„Gib mir die Pfote, Leben!“ Rolf Dieter Brinkmanns Kollaborationen mit Ralf-Rainer Rygulla im Axel Dielmann Verlag

„Gib mir die Pfote, Leben!“ Rolf Dieter Brinkmanns Kollaborationen mit Ralf-Rainer Rygulla im Axel Dielmann Verlag

NOCH EIN GEBURTSTAGSSTRAUSS FÜR ROLF DIETER BRINKMANN
Frank Xerox’ wüster Traum | © Axel Dielmann Verlag

„Poesie“, schrieb Nicolas Born, sei „das Leben mit Präzision zu verfehlen“. Lässt sich das auch umgekehrt lesen? Leben heißt also dann, die Poesie mit Präzision zu verfehlen? Im Falle Rolf Dieter Brinkmanns, der am 16. April seinen 85. Geburtstag feiern würde, wäre er nicht am 23. April vor 50 Jahren von einem Auto im Londoner Linksverkehr überfahren worden, möchte man das fast sagen. Immer wieder hat er in seinen Gedichten Zerstörung, Verkehrsunfälle, Kriegstraumata fast schon mutwillig heraufbeschworen, als habe das Leben dann irgendwann einmal ihn und seine Gedichte beim Wort genommen.

Doch es gab Momente bei ihm, wo Leben und Poesie, einem großen Traum der Avantgarden folgend, deckungsgleich geworden zu sein schienen – dort, wo ihm die Gedichte fast wie nebenbei kommen, beim Herumlungern oder Blödeln mit Freunden, beim Sitzen mit seiner Frau in der Küche und Warten darauf, dass die Haschplätzchen im Ofen backen, beim absichtslosen Assoziieren, beim Kritzeln, mit dem Kugelschreiber übers Papiers Fahren, beim Zeit Totschlagen im D-Zug am Rhein oder zur Ostsee: Es sind vielleicht nicht die großen Gedichte, die so entstanden sind, nicht in der Einsamkeit des Dichterdaseins, sondern im Zusammensein mit dem Freund und Mitinspirator Ralf-Rainer Rygulla, der ein Thema, Motto, Zitat vorgab, Stichworte lieferte, weiterschrieb – es ist nicht klar, wer was notierte, den Anstoß gab, den Faden weiterspann, alles ist Gemeinschaftsarbeit, Kollaboration.

So hatten sie es bei den jungen New Yorker Dichterfreunden wie Ted Berrigan, Larry Fagin oder Ron Padgett gesehen, so hatten sie wohl auch Josef Beuys verstanden, dem eine der Kollaborationen gewidmet ist: dass jeder erst einmal Kunst machen könne, wenn er es nur wolle, er jede Scheu vor der Herrschaftsvokabel „Kunst“ verliere und einfach anfange zu machen. Prinzipiell jeder könne Künstler, also Dichter sein, auch die Surrealisten hatten das versucht mit ihrer Methode des automatischen Schreibens, ähnlich Andy Warhol mit seinen Siebdrucken banaler Motive, die wie kopiert erscheinen aus der kollektiven Imagination im medialen Bewusstseinsraum, das Echo von Duchamp im Ohr, Alltagsgegenstände aufzugreifen, umzustülpen und als „objets trouvés“ oder „found poetry“ zu Kunst zu deklarieren.

Folgerichtig benennen Brinkmann/Rygulla ihre Kollaborationen nach den ersten Kopiergeräten, die für jeden in der Öffentlichkeit das Vervielfältigen erschwinglich machten, Marshall McLuhan hätte seine Freude an diesem Duo gehabt, das sich den Namen „Frank Xerox“ gab und ein Album unter diesen Namen plante: Frank Xerox’ wüster Traum. An einer Stelle finden sich Brinkmanns Vorstellungen fixiert, wie ihr Buch, billiges Werbematerial auf dem Cover, einem Kinderbuch aus Pappkarton ähnlich Gestalt annehmen sollte. Daraus wurde dann nichts. Vielleicht ist es auch gut so, einen wüsten Traum, wo sich Poesie und Leben für ein paar Momente in blödelnder Harmonie begegnen, nicht zwischen zwei Buchdeckel zu pressen.

Die Anmutung der zwischen die Klammern des Leitzordners gepressten, mit Schreibmaschine oder Kugelschreiber beschriebenen Papiere bleibt bei Dielmanns geripptem A4-Faksimile-Karton bestens erhalten – als würde zwischen diesen Seiten für Momente Brinkmann mit seinem grellen, gleichermaßen absurden wie obszönen Humor wieder lebendig: als ein Dichter, der versucht, Leben und Poesie mit traumhaftem, rauschhaften Kalkül in Einklang zu bringen. Darunter: bizarre Oberflächenübersetzungen Apollinaires, Eluards oder Lorcas, „Zehn Münzen aus Albanien“, „Ostern in Köln“, „Kopfnüsse, Brötchen und Gummiwaren“, die auch einen Satz enthalten, der an einer Stelle in Brinkmanns großem Westwärts 1&2 wiederkehrt: „Gib mir die Pfote, Leben!“

Hier zum Buch

Lesen Sie Jan Röhnerts Essay „Der große Anreger: Rolf Dieter Brinkmanns Westwärts 1&2 zum dritten“ hier

Letzte Änderung: 23.04.2025  |  Erstellt am: 23.04.2025

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