Schimmernde Täublein

Schimmernde Täublein

Europoesie: Anneke Brassinga
Anneke Brassinga | © Peter Wesly

Der Tod des Vergil brachte die Lyrikerin Anneke Brassinga hervor: Als Übersetzerin von Hermann Brochs bekanntestem Roman beschloss sie, Gedichte zu schreiben. Eine Auswahl ihrer Gedichte sind wiederum für eine zweisprachige Ausgabe ins Deutsche übersetzt worden. Bernd Leukert hat sich in das Buch „Fata Morgana, dürste nach uns“ und in die Übersetzungsprobleme versenkt.

Wer deutsche Gedichte in niederländischer Übersetzung liest, kennt die spanischen Reiter (die anderswo auch friesische Pferde heißen), die das „Holländische“ dem, der beide Versionen vergleicht, in den Weg legt. Die deutsche Syntax und die deutschen Klangfolgen gehen beim Über-Setzen verloren und der Inhalt ist in einer befremdlichen Artikulation wiederzufinden, die von falschen Freunden nicht frei ist (d.h., von Vokabeln, deren Sinn wir unmittelbar zu verstehen glauben). Aber ist es noch der gleiche Inhalt? Unnötig zu erwähnen, dass das Gleiche für die Übersetzung niederländischer Poesie ins Deutsche gilt, wie das die Gedichte Anneke Brassingas bewusst machen. Vielleicht nötigt die jeweilige Landessprache sogar zu einer jeweils anderen Art zu denken. Darin läge dann allerdings ein ernstes, weil im Grunde politisches, Problem, das kein Esperanto überbrücken kann. „Das Unübersetzbare als Einzigartigkeit der Ausgangssprache ist ohnehin nur die halbe Wahrheit. Denn da ist das Komplementäre, die Unausweichlichkeit der Zielsprache.“ (Daniel Graf in „Unübersetzbar!“. Noten zur Begriffspolyphonie oder Nachtrag zu inter_poems, in: MERKUR 815, April 2017, S. 52) Aber Übersetzer setzen nicht selten auf das „Trotzdem“, so eben auch Anneke Brassinga – die als Übersetzerin begann -, wenn sie Franz Rosenzweig zitiert: „Übersetzen kann nur, wer von der Unmöglichkeit innig überzeugt ist – und zwar nicht von der Unmöglichkeit des Übersetzens überhaupt, sondern von der Unmöglichkeit dieser bestimmten Übersetzung, zu der er sich anschickt.“

Die Lyrikerin Anneke Brassinga wurde in Faust-Kultur schon vorgestellt, bevor sie mit einer zweisprachigen Ausgabe ausgewählter Gedichte in Frankfurt erschien, um (mit anderen Autoren) das Gastland Niederlande bei der Buchmesse 2016 zu repräsentieren. Dieser Band ist von Ira Wilhelm und (bei vier Gedichten) von Oswald Egger ins Deutsche übersetzt worden, zwei erfahrenen Sprachwerkern. Und das macht sich bemerkbar. Die Texte erscheinen nah am Original, und wo nicht, umspielen und erweitern sie, was nicht oder nur mit Schmerzen ins Deutsche zu bringen wäre. Und das mit gelegentlichem Übermut: Da „summen die Hummeln“, wo sie ursprünglich nur „sind“; statt zu beißen, „läuft“ die Laus; Neuschöpfungen wie „Hegefeuer“, „ziemlos“ oder „Flösch“ geben zu denken; und ab und an wird auch der Dichterfürst ins Spiel gebracht: „Ach Augenblick, verweile doch, du bist so schön!“ (was Brassinga nahelegt) oder: „Noch bliesest du einen Hauch …“.

Anneke Brassinga, deren poetische Kommentare zu Walt Whitman, T. S. Eliot und Stéfane Mallarmé sich metaphorischer Sprachbilder bedienen, die nun nicht direkte Bezüge auf Werk oder Person aufweisen, sind, ebenso wie ihre Gedichte zur Musik von Bach, Chopin und Mozart, die sie nicht eigentlich beschreiben oder gar nachbilden, Anverwandlungen, die – nach einem Gedankensprung – das für sie Wesentliche des Gegenstands in ein autonomes Sprachkunstwerk transformieren. Das klingt komplizierter als es ist, wenn man nicht überall nach Wiedererkennbarem sucht. Einfach ist die Poesie Brassinga dennoch nicht. Auch wenn – selbst für Deutsche erkennbar und womöglich nachvollziehbar – Wollust, Ekstase, Natur, Liebe, Verzweiflung und Anmut leitmotivisch die Sammlung durchlaufen, bleiben genügend viele Anspielungen und uns verborgene Zitate unerkannt stehen und ohne Kontext eben dem Wortklang anheim gegeben. Da wir nicht wissen, was da direkt oder indirekt mit ins Spiel kommt, treten uns diese Stellen als „dunkle“ entgegen; und es interessiert uns schon, ob über das literarische Beziehungsspiel hinaus Anneke Brassinga ohnehin enigmatische Wendungen anbietet, die uns Lesern eine größere Mitarbeit am Gedicht abverlangen.

Dass die intensive Beschäftigung mit Brassingas Poesie bereichernd ist, sollte bei alledem nicht vergessen werden. Und gerade die zweisprachige Ausgabe „Fata Morgana, dürste nach uns!“ lädt dazu ein, von der deutschen Fassung zum Originaltext zu gehen und beim laut Lesen dem Rhythmus und dem Klang der Sprache nachzuspüren. Dabei stößt man auf theatrales Pathos, auf Witz, Übermut und Sarkasmus, und eben auf die Denkdifferenz, die einem eine Ahnung vermittelt von den Schwierigkeiten, vor denen die Übersetzerin stand.
Es ist diese eigentümliche Mischung aus Naturbeobachtung, die metaphorisch die philosophische Betrachtung durchschimmern lässt, ohne zur Lebensweisheit zu verkommen. Beispielhaft dafür steht der Zyklus „Die Schönheit“: Die bessere Welt hegt trotzig nach uns ihr Verlangen –/ jedes Jahr beobachten wir, wie die Kastanien sich unziemlich entblößen,/ versprengen zigtausend grasgrüne Fledermäuse voll sakraler Lust,// während die alten Buchen, aufragend über des Wanderers Haupt,/ Millionen fast durchsichtiger Schmetterlinge auskotzen./ Wir aber denken wieder mal nach über die Schönheit, die wie nichterschaffen sei,/ sondern dazu verführt werden muß, sich in unseren Hühnerstall zu bequemen.

Auch die Epitaphe des Zyklus „Orphisch“ (die Anneke Brassinga für Faust-Kultur gelesen hat und die das vorliegende Buch enthält) weist diese meisterliche Synthese der Eigenschaften auf, die sich bei ihren Kollegen zumeist auf Gedichte unterschiedlichen Anspruchs verteilen: Naturbeobachtung, klangbewusste Sprachbilder, aus deren Struktur die Form entspringt, das Nachdenken über Leben und Tod, knapp skizzierte Emotionen und die Schönheit der Komposition: Der Himmel erinnert sich an unsere Bewegungen/ schlägt Orkan/ aus jenem Atem, deinem letzten./ Ein Blatt im Wind:/ Taggefunkel und/ emsiges Aufsaugen/ des Augenblicks.

Ein Gedicht, das von einem Gemälde Rembrandts angeregt wurde (und später den Titel „Die Judenbraut“ bekam) heißt „Ich lieb das Rot der Judenbraut“ und ist – nicht ohne spöttische Formulierungen – von besonderer Anmut. Das „herrliche Bräutlein“ endet mit den Worten: … und ich goldner Mann lieb dies/ allein dem Tod anheimzugebende, schimmernde Täublein.

erstellt am 15.9.2017
aktualisiert am 21.11.2017

Letzte Änderung: 25.09.2021

Anneke Brassinga Fata Morgana, dürste nach uns! | © Peter Wesly

Anneke Brassinga Fata Morgana, dürste nach uns!

Ausgewählte Gedichte.
Mit einem Nachwort von Erik Lindner.
Übersetzung: Ira Wilhelm und Oswald Egger
Gebunden, 200 Seiten
ISBN: 978-3-95757-328-5
Matthes & Seitz, Berlin, 2016

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