Weibliche Lust, wölfische Dominanz
Es sind genau genommen zwei Namen, die uns zur gegenwärtigen slowenischen Poesie einfallen, nämlich Aleš Šteger und Anja Golob. Das ist gewichtig, doch wenig; aber es ist immer zu wenig. Nun wird uns Barbara Korun bekannt gemacht, die bisher drei Gedichtbände veröffentlicht hat und einen bemerkenswerten, unverblümten Stil pflegt. Ursula Maria Wartmann stellt das Bändchen „Der Wolf und die Wunde“ vor.
„Die wilden Slowenen“ sind, klar, wild. Die Sloweninnen sind es aber auch, und unter ihnen besonders Barbara Korun. Verleger Axel Dielmann hat sie in seine brandneue 16er-BOX aufgenommen: „Der Wolf und die Wunde“ heißt der kleine Band. Pünktlich zur nächsten Buchmesse in Frankfurt entrollt Dielmann den Roten Teppich für Schriftsteller*innen aus dem kleinen, im Sommer so schwer vom Flutwasser gebeutelten Land.
Man kennt eher wenig Literatur aus Slowenien hierzulande – das Verständnis, was Literatur leisten soll, insbesondere Lyrik, scheint zudem verschieden. Hier gerne die l’art pour l’art, artifiziell, experimentell – dort Dichtung gerne dichter am Geschehen, erzählender, weniger abgehoben, weniger akademisch.
Barbara Korun, 1963 in Ljubljana geboren, ist eine der Großen in ihrem kleinen Land, bedacht mit nationalen und internationalen Preisen. Korun geht gerne in medias res – ist Vorbild für radikale junge Kolleginnen geworden. Sie fackelt nicht lange, liebt Grenzüberschreitungen, riskiert auch Irritationen: Der Grat zum Obszönen ist gelegentlich schmal, hat aber auch befreiende Funktion.
So im Langgedicht „Der Hirsch“, wo es heißt:
„… der hirsch stupst mich sanft in den busen und leckt mich. ich lasse es zu,
dass er mir mit der rauhen zunge das geschlecht ableckt,
… sein duft ist berauschend,
der duft nach erde, moos, moder und angst.
der duft nach dem trieb.
… manchmal sprüht lava aus ihm
aber er verletzt mich nie.
… und wenn er mir in den hals beißt und ich seinen heißen atem rieche, weiß ich,
ich werde verschont.“
In diesen wenigen Zeilen steckt, neben der Lust, die allseits bekannte Ambivalenz zwischen Frau und Mann. Der Hirsch – der Mann – hat zwar auch Angst; gleichzeitig hat er die Macht zu verschonen. Und doch heißt es an anderer Stelle
„… der wunsch zu verschmelzen ist meiner und heiß.“
Korun wird vom Verlag als eine Dichterin beworben, deren Lyrik tief gehe, „wenn es um weibliche Lust, um den Körper und die merkwürdige Transformation ins Tierhafte geht, welche wir alle vollziehen, wenn wir lieben.“
In der Tat ist das so … Es braucht allerdings, selbst wenn man die wilden 68er und ihre Nachbeben in Westdeutschland bis zur gelegentlich bitteren Neige gekostet hat, immer wieder eine Verschnaufpause, wenn „Der Wolf“ im gleichnamigen Gedicht das Zepter übernimmt:
„und er ist mir fremd, fremd, dieser, der wolf ist und sich in meinen körper hineinfrisst …
… noch und noch und noch einmal, in diesen körper, der nicht mehr meiner ist, reine gewalt,
die ich zulasse, ich wehre mich nicht, doch ich lasse mich nicht mitreißen, weich
bin ich, er bewegt mich wie eine puppe …“
Das ist heftig, das könnte als Vergewaltigung gelesen werden, zumindest als Sex ohne Leidenschaft seitens der Frau, die die wölfische Dominanz über sich ergehen lässt.
„… dann öffnet sich das paradies in meinem Kopf, das paradies im körper, paradies,
nein, nicht das des körpers; er taucht noch immer in mich …“
Die Milderung traumatischer sexueller Gewalt wird hier durch Dissoziationen erreicht; die Abspaltung erlaubt dem Ich, sich sogar währenddessen seiner eigenen Kraft bewusst zu bleiben, zumindest scheint es so:
„… diese kraft, die in mir steckt, ist stärker als er, sie verwandelt ihn,
heilt ihn, heilt mich, heilt die Wunde.“
Starker Tobak, das geht unter die Haut. Umso wichtiger, dass die Dinge beim Namen genannt werden, und sei es auch „nur“ lyrisch. Dinge beim Namen nennen, heißt, sie entzaubern, ihnen die Macht abnehmen, heißt auch: Traumata bewältigen. Heißt auch: Solidarität herstellen.
Daneben gibt es die Kurzgedichte. Das materielle Elend alter Frauen ist hier Thema, oder die als beglückend erlebte Liebe mit einem Mann, der „weich“ und „scheu“ ist. Überlegungen zum Thema Altern, dem Verfall des Körpers werden angestellt:
„Seltsam liebe- und ekelvoll ist diese beziehung, und doch bringt mich der anblick
des handrückens, aus dem die bläulichen adern hervorstehen, fast in ekstase.“
Spannend, das alles. Mitunter ein bisschen fremd. Und gerade deshalb lesenswert.
Letzte Änderung: 16.10.2023 | Erstellt am: 15.10.2023
Barbara Korun Der Wolf und die Wunde
Gedichte
Übersetzt von Matthias Göritz und Amalija Maček.
40 S., brosch.
ISBN-13: 9783866384026
16er-Reihe. Verlag Axel Dielmann, Frankfurt am Main 2024
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