Exkursionen des Justiziars

Exkursionen des Justiziars

Matthias Buths Essayband „Der Himmel über Rösrath“

Rösrath ist, seit 2001, eine Stadt südöstlich von Köln im Rheinisch-Bergischen Kreis, in der der Dichter Matthias Buth lebt. In seinem Essay-Band „Der Himmel über Rösrath“ lässt er die Geister der Stadt erscheinen, aber Harald Gröhler, der das Buch bespricht, bemerkt zu recht, dass der Himmel unabgrenzbar, also unser aller Himmel ist. Von Literatur ist darin die Rede, vom Nationalsozialismus, von Musik und Katholizismus, also von all dem, was zwischen Himmel und Erde interessiert.

Ein Germanistikprofessor der Universität Köln hat ein Gedichtbuch deutscher Gedichte – vom Wessobrunner Gebet bis hin zur unmittelbaren Gegenwart – zusammengestellt, und der Professor, Karl Otto Conrady, lebte jahrzehntelang in Rösrath. Seine Anthologie, „der Conrady“, ist deutschlandweit berühmt geworden.

Ein zweiter Germanistikprofessor der Kölner Uni wohnte vier Jahrzehnte gleichfalls in Rösrath, Walter Hinck, jahrzehntelang war Hinck auch Rezensent für die F.A.Z., weithin berühmt er ebenfalls.

Ein Zauberer, ein richtiger hauptberuflicher Zauberer – „Illusionskünstler“ –, hatte gleichermaßen seinen Existenzmittelpunkt in Rösrath, Alexander Adrion. Und von allen diesen zeichnet der in Rösrath bei Köln ansässige Matthias Buth essayistische Porträts. Mit den drei Personen hat Buth auch persönlich verkehrt; und er verzichtet nicht darauf, zu erwähnen, dass der Zauberer Adrion sich bei seinem ersten Besuch im Buthschen Haus ausbedang: „nichts Ihren Kindern sagen! Die dürfen nicht wissen, dass ich …“

Buth schildert desgleichen die Rösratherin Philomena Franz, die inzwischen exakt 100 Jahre alte Sinti, seit Jahrzehnten kennt er sie, und so weiß er auch mitzuteilen, sie sitze nicht in einem Sessel, nein, auf einem Sessel. Denn sie sei eine Herrscherin. Diese immer noch anmutige Frau hat Auschwitz überlebt. Etwas Magisches gehe von ihr aus. Das „liegt in ihrem Blick, in ihren Schritten zur Tür“. Ein solches Detail liest man über Auschwitz-Entkommene sonst nicht; dies sind die Früchte persönlichen Kontakts. Buth weiß damit aufzuwarten.

Aber weiter in der Reihe der behandelten Rösrather: Da führt Buth vor allem den Hans Daiber vor, zuletzt Rundfunkredakteur beim WDR. Buth arbeitet zu Recht Daiber als erstrangigen Theaterkenner heraus; „Daiber hatte zur darstellenden Kunst eine besondere Affinität“. Die Schwester Daibers schilderte ihren Bruder dem sich erkundigenden Buth als immer etwas versponnen und in sich gekehrt. Das kann ich voll bestätigen, ich habe Daiber ebenfalls so erlebt; als ganz und gar nicht aufgeregt – wie oft der Fall bei Funkjournalisten –, und ich hatte vor Daiber, dem selbständig denkenden Redakteur, die größte Hochachtung.

Als einen Rösrather Mann aus dem Umfeld der Literatur präsentiert Buth auch den Wolfgang Schiffer. Skurrilerweise verwandelt er den, schon in der Überschrift des Schiffer-Kapitels, in „den Rabbi aus Rösrath“. „Sein kantiges Gesicht fast verborgen unter wallendem Bart“, seine „cellotiefe Rundfunkstimme verströmte einen warmen Klang“. Trifft alles zu, wie ich aus eigenem Erleben weiß. Die sonore Stimme erwähnt Buth gleich zweimal, so sehr hat sie es ihm angetan. Auch die anderen bisher Genannten außer der Philomena kenne ich, auf die Weise hat der Rezensent natürlich Boden unter den Füßen, und er kann begründet sagen, die Darstellungen sind trefflich gelungen. Den Adrion-Zauberer habe ich nur sechzig Jahre früher erlebt.

Buth hat nicht lediglich Personen unter seinem Rösrather Himmel versammelt, er porträtiert auch den Kalmusweiher nah bei Rösrath. Das ist das ehemalige Kriegsgefangenenlager Hoffnungsthal. Matthias Buth macht die Erinnerung daran nun allgemein. Es gibt aber ganze Kapitel, die haben mit Rösrath kaum etwas zu tun. Etwa die zwei langen Abschnitte „Wuppertal – Wichelhaus“ und „Suchbilder“. Das sind allein schon 50 Seiten. Wuppertal wird hier in Vergangenheit und Gegenwart ausführlich durchgenommen. Rösrath? Gewiss, Buth, der in Wuppertal geboren ist, lebt jetzt in Rösrath … . Oder das Kapitel „Leben mit dem Sterben“: ohne Rösrath. Wohl aber mit Corona und mit Wuppertal, und mit Katzen, die den süßlichen Duft des Vergehens wahrzunehmen vermögen und die dann die Nähe des Sterbenden am Fußende des Bettes aufsuchen. Nun ja, man könnte sagen: trickreich hat der Verfasser den Titel für dieses Buch gewählt, denn der Himmel über Rösrath ist unabgrenzbar auch noch derselbe Himmel wie in Wuppertal, Breslau, Görlitz (diesen Städten gelten ebenfalls vielseitenlange Buth-Exkursionen). Der Verfasser hat den Titel schon listig ausgesucht; ein slapstickartiger Einfall. Oder aber, der Leser beruhigt sich endlich und sagt: Gebongt!, das Buch ist doch in der Reihe „Fragmentarium“ im Pop-Verlag erschienen.

Im Übrigen gibt es in dieser Essaysammlung auch kapitellange Thematiken, die setzen sich überhaupt über jede Verortung hinweg. „Kein Amen auf Abrahams Samen“: hier geht es um das katholische Gebetbuch Gotteslob, speziell um das Lied „Lobe den Herren“. In dessen fünfter Strophe wird eine Fassung nach wie vor noch weiter gesungen, die von Goebbels zwangsweise abgeändert und als Einziges erlaubt worden war. Abrahams Samen ist da abgeschafft („Alles was Odem hat, lobe mit Abrahams Samen“).

Die ungute Präsenz von nationalsozialistischem Gedankengut auch heute, die wird in Buths Buch oft nachgewiesen und angeprangert. Einmal beschreibt Buth etwas in der Gegenrichtung: wie im Görlitzer Kriegsgefangenenlager Stalag VIII A eine Komposition von dem französischen Insassen Olivier Messiaen hier entstand; ermöglicht von zwei leitenden Wehrmachtsoffizieren, und wie das im Lager auch bei Eiseskälte aufgeführt wurde, Januar 1941. Diese Komposition, „Quatuor pour la fin du temps“, wird heute z.B. von dem polnischen Komponisten Krzysztof Meyer (bis 2008 Professor für Komposition an der Musikhochschule Köln) für das bedeutendste Stück Kammermusik im 20. Jahrhundert gehalten; wie Buth berichtet. Meyer war oft im Rösrather Schloss Eulenbroich als Pianist. Buth lässt in seinen Essays das Pendel weit ausschwingen.

Nicht selten und gern zu Anfang eines Kapitels nähert er sich seinem jeweiligen Thema, indem er ein klassisches Musikstück mit ins Spiel bringt. Jedenfalls ein überraschender Zugang. Und der Autor Buth war bis zu seinem Fünfundsechzigsten keineswegs Musiklehrer gewesen, sondern Justiziar im Bundeskanzleramt und hatte einmal in Jura promoviert. Soviel ist sicher, Buth zeigt sich mit diesem Buch erneut als ein unabhängiger Geist – der sich von jeweils gerade angesagten Meinungen auch wenig beeinflussen lässt. Seine Bemerkung, dass Begriffe wie Staat, Gewalt, Volk aus der Sprache gefallen sind, (Seite 80) hätte sich so mancher andere dreimal verkniffen, und Buth schreibt im selben Kapitel, „Kanzleramt und Gedichte – das geht eben nicht zusammen“.

Letzte Änderung: 11.05.2022  |  Erstellt am: 11.05.2022

Der Himmel über Rösrath

Matthias Buth Der Himmel über Rösrath

210 S., Softcover
ISBN: 978-3-86356-318-9
Reihe Fragmentarium Bd. 21
Pop Verlag, Ludwigsburg 2021

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