Haarlose Engel

Haarlose Engel

Europoesie: John Burnside
John Burnside | © Ave Maria Mõistlik

John Burnside ist wohl der bekannteste Schriftsteller Schottlands. Eine Auswahl seiner Gedichte mit dem Titel „Anweisung für eine Himmelsbestattung“ ist in einer englisch-deutschen Ausgabe erschienen, die dem Übersetzer Iain Galbraith wohl gelungen ist. Bernd Leukert stellt das Buch in der Reihe ‚Europoesie’ vor.

Die Frage, ob Gedichte übersetzbar oder unübersetzbar sind, verliert ihre Dringlichkeit, wenn die poetische Sprache sich jeder Verschlüsselung enthält, ihre Metaphern im Bildhaften belässt und hinreichend referentiell bleibt, also nicht aus sich selbst mit Alliterationen, Polyvalenzen und klanglichen Assoziationen eine artifizielle Welt erschafft. Wenn also Dichtung so, einfach, klar und nachvollziehbar, gelingt, muss das Übersetzen vergnüglich sein. Und offenbar trifft das für die zweisprachigen „Anweisungen für eine Himmelsbestattung“ von John Burnside zu.

Burnside ist einer der bedeutendsten schottischen Gegenwartsautoren. 1955 geboren in Dunfermline, lebt er in der Council Area Fife, die so aussieht, als wolle sie sich gerade vom Festland lösen, um eine stolze Inselexistenz zu realisieren. Was ihn als Lyriker interessiert, ist vor allem dort zu finden, wenn es denn ihm sich nicht im Ausland anbietet, etwa in der Bretagne oder in Süd-Norwegen. Von der alten Kartoffelstrecke, der Bahn nach Lochty,/ bleibt heute nur Frost und Brombeergestrüpp,/ das Geratter alter Züge versiegelt im Holz/ der Zaunpfähle, oder jenes Singen in den Drähten,/ die benachbarte Gärten voller Steine und Ginster/ voneinander trennen. Landschaft, Wälder, Felder, rurale Ansiedlungen und das Meer – das sind die Schauplätze vieler Gedichte. Die Natur aber ist nicht vertrauenswürdig. Sie ist immer wieder von Rissen durchzogen, aus denen etwas hervorblitzt, dessen Spuren gerade noch wahrnehmbar sind, das aber nie dingfest zu machen ist. Sie erscheinen in blendender Lichtfülle, in der Dämmerung und der Dunkelheit oder etwa an einer Stelle, in der der Wechselbalg durch Nebel oder Regen// oder den Dunst auf einer sonnigen Landstraße/ zurückschaut und sich selbst sieht …

„Anweisungen für eine Himmelsbestattung“ ist der Titel eines Gedichts, der zum deutschen Titel einer Lyrik-Auswahl aus acht englischen Originalausgaben geworden ist. Sie ist voll betörender Verse, die dem Leser unverschlüsselt entgegentreten und dennoch das Geheime und Heimliche im Heimeligen bewahren: Mai; und jetzt schon/ Herbst: gebrochenes Gold/ und Karminrot in den mittelalterlichen// Buchenwäldern, wo unsre Schatten kommen und gehen,/ kaum finsterer/ als die Figuren in einem Buch// der Wandlungen …

Und obwohl das liebevoll gezeichnete Ambiente halb gesehene Wesen und andere Wahrnehmungsirritationen hervorbringt, lässt Burnside an keiner Stelle irgendeinen Bezug zu folkloristischer Schauerromantik anklingen. Eher zieht er Figuren der christlichen Mystik oder der antiken Mythen heran: … und obwohl wir uns einbildeten/ an solche Dinge nicht glauben zu können / sollte etwas tatsächlich da gewesen sein/ in jenem schwarzen Licht/ … Engel// oder Pan/ – jener Gott der plötzlichen Abwesenheit/der einem aus dem Schatten entgegentritt/ um Haaresbreite entfernt/ eine Finsternis mitten im alltäglichen Ereignis … Das Surreale verbindet Burnside gerne mit dieser Gottheit, die wie Dionysos in den Bakchen des Euripides erscheint: … egal, wie oft das Gefühl/ dich oft herumfahren läßt/ daß etwas hinter dir steht/ irgendein behaarter Gott/ Brodem des Teuflischen im Engelsgewand. Die Verwandlung des bocksfüßigen Gottes in den Teufel folgt der christlichen Verteufelung, während … haarlose Engel, die aus dem Regen treten, wie Rückverwandlungen katholischer Dienstboten zu Naturgeistern wirken: Keiner begegnet den Boten von Angesicht zu Angesicht;/ doch manchmal betrete ich den Raum,/ den sie gerade verlassen haben,/ oder in der Mittagsstille vernehme ich beim Überqueren/ des Sands die Stimme, die ich vor einer Ewigkeit/ in meinem Kopf flüstern gehört hatte, ehe sich die Engel/ in Chorknaben mit Flügeln verwandelten, …

Der Übersetzer dieser Auswahl, der in Deutschland lebende Iain Galbraith, Lyriker auch selbst, hat überzeugende, sehr nahe am Original liegende, deutsche Versionen der Burnside-Verse gefunden, so dass man den deutschen Text wie ein Spiegelbild des englischen lesen kann. Diese Texttreue macht einem auch begreiflich, warum ein paar, im Englischen eingängig dahingleitende Zeilen, wie … but never so much that it bothered him not to conceal/ a fleeting, and half-amused gleam/ of fellow feeling im Deutschen nur über ein holpriges Äquivalent wiederzugeben sind: … doch auch nicht so, daß es ihn störte, einen flüchtigen/ und fast belustigten Schimmer komplizenhafter Verbundenheit/ nicht unterdrücken zu wollen.

Andererseits finden sich immer wieder für metaphorische Wendungen, wie A sky/ that no one else can see, another time/// unfolding in the light that finds her out/ and passes through the needle of her eye elegante und glückliche Lösungen: Einen Himmel,/ den kein anderer sehen kann,/ eine andere Zeit,// die sich im Licht entfaltet, das sie aussucht/ und sich durchs Öhr ihres Auges fädelt.

Die „Anweisungen für eine Himmelsbestattung“ kommen jedem entgegen, der die Herausforderung der Lyrik, nämlich die Vergegenwärtigung des Unbeschreiblichen, sucht. Man kann ihm nur raten, was im Gedicht Burnsides Vater ihm riet: Sei schnell wenn du das Licht anknipst/ dann wirst du das Dunkel sehen.

erstellt am 14.7.2017
aktualisiert am 17.7.2017

Letzte Änderung: 25.09.2021

John Burnside: Anweisungen für eine Himmelsbestattung | © Ave Maria Mõistlik

John Burnside Anweisungen für eine Himmelsbestattung

Ausgewählte Gedichte, Englisch-Deutsch
Aus dem Englischen übersetzt und mit einem Nachwort von Iain Galbraith
Gebunden, 304 Seiten
ISBN 978-3-446-25266-0
Carl Hanser Verlag, München, 2016

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