„Mein Herz wurde von einem Schmerz durchbohrt, der so stechend war, dass ich ihn nicht ignorieren konnte“, heißt es in Najat Abed Alsamads im Jahr 2023 in der Edition Faust erschienenen Roman Kein Wasser stillt ihren Durst. Dr. Susanne Konrad hat den Roman gelesen und berichtet von ihrer Lektüre.
Das Cover des Buches ziert eine Rose in einer erhobenen Faust. Ich musste an das Märchen „Die Nachtigall und die Rose“ von Oscar Wilde (1888) denken. Hier wird von selbstloser, ja selbstzerstörerischer Liebe erzählt, die in einen qualvollen Tod mündet und die kein Erbarmen und keine Befreiung kennt. Eine Nachtigall opfert ihr Leben für ein Versprechen, indem sie sich am Dorn eines Rosenstrauches aufspießt, um mit ihrem Blut eine entstehende Rosenblüte rot zu färben, und dabei ihr Leben aushaucht. In dem Roman „Kein Wasser stillt ihren Durst“ sind es die Hauptfiguren, vor allem die Frauen, die in derselben Weise fühlen und handeln. Die Frauen leiden bitterlich und es gibt kein Entrinnen.
Die Protagonistin ist Hayat aus dem drusischen Dorf Mardsch Al Akoub, die als Kind mit ihren Eltern in die größere, auf einem Berg gelegene Stadt Suwaida zieht. Ihr Vater arbeitet dort als einfacher Beamter, der ein Haus für die Familie baut. Das ist ein Aufstieg im Vergleich zum schlichten Leben als Ackerbauer und Viehzüchter im Dorf. Hayat hat fünf Schwestern und einen großen Bruder, Mamdouh, der bereits in Ausbildung zum Ingenieur ist. Ein kleiner Bruder, Enad, wird spät geboren. Mamdouhs Vater hofft, dass sein Ältester ins Elternhaus zurückkehrt und will ein Geschoss für ihn aufstocken, allein, es fehlt das Geld.
Hayat verliebt sich in den Nachbarsjungen Nasser, der nur zwei Jahre auf der Schule war und der Hajat ermutigt, zu lernen und sich zu bilden. Doch die junge Liebe wird jäh zerschlagen und Hayat, die ihr Abitur frisch in der Tasche hat, muss den zwanzig Jahre älteren Khalil heiraten. Sie zieht mit ihm zu dessen Familie, die in dem Dorf Mardsch Al-Akoub lebt, wo Hayat hergekommen ist. Der Mann erzwingt den Beischlaf und vergewaltigt sie in der Hochzeitsnacht.
Sexualität als Ausdruck von Gewalt, Erniedrigung von Frauen, Zwangsverheiratung jenseits aller Beziehungswünsche, all das scheint selbstverständlich und normal zu sein. Nicht so für die Autorin, die keine Alternativen anbietet, aber die Brutalität dieses Lebens durch besonders detailreiche Schilderungen ans Licht holt. Das Unrecht an den Frauen geht quer durch alle Familien und durch alle Generationen. Die Mütter, die Tanten, haben dasselbe erfahren und reichen Schmerz und Härte gnadenlos an ihre Töchter weiter.
Es ist nicht einfach, die Handlung und den Hauptplot zu entschlüsseln. Hajats Geschichte wird nicht chronologisch erzählt. Die Heirat mit Khalil wird vor der Liebe zu Nasser und der Kindheit beschrieben. Manchmal verschwimmen die Zeitebenen, weil dieselben Motive in verschiedenen Kapiteln von verschiedenen Zeiten aus beleuchtet werden. Doch das ist nicht die einzige Besonderheit der Erzählweise. Die Protagonistin erzählt – mit einer Ausnahme –als Einzige in der Ich-Form. Dennoch ist sie bei weitem nicht die einzige handlungstragende Figur.
Längere Kapitel widmen sich den Lebensgeschichten Khalils, Nassers oder der Tante Zain Al-Mahar, welche durch die übliche Verheiratung von Cousins und Cousinen, die Tante von Hayats Mutter, von Hayats Vater sowie von Khalil, Hayats Mann, ist. Auch Nebenfiguren wie Freunden und Mitschülern und weiteren Geschwistern wird Aufmerksamkeit geschenkt. Dieselben Ereignisse, wie beispielsweise Khalils Brautwerbung, werden in unterschiedlichen Kapiteln aus jeweils anderer Perspektive erzählt. Dadurch entsteht ungleichzeitiges Erzählen.
Im 21. Kapitel klagt Hayats Vater dem aus Nigeria zurückgekehrten Khalil sein Leid über das mangelnde Geld für das Obergeschoss seines Hauses und über den Tod seiner Tochter Radscha. Das bringt den Stein ins Rollen, dass Khalil Hayat heiraten will. An anderer Stelle ist das aber bereits erzählt worden. Die Umstände um den Tod von Hayats Schwester Radscha bleiben voller dunkler Andeutungen. Vielleicht starb sie an einer schweren Krankheit. Vielleicht aber hatte ihre Mutter ihr Glasscherben zu essen gegeben, damit sie als unverheiratetes schwangeres Mädchen nicht zur Schande der Familie wurde.
Hayat ist am Ende der Geschichte vierzig Jahre alt. Zu erfahren, ob und wie sie diesen Lebensumständen entrinnen kann, sei den Leserinnen und Lesern überlassen. Festzuhalten ist aber, dass Najat Abed Alsamads Erzähltechnik uns Folgendes vor Augen führt: Das Geflecht der Gesamtgesellschaft mit ihren Regeln ist viel stärker als die Bedürfnisse der Einzelnen. Individuelle Wünsche wie nach Liebe, nach sexueller und nach geistiger Freiheit werden unterdrückt, um die Ordnung des Systems aufrechtzuerhalten.
Die Autorin des Romans, der 2018 mit dem Katara-Preis für arabische Romane ausgezeichnet wurde, will aber nicht verurteilen, sondern Gerechtigkeit schaffen. Dieser Gedanke zieht sich mit dem Motiv des Durstes durch den gesamten Roman. Der Durst ist emotional und nicht durch materielle Dinge zu stillen und er betrifft alle. Er ist aber auch konkret in Gestalt der Dürre, die eine große Landflucht nach sich zog.
Die Armut und die Wasserknappheit, die damit verbundene harte Arbeit an den Bohrtürmen, die überwiegend von den Männern ausgeübt wird, bringen an den Tag, dass hier nicht nur die Frauen leiden, auch wenn die geknechteten Männer ihre Unterdrückung an die Frauen weitergeben. Um Gerechtigkeit wirbt die Autorin auch durch ihre bildhafte und melodische Sprache. Sie ist eine präzise Beobachterin, die der fremden Leserin eine ihr unbekannte Welt plastisch vor Augen führt.
Genauso ermöglicht sie Leserinnen, denen die Welt Syriens, besonders der Drusen, vertraut ist, einen Effekt des Wiedererkennens. Najat Abed Alsamad ruft Mitgefühl hervor und keine Verurteilung, das aber tut sie bei erhobener Lanze für den Kampf der Frauen für ihre Selbstbestimmung.
Najat Abed Alsamad: Kein Wasser stillt ihren Durst.
Roman. Aus dem Arabischen von Larissa Bender. Frankfurt am Main: Edition Faust, 2023.
Letzte Änderung: 17.12.2024 | Erstellt am: 17.12.2024
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