In Liebesdingen herrscht die Macht der Gefühle, nicht unbedingt die der Machbarkeit oder gar der Logik. Wer also eine oder mehrere sogenannte Beziehungen eingeht, bekommt es mit Bedürfnissen des oder der Anderen zu tun, die mit den eigenen komplizierten in Einklang zu bringen sind. Paul-Hermann Gruner hat sich in diesem gefühlsartistischen Bereich mit seiner Novelle „Drei Frauen“ eingerichtet, und Tamara Krappmann hat sich eingelesen.
Robert leidet: und zwar am Alltäglichen. Waren Partnerin Helen und er früher ein Traumteam, gleichen sie nun mehr einer Wohn- und Arbeitsgemeinschaft, die zwar effizient Töchterchen Ria versorgt. Sonst aber hat man sich wenig zu sagen. Mindestens einer, vielleicht beide, müssten zurückstecken im Berufsleben. Doch sie arbeitet in Vollzeit, er geht auf Recherchereisen und bringt dabei streunende Katzen heim, die alsbald zu verwöhnten Stubentigern werden. So beginnt die Novelle „Drei Frauen“ von Paul-Hermann Gruner, Darmstädter Kulturkenner und Schriftsteller.
Ganz wie sein Autor in früheren Jahren, arbeitet auch Robert als Kulturkritiker für verschiedene Zeitungen, besucht Konzerte und rezensiert Auftritte. Just bei dieser Tätigkeit findet er ein Gegenmittel für sei Leiden, denn selbstverständlich gibt es eines. Seines trägt den Namen Analice und teilt mit Robert die Liebe zur Musik sowie, nur wenig später, die Leidenschaft als solche. Die Medizin wirkt gut, Robert fühlt sich lebendig wie schon lang nicht mehr. Freilich gibt es auch Nebenwirkungen. Gerade, als sie einsetzen, kommt als dritte Frau die kluge Libi hinzu. Und Roberts Höhenflug wird taumelig.
„Drei Frauen“ ist ein Buch über die Liebe in all ihren unterschiedlichen Ausprägungen: die körperliche, wilde, verspielte zu Analice, Libi und auch Helen, von der sich Robert keineswegs so weit entfernt hat, wie er eingangs glaubt. Die fürsorgliche zur kleinen Ria.
Die mitfühlende zu den Streunern, die Robert überall gleich nachlaufen und die er weder im sommerlichen Italien noch im winterlichen Tschechien seines Gästezimmers verweisen will. Die essentielle Liebe zur Musik, die für Robert viel mehr ist als der Gegenstand seiner Kritik, und zur Sprache, die selbst zur Musik wird, wenn er in seinen ganz eigenen Rhythmus fällt und der Leser ihm nur zu gerne folgt.
„Drei Frauen“ ist aber auch ein Buch darüber, wie schwer das Lieben werden kann. Robert fliegen die Herzen zu, und er schickt jedem sein eigenes entgegen. Doch all diese Herzen sicher landen zu lassen, fällt ihm ungleich schwerer. Und fordern sie am Ende gar ein Nest, dann wird die Herzenspflege zur Herkulesaufgabe. Nicht, dass Robert sich drücken wollte. Durch und durch Idealist, entwickelt er eine phantastische Lösung, der nur ein Ding gefährlich werden könnte: der Alltag. Ob sein verwegener Plan gelingen kann?
Durch die Vierecksbeziehung der Protagonisten führt Gruner sein Publikum mit einer sehr speziellen Mischung aus Realismus und Surrealem. Einerseits erhält der Leser hochauflösende Einblicke in das kulturelle Leben des Rhein-Main-Neckarraums in den Neunziger Jahren, begleitet Robert zu Konzerten, die so tatsächlich gegeben wurden, und genießt dabei das Privileg, dem Feuilletonisten beim Denken lauschen zu dürfen.
Die sinnliche Analice etwa ist eine Bekanntschaft aus der Brotfabrik, wo also Jose Rogerio spielte, beim Betreten der Bühne „in der linken die sechssaitige, in der rechten die zwölfsaitige Gitarre“ tragend. Zu hören sind dann „duftige Läufe übers Griffbrett, aber nie auflodernd frei, nie fordernd expressiv, sondern beschwert, eine Packung saudade auf dem Rücken aufgeschnallt und nicht ablösbar.“ Wer in den 90ern in Frankfurt war, der kann es so gehört haben, und wer die rechte Zeit verpasst hat, bedauert es bei der Lektüre (und beschließt vielleicht präventiv ein paar Konzertbesuche, um in Zukunft nichts mehr zu versäumen).
Andererseits widerstrebt es Robert, einfach nur wahrzunehmen, was vor ihm liegt. Einer, der so intensiv lebt, ist in Gedanken immer noch eine Umdrehung weiter, verknüpft Vergangenheit und Gegenwart, träumt Zukunft. Und erlebt Träume von erschreckender Intensität. Bei Gruner wird es dann gerne ikonisch und nautisch zugleich: Schon in seinem Roman „Wunderlich und die Logik“ spielten die legendären Ozeanriesen Andrea Doria, Titanic und Olympic durchaus zentrale Rollen. Bei den „Drei Frauen“ ist es die Queen Elisabeth, die nachtdunkel und gewaltig auf die Brooklyn Bridge zuhält, just, als Robert und Libi dort weilen – Traumbilder, die beinahe real sein könnten.
Die schnellen Schnitte zwischen hier und dort, dem was ist und was sein könnte, verlangen dem Leser etwas ab: Sich darauf einzulassen nämlich. Von Gruners ungezähmt sprudelnden Ideen muss man sich einfach mitnehmen lassen, so wie die Straßenkatzen von Robert. Die Tiere sind klug. Sie wissen, dass diese Bekanntschaft sich für sie lohnen wird.
Letzte Änderung: 13.07.2023 | Erstellt am: 09.07.2023
Paul-Hermann Gruner Drei Frauen
Novelle
242 S., brosch.
ISBN: 978-3-86356-368-4
Pop-Verlag, Ludwigsburg 2022
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