Krieg, Zerstörung, Töten

Krieg, Zerstörung, Töten

Hans Zitkos Wirkungsästhetik von Gewalt-Bilder in Kunst und Kino

Gibt es einen Western-Film ohne Schlägerei und Schießerei? Welcher Krimi kommt ohne Mord und Totschlag aus? Warum sehen wir uns das an? Das ist die Frage, die sich Hans Zitko in seiner kunstgeschichtlichen Arbeit „Von Giotto bis Matrix“ zu beantworten versucht. Denn die Darstellung von Gewalt in Malerei und Film entspricht den Bedürfnissen beider: der Künstler und des Publikums. Marc Ries hat sich eingelesen.

Es ist sicher kein Zufall, dass das Medium des Films in einer Epoche des zunehmenden Gottesverlustes hervortrat.
Hans Zitko

Wir sind umgeben von Gewalt, von Krieg und Zerstörung, von der Lust am Töten. Und wir sind tagtäglich umgeben von Bildern der Gewalt; wir zahlen für ein filmisches Spektakel, dem die Gewalt inhärent zu sein scheint, erfreuen uns an den Mächten des Guten wie des Bösen; im Netz drängen unentwegt Aufnahmen der Schlachten und Tötungen zu uns; vielleicht weigern wir uns sie zu sehen, doch wir wissen um ihre Existenz, ihre Allgegenwart. Wir leben in Unsicherheit, sind hilflos und würden gerne woanders und wer anders sein.

Gewalt, Zerstörung, Töten, sie erfahren als sich wiederholende Motive zahlreicher Bilder der Kunst- und Mediengeschichte eine allseitige Vergegenwärtigung im Raum der jeweiligen Dispositive, vom Museum bis hin zu den Social Media-Plattformen. Sie wollen erinnern, aufklären, versöhnen, abschrecken, entlasten, erregen. Mit dem Einzug technisch bewegter Bilder und ihrem an und mit der Realität geformten Ausdruck werden die Motive in ihrer visuellen Körperlichkeit erweitert, transformiert.

Wie die einzelnen Bilder – der Künstler und Filmemacher – innerhalb ihres ästhetischen Programms die Motive der Gewalt übersetzen, welchen Aussagen sie zuarbeiten, dies alles steht in einer unmittelbaren Beziehung zu jenen Motiven, mit denen die Betrachter und Benutzer den Bildern begegnen, sie aufsuchen, sie begehren. Hans Zitko analysiert in seiner Studie die Ko-evolution von Wahrnehmung und Eigenlogik der Gewalt-Bilder. Es gilt, die doppelte Motivlage zu befragen, wie Gewalt im Bild eine je singuläre Darstellung findet, warum ein individuelles Verlangen existiert, sich im Imaginären Gewalt auszusetzen.

Die in den Kapiteln Darstellung von Gewalt im Kontext von Theologie und Metaphysik und Die Auslotung der Grenzen durchgeführten Analysen von Bildern mit Gewalt-Motiven zeigen zum einen an, wie die Kunst des Manierismus und des Barock im Bestreben nach Autonomie ein ästhetisches Vokabular und Verfahren entwickelten, die den Inhalt der Bilder der Formwerdung unterwerfen, auf diese Weise einer Wirkungsästhetik zuarbeiten. Zum anderen trifft sich die „ästhetisch domestiziert Gewalt […] mit den Versöhnungsinteressen der alten Theologie, die der sublimierenden Kraft des Schönen zugeneigt war“. In den Bildern von Giotto, Romano, Tintoretto, Caravaggio, Rubens, Poussin lassen sich sowohl veränderte Sublimierungs- beziehungsweise Entsublimierungspraktiken beobachten, als auch Illusionen und Phantasmagorien, die den Betrachtern ermöglichen, einen Aufschub, eine ästhetische Distanz zu einer oftmals gewaltvollen Wirklichkeit vorzunehmen, zugleich alte Gegensätze zu überwinden. „In Rubens Engelssturz geraten die der Kunst diktierten klerikalen Deutungsraster in Bewegung. Die entscheidende Differenz zwischen Ober- und Unterwelt beginnt zu erodieren; es ist nicht mehr eindeutig und zweifelsfrei auszumachen, auf welcher Seite das Gute und das Böse lokalisiert ist.“

Im zentralen, begriffshistorisch ausgerichteten Kapitel Der Leib, das bewegte Bild und die Flucht des Subjekts vor sich selbst führt Zitko Philosophien zusammen, die nachzuvollziehen ermöglichen, warum, aus welchen Motiven Individuen Bilder der Gewalt aufsuchen, sich ihnen willentlich aussetzen. Diese Aufklärung der Motive folgt in gewisser Weise einer historischen Anthropologie, Ausgangspunkt sind die Säkularisierungsprozesse, die mit Beginn der Neuzeit eine Entbindung aus mythologisch-religiösen, transzendentalen Ordnungen provozieren und eine sukzessive Herstellung von verhärteten Identitätskonstrukten bedingen, die vom Einzelnen abverlangen, sich eigenmächtig die Welt anzueignen, in „Freiheit“ zu leben.

Es sind zwei sich ineinander spiegelnden Phänomene, die ab dem 17. Jahrhundert dominant werden. Da ist zum einen ein „Kult der Kraft“, der von einem mechanistischen Weltbild seinen Ausgang nimmt und Akte intensiver, übermenschlicher Kraft im Bild hervorruft, zugleich einen „leiblichen Resonanz-Effekt“ in den Betrachtern auslöst, diese an den Kraftübertragungen teilnehmen lässt. Zum anderen gilt es, „die im Inneren des Subjekts sich öffnenden Abgründe ins Auge zu fassen“. Mit Kierkegaard wird eine vor dem Hintergrund des „Gottesverlustes“ sich anzeigende Verzweiflung im bürgerlichen Individuum zum Symptom für eine Ambivalenz, die alte Gewissheiten auflöst: „…nicht ein einziger Mensch lebe, ohne daß er doch etwas verzweifelt sei, ohne dass doch im Innersten eine Unruhe wohne, ein Unfrieden, eine Disharmonie, eine Angst vor etwas Unbekanntem oder vor etwas, womit er nicht einmal Bekanntschaft zu machen wagt, eine Angst vor einer Möglichkeit des Daseins oder sich selbst“ (Kierkegaard). Letzteres führt zu jener Formel, die sich als Antrieb für eine gegenläufige Existenzweise in der Moderne anbietet: „Verzweifelt sich loswerden wollen“. Aus dieser gerinnen neuartige Beziehungen zu den Bildern, beziehungsweise korrespondieren ästhetische Re- und Transfigurationen mit der „Flucht aus einer als defizitär empfundenen Identität. […] Das an sich selbst leidende Subjekt will nicht mehr sein, was es ist, es nimmt sich nicht an und weicht in künstliche Realitäten aus.“

Eine Technik der Selbstüberwindung und Entlastung nun findet Zitko in dem von Erich Fromm beschriebenen „symbiotischen Komplex“, ein Modus des Verhaltens, „in welchem das Subjekt zwischen den Bedürfnissen der Selbstermächtigung und den Neigungen zur Selbstauflösung alterniert“, in welchem sich sadistische Fixierung auf ein Opfer – als Fiktion, über Freiheit und Macht zu verfügen – und masochistische Übertragung des Opfers auf den Täter manifestiert. Dieser Komplex wird in den beiden folgenden Kapitel mit dem im 20. Jahrhundert sich etablierenden Kino zusammengedacht. Anhand von vier Filmen – D.W. Griffiths Birth of a Nation (1915), Sergio Leones Für ein paar Dollar mehr (1965), Sam Peckinpahs The Wild Bunch (1969) und die Matrix Trilogie (1999-2003) der Schwestern Wachowski wird die andere Ästhetik besprochen, jene, die die Zuschauer an ihre „poröse“ Inszenierungen (rück)bindet und zugleich antwortet auf das Begehren dieser Zuschauer, sich leiblich involviert und lustvoll der Gewalt der Bilder zuzuwenden.

Es mag nun irritieren, dass „bloß“ vier Filme das ungemein differenzierte Feld von Gewaltdarstellungen im Kino repräsentieren sollen, vor allem da nur wenige Genres Berücksichtigung finden. Doch arbeitet Zitko nicht mit einer empirischen „Beweislast“, seine teils hoch präzisen Detailanalysen korrespondieren mit weitreichenden, „starken“ Begriffen, so dass sich im Lesen eine Mitte ausbildet, in welcher Bilder und Argumente in überzeugend intensiver Weise gemeinsam zirkulieren. Zudem erweitern musik- und sound-theoretische Überlegungen zu den Film-Scores die Einsicht in die wirkungsästhetische Kraft der Filme.

In Sergio Leones Für ein paar Dollar mehr von 1965 ist jene Analyse bemerkenswert, die dem Kult der Kraft von Geschossen, zugleich der „Coolness der Revolverhelden“ zuarbeitet. „Das fliegende Projektil“, so Zitko, „bildet einen Ersatz für das Sein und die Handlungsmacht des verschwundenen oder sich entziehenden Gottes. […] Auf der einen Seite fungiert das Projektil als Medium eines Selbst, das sich als frei, unabhängig und machtvoll imaginiert; auf der anderen Seite mobilisiert es Neigungen zur passiven, leidensbereiten Hingabe, die mit dem Ziel verknüpft ist, dem eigenen Verschwinden näherzukommen. In beiden Fällen bildet der Tod […] den Fluchtpunkt des Begehrens.“

Die Feier des Projektils wiederholt sich in der Hyperästhetisierung des Kampfes und der Geschosse in Matrix. In der Trilogie ist ein Phänomen tragend, das sich bereits in einem Bild von Luca Giordano vorfindet, Der heilige Michael (1660-65): Sowohl der Engel als auch Neo „partizipieren […] an jenen Gewalten, gegen die sie unbeirrt Krieg führen“ – und ermöglichen über einen psycho-physischen Tausch den Zuschauenden gleiches zu tun, den Dualismen nachzuerleben zwischen den Impulsen der Auslöschung eines Anderen und dem Begehren, sich selbst einer unterwerfenden Instanz auszuliefern“. In Matrix bleibt der „erklärt Kampf gegen die Scheinwelt ein leeres Bekenntnis, denn die kinematographischen Bilder liefern nicht weniger als ein Manifest des Glaubens an die Kraft realitätssprengender Illusionen“.

Die Studie von Hans Zitko ermöglicht aus einer bildwissenschaftlichen Perspektive philo-soziologische Einsichtnahmen in Kunst- und Kinowelten entlang den Darstellungsweisen von Gewalt, es sind inspirierend-unkonventionelle Überlegungen, denen man in ihrer kultur-kritischen Tragweite nicht zu Ende folgen muss, um sie als ein substantielles Angebot wahrzunehmen, sowohl die Bildende Kunst wie auch das Kino in einem großen geisteswissenschaftlichen und gesellschaftstheoretischen Umfeld auf überraschend vitale Weise neu zu denken.

Letzte Änderung: 03.03.2024  |  Erstellt am: 03.03.2024

Von Giotto bis Matrix

Hans Zitko Von Giotto bis Matrix

Zur Darstellung und Wahrnehmung von Gewalt in Malerei und Film.
284 S., brosch.
ISBN-13: 9783837665130
Transcript Verlag, Bielefeld 2023

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