Aus gutem Grund gibt es keine anarchistische Partei. Wer die Hierarchie nicht anerkennt oder sogar politisch bekämpft, bleibt frei und allein. Mit Anarchisten kann man keinen Staat machen und dennoch, jenseits der Normen, phantasievoll Gemeinschaften bilden. Eva Demski hat in ihrem Buch „Mein anarchistisches Album“ die Wege der Freiheit reflektiert. Otto A. Böhmer lobt sie dafür.
„Was nicht anwesend ist, ist es manchmal dadurch gerade sehr“, befand einst der Dichter Robert Walser, der sich gern einverständig gab, ohne die eigenen „Erlebtheitserscheinungen“ aus dem Blick zu verlieren. Das Abwesende kann Wehmut wecken und zum Unbehagen führen, von dem man sich, wenn möglich, lieber freihalten sollte; schließlich können Erinnerungen auch nachtragend werden und bis an die Schmerzgrenze reichen. Besser geht’s uns, wenn wir die Bilder im Kopf freundschaftlich empfangen, so dass eine Art Feierlaune entsteht, die mit dem Zuspruch der Vergänglichkeit zu tun hat, der wir ohnehin nicht entkommen können.
Die Schriftstellerin Eva Demski hat darüber ein sehr zu lobendes Buch geschrieben, das Geschichten vom Widerständigen mit Blick auf das Große und Ganze erzählt, dem wir, einmal in Stimmung gebracht, allerdings nicht mehr Gewicht zusprechen sollten, als es sowieso schon hat. Mein anarchistisches Album benennt Glückserfahrungen, die ihre Traurigkeit längst hinter sich haben; so kommt sie der Feierlaune nicht mehr in die Quere. Der Anarchismus, dem Demski nachspürt, ist keine Ideengeschichte, sondern eine Gedankenreise, an der jeder teilnehmen darf: „Anarchismus ist nicht asketisch, und seine Konsumkritik beruht auf selbstbewusster Wahrnehmung (…) Kein du musst, kein du darfst nicht, kein du solltest.“ Es geht „um Menschen, die über Wege zur Freiheit nachdachten und -denken, mühsam zwischen Ideologien hindurch, die dabei zu tausend verschiedenen Schlüssen kamen und sie nicht selten im Lauf ihres Lebens wieder in Frage stellten.“ Es geht seinen Gang, so oder so. Wenn man dann, ohne es zu wollen, ein gewisses Alter erreicht hat, neigt man eher zur Zustimmung, was versöhnlich wirkt, aber auch den Anschein von Notwehr erwecken kann. Die Planspiele sind abgeleistet, Alternativen zählen nicht mehr oder wurden längst in die Registraturen des Schicksals befördert. Anarchisten, Altliberale und Stockkonservative werden einander immer ähnlicher; in einem Heim mittlerer Aufbewahrungsqualität kann man sie schließlich kaum noch unterscheiden. Gut so. Wer sich jetzt, hell und bruchstückhaft, noch an Einflüsterungen erinnert, die ihm zuteil wurden, darf sich als Beschenkter sehen. „Das Schwierige war und ist: Große Revolutionen nützen nichts, das Verhängnis schminkt sich nur um. Ganz viele kleine Revolutionen würden helfen, möglichst gleichzeitig, die freundschaftliche Konkurrenz der überschaubaren Lösungen.“ Und doch: „Geschichten müssen erzählt werden. Auch die Liebe wird ihre eigenen Seiten schreiben. Das hat sie trotz aller Seuchen und Kriege immer getan. Man muss damit anfangen. Enden wird es nie.“
Letzte Änderung: 17.02.2023 | Erstellt am: 17.02.2023
Eva Demski Mein anarchistisches Album
223 S., geb.
ISBN-13: 9783458178439
Insel Verlag, Berlin 2022
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