IM WALD DER ZEIT

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Rezension zu Peter H. E. Gogolin: »Im Totenwald - Journal 2008-2011«
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Schreiben, dieses einsame Geschäft, bei dem wir uns ständig selbst begegnen, ist für den Autor vor allem auch ein schonungsloses Mittel der Erkenntnis. Das mag für viele literarischen Gattungen gelten, sofern sich der Schriftsteller einem Thema bedingungslos ausliefert. Als ich darüber beim Lesen von Peter H. E. Gogolins Journalaufzeichnungen aus den Jahren 2008 bis 2011 nachdachte, wurde mir klar, dass dieses Diktum ganz besonders für ein literarisches Journal gilt, erfahren wir doch aus ihm sehr viel mehr von den Hintergründen des täglichen Kampfes in einem Literaturbetrieb, der alles andere ist als es die bunten Buchumschläge in den Auslagen der Händler uns glauben machen wollen.

Nun sind die Maßstäbe des Marktes grundverschieden von denen, die ein Schriftsteller an seine Texte legt, zumal Verkaufbarkeit kein Kriterium sein kann, das während der Arbeit an einem Kunstwerk im Vordergrund steht; es spielt, wenn überhaupt, eher eine untergeordnete Rolle. Vor diesem Hintergrund ist das offene Bekenntnis, das der Autor nach einer gerade überwundenen Krankheit zum Tode ablegt, »denn ich möchte fortan für den Rest meines Lebens nur noch das tun, was ich wirklich liebe, auch ohne eine Belohnung dafür zu bekommen« (S.119), nicht minder ehrlich, als das wenig später notierte Eingeständnis »Ich müsste gänzlich andere Bücher schreiben, wenn ich irgendwo noch eine Chance haben will« (S.121). Gogolins Journal zeigt deutlich, dass solche Gedanken zu den verstörenden Begleitern künstlerischer Arbeit zählen. Sie auszublenden hieße, jenen schmalen Grat zwischen innerem Zweifel und dem unbedingten Ausdruckswillen als Momentum des Schöpferischen zu verkennen. Denn es sind gerade die Transformationen durchlebter Irritation, bis in die Träume hinein, welche uns in einem Kunstwerk letztlich auch einen alternativen Blick auf die Welt schenken. Und damit in der Fiktion jene Vision öffnen, die einen Text für den späteren Leser interessant werden lässt, da er eine »Gegenaussage zur Welt« bietet wie es George Steiner mit Blick auch auf andere Kunstformen wie Musik und Malerei einmal formulierte. Insofern sollte es uns nicht wundern, dass belletristische Bestseller meist zu den seichten und leicht konsumierbaren Büchern zählen. Hingegen fordern Gogolins Romane den Leser heraus, verlangen ein Mitdenken, den Mut des sich Einlassens, der den Leser schließlich durch einen gewonnenen anderen Blick auf die Wirklichkeit belohnt. Vieles davon erfahren wir aus seinem Journal, das über zahlreiche Einsichten in Komposition und Dramaturgie seiner Texte berichtet; Umarbeitungen und immer wieder Neuanfänge, die den kraftraubenden Weg vor der vermeintlichen Leichtigkeit des Seins betonen.

Einen breiten Raum nimmt dabei in den Jahren 2008 bis 2011 die Arbeit an dem Roman »Calvinos Hotel« ein, sein bisheriges Hauptwerk und Schlussstein einer Trilogie, die dreißig Jahre zuvor, 1981, mit seinem vielbeachteten Debütroman »Seelenlähmung« ihren Auftakt erlebte. Der Kampf des Schriftstellers um diesen dann 2011 endlich erschienenen umfangreichen Roman um eine deutsch-italienische Familiengeschichte, die sich von den letzten Monaten des 2. Weltkriegs über ein halbes Jahrhundert bis zum Friedensschluss von Dayton spannt, mit dem 1995 der Bosnien-Krieg endete, dürfte in vielerlei Hinsicht einzigartig in der deutschen Literaturlandschaft sein. Nicht nur, was die detaillierten Recherchearbeiten betrifft, sondern auch wegen der unglaublichen 122 Ablehnungen, die der Roman erfuhr, der nach seinem endlichen Erscheinen in einem Autorenporträt der Wiener Literatur-Zeitschrift Volltext (3/2012) als »einer der vielleicht größten deutschsprachigen europäischen Romane des letzten Jahrzehnts« bezeichnet wurde. Dass so viele Agenturen und Verlage die poetische Kraft als auch die politische Brisanz des Textes offenbar verkannt hatten oder ihn eben deshalb ablehnten, spricht Bände. Schließlich beleben den Markt gerade auch Autoren, die eingetretene Pfade verlassen. Vorausschauend und fast stellvertretend für sein gesamtes Werk notiert Gogolin bereits am 2. Dezember 2008 das ihn beschleichende Gefühl, »dass ich vielleicht keine Texte schreibe, die in irgendeiner Weise für den Markt geeignet sein könnten.« Eine durchaus seltsam anmutende Selbstbeschreibung eines Autors, der schon bei der Veröffentlichung seines ersten Buches für den Aspekte Literaturpreis als bester deutschsprachiger Debütroman nominiert wurde und den Literaturförderpreis der Stadt Hamburg erhielt. Für seinen Roman »Kinder der Bosheit« wurde er mit dem Preis und dem Jahresstipendium der Deutschen Akademie Rom, Villa Massimo, ausgezeichnet, und seine Publikationsliste umfasst inzwischen fast zwei Dutzend Bücher. Es scheint, als seien hier die literarischen Ansprüche des Autors mit den veränderten Marktmechanismen der Unterhaltungsbranche kollidiert.

Doch nicht nur das Gefälle zwischen literarischem Anspruch und schnöder Markt-Wirklichkeit wird in Gogolins Journal der Jahre 2008-2011 thematisiert. Zum Ausdruck kommt auch die häufig enorme Spannung zwischen den alltäglichen Arbeiten und Anstrengungen auf der einen und ihrer philosophischen und literarischen Reflexion auf der anderen Seite. Häufig werden zudem in die Aufzeichnungen vom Tage Gedichte des Autors eingebunden, die es vermögen diesen Spannungsbogen zu meistern, ja aufzufangen. Darunter »Schnee auf neuen Gipfeln«, ein Gedicht, das der Autor anlässlich einer Übersetzung ins Chinesische in sein Journal aufnimmt, und das mich seit vielen Jahren begleitet, steht es doch in einer unverkennbaren Tradition zeitloser Poesie, die aus jenem »Wald der Zeit« herausführt; eine Metapher, mit der der Autor in einem Interview, angesprochen auf den Titel »Im Totenwald« seines Journals, ein Bild für seine damals unrealisiert gebliebenen Projekte findet, »angedachten und im Wald der Zeit begraben, mitunter schon kurz nach der Idee, manchmal erst nach Jahren und tausenden von Seiten. Also Totenwald. Ich lebe darin.« wie am 11. August 2010 festgehalten wird. — Man kann sich nur wünschen, dass diese Texte auferstehen und eine Leserschaft finden.

Glücklicherweise sind viele Romane und Erzählbände von Gogolin inzwischen erschienen und auch lieferbar. Vom Autor, der im Januar 2025 seinen 75. Geburtstag feiert, wird im Herbst ein Folgeband des Journals mit den Jahren 2012 bis 2015 erscheinen. Man darf gespannt bleiben.

Letzte Änderung: 27.01.2025  |  Erstellt am: 27.01.2025

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Peter H. E. Gogolin Im Totenwald – Journal 2008 – 2011

Das Journal Im Totenwald erzählt aus den Jahren des Kampfes. Vom Zusammenbruch nach dem Tod des Vaters, über legendäre 122 Ablehnungen des Romans Calvinos Hotel, der hernach als »einer der
vielleicht größten deutschsprachigen Romane des letzten Jahrzehnts« bezeichnet wurde, bis zur Begegnung mit der Verlegerin Simone Barrientos. Ein Buch über Wiederaufstehen und Neubeginn. »Keiner kehrt nach 21 Jahren zurück. – Aber du kehrst zurück.«

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