Glockenklang im Talgrund

Glockenklang im Talgrund

Otfried Höffes „Ist Gott demokratisch?“

Gott ist allwissend, denn er hat ja alles angerichtet. Er hat uns die Schöpfung mit dem Teufel geschenkt, der wieder alles durcheinander wirft, und die Demokratie, die wir über Jahrhunderte immer wieder erwerben mußten und an der er selbst als Autokrat nicht teilnehmen kann. Denn im Regelwerk der Demokratie versuchen wir, ein friedliches Zusammenleben der Menschen zu organisieren. Otfried Höffe hat sich in seinem Buch „Ist Gott demokratisch?“ das Verhältnis von Demokratie und Religion angesehen, das Buch Otto A. Böhmer.

Ein Mensch, der daran gewöhnt ist, sich wichtig zu nehmen, obwohl ihm das erwiesenermaßen nicht bekommt, hat genug mit sich selbst zu tun; das ist anstrengend und macht ihn, noch vor dem Ende des Tages, ranzig und müde. Dass man sich damit in bester oder zweitbester Gesellschaft befindet, macht die Sache nicht besser. Wer kann ihm helfen; der Herrgott vielleicht, der sich aber, gerade in den ihm gewidmeten Sprechstunden, nicht immer zugänglich, sondern eher zugeknöpft zeigt. Wenn er sich denn überhaupt zeigt. In einem neuen, sehr zu empfehlenden Buch untersucht der Philosoph Otfried Höffe, schon lange einer der Besten seiner Zunft, wie Gott und die ihm geltende Religionsausübung mit der Demokratie zusammengehen, an der sich unser freiheitlich geprägtes Lebensgefühl orientiert, das längst nicht mehr unangefochten ist. Der Ausgangspunkt für die fast ein wenig provokant anmutende Frage „Ist Gott demokratisch?“ scheint einfach zu sein: „Die Demokratie ist, freilich in Grenzen, für das weltliche Wohlergehen, die Religion für die ewige Glückseligkeit zuständig.“ Konfliktfälle werden damit erst einmal nicht angesprochen, es gibt sie allerdings, „dann muss … die Demokratie auf ihrem Recht beharren, Letztentscheidungen zu treffen, während Religionsgemeinschaften einer anderen höchsten Instanz unterworfen sind und ihr, Gott, mehr zu gehorchen verlangen als jeder weltlichen Obrigkeit.“ Die Berufung auf Gottes Willen hat es heutzutage nicht mehr so leicht wie noch vor Jahrhunderten; der oberste Dienstherr macht sich rar und bevorzugt den Status nicht einsehbarer Zurückgezogenheit. Wer dennoch seinen dauerhaften Wohnsitz in die Gläubigkeit verlegt hat und keine Rechtfertigungsdiskussionen mehr führen will, kann sich in eine eigens für ihn eröffnete Stille zurückziehen, aber auch, was komplizierter anmutet, zu wutbürgerhafter Rechthaberei aufschwingen, die aggressionsabhängig bleibt. All das muß, gerade aus Sicht demokratieinterner Betriebsabläufe, auszuhalten sein. Gott hat unter Ewigkeitsgesichtspunkten das letzte Wort, womit er immer auch, zeitgleich, zu den Ursprüngen zurückkehrt („Am Anfang war das Wort, und das Wort war bei Gott“, Johannes-Evangelium); ein berührendes Kunststück, das für irdische Entscheidungsfindungen allerdings nicht zählt: „Vor den Frommen oder den ganz Frommen, vor den manche westlichen Theologen oder ‚Religionsintellektuelle’ warnen, hat der säkulare Staat keine Angst. (…) Eine Religionsgemeinschaft darf sich den staatlichen Gewalten nicht entziehen. Sie etwa durch ein eigenes religiöses Recht außer Kraft zu setzen und eine Paralleljustiz einzurichten, ist ihr verboten. Folglich ist ihr, es sei wiederholt, innerreligiös eine Ex-Kommunikation, der Ausschluß aus der Religionsgemeinschaft, erlaubt. Diese darf aber keine rechtlich-politischen Folgen haben.“

Mit „Ist Gott demokratisch?“ hat Otfried Höffe ein weiteres bemerkenswertes Buch vorgelegt, das zum Nachdenken anregt. Seine „Zwischenbilanz“, die sich von Zeit zu Zeit neu justieren lässt, fällt verhalten optimistisch aus. „Alle Personen , sowohl die natürlichen als auch die juristischen Personen wie Religionsgemeinschaften, haben schon aus Gründen des aufgeklärten Eigeninteresses genügend Argumente für eine äußerliche, überdies auch innere Zustimmung zur konstitutionellen Demokratie.“ So soll es bleiben. Wir befinden uns, oft ohne es zu merken, im lebenslangen Kreisgang, was schon Hegel wußte, der sich ohnehin darauf verstand, aus Ahnungen begründete Vermutungen abzuleiten. Gott ist darin eingewoben, was auch der Nichtgläubige mitbekommen kann, wenn ihn, aus heiterem Himmel, fromme Gefühle befallen. Wer beispielsweise in einer anmutigen Hügellandschaft auf einer gestifteten Bank Pause macht und ins Tal schaut, mag auf einmal von dort, aus dem Talgrund, Glockenklang hören. Nicht zu laut und keineswegs aufdringlich; dann kann es sein, dass auch der Religionsverächter, dem die Nachdenklichkeit geblieben ist, sich an Gottes legendäre Zustandsbeschreibung erinnert fühlt, die, noch gar nicht so lange her, aus einem Dornbusch an Moses erging, der mit dem zuvor ausgesprochenen Bilderverbot nicht so ganz einverstanden war: „Ich bin der ich bin da“, sagt Gott, und da darf man, in aller Bescheidenheit, hinzufügen: „Ich auch …“.

Letzte Änderung: 18.04.2023  |  Erstellt am: 16.04.2023

Ist Gott demokratisch?

Otfried Höffe Ist Gott demokratisch?

Zum Verhältnis von Demokratie und Religion
232 S., geb.
ISBN-13: 9783777630786
Hirzel Verlag, Stuttgart 2022

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Kommentare

Ralf Rath schreibt
Wenn Albert Einstein am 4. Dezember 1926 schreibt, dass es wissenschaftlich darauf ankommt, eine Theorie zu formulieren, die uns dem "Geheimnis des Alten" näher bringt, scheitert solch ein Unterfangen bereits daran, dass laut dem im November 1941 von Max Planck gehaltenen Vortrag "das endgültig Reale metaphysischen Charakter trägt und sich daher einer vollständigen Erkenntnis durchaus entzieht". Insofern ist es realiter nicht ermöglicht, "jemals wieder zu den Einsteinschen Postulaten zurück(zu)finden", wie Werner Heisenberg im Jahr 1969 bemerkt. Angesichts dessen könnte es heutzutage für eine Demokratie verhängnisvoller nicht sein, wenn sich Abgeordnete des Deutschen Bundestages in ihrer überwiegenden Mehrheit entschließen, von den physikalischen Gegebenheiten abzusehen. Vor allem eine hochentwickelte Industriegesellschaft würde sich dann ökonomisch völlig ruinieren. Der Sozialforscher Friedrich Weltz mahnte deshalb schon in den frühen 1990er Jahren wohlbegründet, tunlichst darin innezuhalten, hoheitlich insbesondere diejenigen privatwirtschaftlich geführten Betriebe, welche hiesig den Wohlstand gewährleisten, mit hoher Geschwindigkeit gegen die Wand zu fahren. Nicht das gegenwärtig vieldiskutierte Tempo an sich ist somit entscheidend. Vielmehr geht es darum, den fortschreitenden Prozessen notwendig eine andere Richtung zu geben ("to reverse them"), wie Max Horkheimer als Spiritus Rector der so genannten Frankfurter Schule längst reklamiert.

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