Die Berufung auf Gott ist kein demokratisches Argument. Und was rechtfertigt heute die staatliche Finanzierung von Kirchen? In ihrem neuen Buch „Lob des Laizismus“ sorgt sich die französische Autorin Caroline Fourest um unsere mühsam erkämpfte Gewissens- und Weltanschauungsfreiheit. Ihr Plädoyer: Wir müssen unsere freiheitliche Gesellschaft gegen jede Form religiöser Anmaßung verteidigen. Helmut Ortner empfiehlt das Buch.
Beginnen wir hierzulande: Noch immer gibt es eine Fülle anachronistischer Gesetze und Subventionen, etwa bei der horrenden öffentlichen Finanzierung von Kirchentagen oder der Ablösung der Staatsleistungen an die Kirchen, die Finanzierung theologischer Fakultäten an staatlichen Universitäten bis hin zu Kirchenredaktionen in deutschen Landes-Rundfunkanstalten. Daran wird sich auch in naher Zukunft wenig ändern. Zu stark ist der klerikale Lobbyismus, die Kirchenhörigkeit der Politik. Dabei gibt es einen klaren Verfassungsauftrag in Deutschland, die Komplizenschaft von Kirche und Staat zu beenden. Seit mehr als einhundert Jahren. Doch passiert ist bislang nichts.
Dabei hat eine integrationsbedingte Pluralisierung der religiösen Geografie die bewährte, traditionelle Arbeitsteilung zwischen Kirche und Staat in Schieflage gebracht. Der Staat ist gefordert, sich religionspolitisch neu zu orientieren. Wie das Neutralitätsgebot des Staates angesichts wachsender kultureller, ethnischer und religiöser Vielfalt vorangetrieben, wie Grundsätze des säkularen Staates verteidigt werden können, darüber besteht wenig Einigkeit.
Vielleicht kann die Lektüre des gerade erschienenen Buches der französischen Autorin Caroline Fourest hier für beschleunigten Erkenntnisgewinn sorgen. Ihre Streitschrift möchte uns daran erinnern, das Weltliche vom Religiösen zu trennen, gerade weil die fundamentalistische Verschmelzung von beidem vielerorts hoch im Kurs steht. Notwendiger denn je ist – so die Autorin – eine „laizistische Wachsamkeit”. Fourest klärt auf: Schon der Begriff Laizismus wird vielfach unterschiedlich definiert und gedeutet. Im Arabischen wird er häufig mit Atheismus verwechselt, während die englischsprachige Welt ihn mit „Säkularismus” gleichsetzt. Häufig einigt man sich darauf, darunter die Trennung von religiösen und zivilen Räumen zu verstehen, ohne jedoch auf einer rigiden Separierung beider Bereiche zu bestehen.
In Frankreich ist man da etwas anspruchsvoller – und strikter. Was mit Laizismus zum Ausdruck gebracht wird, ist die unbedingte Leidenschaft für Gewissens- und Weltanschauungs-Freiheit. Im Gesetz von 1905 heißt es: „Die Republik gewährleistet Gewissensfreiheit, garantiert die freie Ausübung der Religion (…) erkennt jedoch we-der einen Kultus an, noch zahlt sie ihm Gehälter oder Subventionen“.
Das Gesetz ist Text und Ideal zugleich. Keine Religion wird staatlich bevorzugt. Es schafft ein gesellschaftliches Gleichgewicht, das den Kräften des religiösen Dogmatismus in einem jahrhundertelangen Kampf abgerungen wurde. Doch das „französi-sche Modell”, um das es in diesem Buch zentral geht – also die Trennung von Staat und Kirche sowie die religiöse Neutralität des ersteren – steht unter heftiger Kritik. Höchste Zeit also für dessen Verteidigung, meint Caroline Fourest, Sachbuchautorin, Journalistin und Filmemacherin, die sich selbst als „Charlie-Hebdo-Linke” bezeichnet. Mit klarer Sprache und rhetorischer Verve verweist sie darauf, dass Frankreich sich in einem fanatischen, mörderischen Religions-Kampf befindet, was hierzulande gerne ignoriert wird: Zwischen 1979 und 2021 gab es 82 islamistische Attentate mit über 330 Toten. Eine Schreckensbilanz. Die Autorin plädiert für eine offensive Gegenwehr.
In dieser brisanten Melange aus Terror, Hass, Gleichgültigkeit, Rechtfertigung und gegenseitiger Schuldzuweisung, stehen auch die Grundsätze und Grundwerte des Laizismus unter Beschuss. Zwar findet der Laizismus in der öffentlichen Meinung Frankreichs weitgehende Zustimmung – und doch hat er Feinde, auch viele falsche Freunde. Ob Extremisten, Nationalisten oder Identitäre, alle bedienen sich seiner. Von der Rechten und der extremen Rechten jahrhundertlang bekämpft, wird er als Waffe zur Verteidigung des christlichen Abendlandes gegen den Islam benutzt. Fourest verwahrt sich hier gegen jede Form vereinnahmender Instrumentalisierung, die, wie etwa Marine Le Pens Rassemblement National, laizistische Argumente im Kampf gegen Islam und Islamismus einsetzt, dabei „die Neutralität der laizistischen Schule beschwört und eine christlich-klerikale Idee von Nation verteidigt. Das Gegenteil der republikanischen Idee von Gleichheit und Brüderlichkeit, welche der Laizismus ist”.
Die Linke hingegen traue sich nicht, offensiv laizistische Argumente zu benutzen, weil sie befürchte, damit den grassierenden Rassismus zu stärken, moniert Fourest. Einer der kursierenden Einwände lautet, dass der Laizismus gegen religiöse Minderheiten wie Muslime gerichtet sei. Etwa in der Debatte um das Tragen des Kopftuchs. Die Autorin wendet sich gegen diese selektive Wahrnehmung, kritisiert die dortige Identitätslinke, die etwa Frauendiskriminierung innerhalb von religiösen Minderheiten relativiere oder verharmlose. Die „neuen Antirassisten“ von links seien „eher pro-islamisch, Anhänger des Opferwettstreits zwischen Juden, Arabern und Schwarzen, und manchmal äußern sie sich auch rassistisch gegenüber Juden und verachten Homosexuelle”).
Die Frage, ob sich das Modell des französischen Laizismus als Strukturprinzip demokratischer Verfassungsstaaten eignet oder aber religiösen Radikalismus eher begünstige, beantwortet Fourest mit klarer Kante: Nein, der Laizismus führt keineswegs zur Radikalisierung. Und der in angelsächsischen Ländern geäußerten Kritik, der Laizismus habe zur islamistischen Radikalisierung in Frankreich beigetragen, kontert sie mit dem Einwand, dass im Nachbarland Belgien „prozentual doppelt so viele Dschihadisten hervorgebracht” habe, obwohl das Land „stärker kommunitaristisch als republikanisch organisiert” sei.
In diesen Zusammenhang widmet sich die Autorin in einem umfangreichen Exkurs der laizistischen Wirklichkeit in den USA, die exemplarisch für eine unterschiedliche Auffassung bei der Trennung von Religion und Staat steht. Hier weist Fourest darauf hin, dass ein Vergleich mit den Vereinigten Staaten, wo nur ein Hundertstel der Bevölkerung dem Islam anhänge, in Bezug auf die Radikalisierungs-Frage eigentlich absurd sei.
Ohnehin: Im Hinblick auf die Haltung des Laizismus trennt Frankreich und die Vereinigten Staaten mehr als ein Ozean. In Frankreich werden staatliche Behörden als Beschützer des Individuums vor dem Druck und der Einflussnahme religiöser Gruppen gesehen, während in den USA religiöse Gruppen als Beschützer des Individuums vor staatlichen Eingriffen gesehen werden. Maßnahmen, die in Frankreich zum Schutz der Gleichheit- und der Gewissensfreiheit getroffen werden, gelten in den Vereinigten Staaten als Verletzung der Religionsfreiheit, als Angriff auf die Bürgerrechte. Hier lauert also eine Menge von Missverständnissen und falschen Vergleichen: von Anti-Sekten-Gesetzgebung bis hin zu gesetzlichen Verboten religiöser Symbole in öffentlichen Einrichtungen und Schulen.
In den abschließenden Kapiteln beschreibt Fourest noch einmal die aktuelle Situation in Frankreich und die daraus resultierende Notwendigkeit der Verteidigung der laizistischen Gesellschaft. Sie unterscheidet dabei zwischen freien und staatsbürgerlichen Bereichen. Unter dem Motto „Der Laizismus schützt uns – schützen wir ihn“ beschreibt sie zentrale gesellschaftliche Problemfelder und liefert überzeugende Argumente für überfällige Gesetzesänderungen und Reformen, die notwendig sind, um Rechte und Pflichten in einer multireligiösen Gesellschaft neu zu justieren. Kernfragen des Laizismus betreffen etwa die Finanzierung von Glaubensgemeinschaften sowie die religiöse Neutralität des Schulsystems. Erstere lehnt Fourest entschieden ab. In der Neutralität der öffentlichen Schulen sieht sie ein zentrales Element des Laizismus. Die Nichteinmischung seitens der Religion hat einen zentralen Stellenwert. Dies gilt gleichermaßen auch für Hochschulen.
Für die deutsche Leserschaft liefert Caroline Fourest viel diskussionswürdigen Stoff. Auch wer nicht alle ihre Ein- und Ansichten teilt, wird die Streitschrift mit Gewinn lesen. Es geht hier nicht um die Austreibung Gottes aus der Welt – persönlicher Glaube und individuelle Spiritualität sind in einer Demokratie Grundrechte eines jeden Menschen – nein, es geht um die Instrumentalisierung von Religion und ihren fundamentalistischen Geltungsansprüchen. Diese aber darf eine offene Gesellschaft nicht zulassen. Gegenwehr ist gefordert.
„Der Laizismus ist kein Schwert, sondern ein Schild“, schreibt Caroline Fourest am Ende ihres Buches. Es ist ein kluges Plädoyer für eine Trennung von Weltlichem und „Heiligem“. Leidenschaftlich und lesenswert.
Letzte Änderung: 26.10.2022 | Erstellt am: 26.10.2022
Caroline Fourest Lob des Laizismus
Aus dem Französischen von Mark Feldon und Christoph Hesse
295 S., brosch.
ISBN-13: 9783893202881
Edition Tiamat, Berlin 2022
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