ sich durch die Straßenabfälle/ Hinterm Fenster stehn grau/ die Bäume Auch ein Stuhl steht/ vor einem Fensterbrett, darauf// hockt er, mit einer Ecke des Tischs/ entledigt er sich Feder um Feder des Kleids,/ bis nur sein gelbes Hautkleid übrig bleibt/ Zu allem bereit/ lass ich mich ins Schlafzimmer schleppen// Ein pinker Rand ist der Wein um die Lippen,/ den Mund Wenn das Telefon klingelt// häng ich, nicht unvermutet, ihm am Hals
erstellt am 07.4.2017
aktualisiert am 12.4.2017
Letzte Änderung: 25.09.2021
Els Moors Lieder vom Pferd über Bord
Niederländisch/Deutsch
Übersetzt von Christian Filips
120 Seiten
ISBN 978-3-945229-06-4
Brüterich Press, Berlin, 2016
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