Eine Chronologie des Grauens

Eine Chronologie des Grauens

Richard Malkas „Das Recht, Gott lächerlich zu machen“
Charles Foster: Die Steinigung des Gotteslästerers | © Hartford, Conn., 1873., wikimedia commons

Darf man Religion verspotten? Ja, unbedingt, sagt Richard Malka. In Frankreich lebt er deshalb unter Polizeischutz. Als Anwalt hat er Charlie Hebdo erfolgreich gegen Rassismusvorwürfe verteidigt, nachdem das Magazin Mohammad-Karikaturen veröffentlichte. Jetzt ist sein Plädoyer vor Gericht als Buch erschienen – eine fulminante Verteidigung der Meinungsfreiheit. Helmut Ortner hat es gelesen.

Ein bärtiger Mann mit Turban hält seinen Kopf zwischen den Händen. Er ist sehr verärgert. In der Sprechblase steht: „Schon hart, wenn einen Idioten lieben …!“ Die Zeilen über der Zeichnung erläutern: „Mohammad beklagt sich. Er wird von Fundamentalisten überrollt!“ Der Prophet beklagt sich also über die Haltung seiner fanatischen Anhänger. Eine Titelseite von Charlie Hebdo, dem französischen Satiremagazin: provokant, schrill, bunt. Nicht jeder muss über diese Karikatur schmunzeln, jeder darf sich beleidigt fühlen. In einer aufgeklärten, freien Gesellschaft nennt man so etwas politische Karikatur.

Seit 1992 macht Charlie Hebdo macht davon Woche für Woche Gebrauch: Gegen selbstgefällige Politiker, korrupte Wirtschaftsbosse, bigotte Moralwächter – vor allem aber gegen religiöse Fanatiker. So auch auf der zitierten Titelseite aus dem Jahr 2006, die dem Zeichner Kurt Westergaard gewidmet war, der wegen seiner Karikaturen in der dänischen Tageszeitung Jyllands-Posten von moslemischen Fundamentalisten mit dem Tod bedroht worden war. Damals waren er und die Zeitung beschuldigt worden, den „öffentlichen Frieden« zu gefährden. Eine skandalöse Umkehrung des Täter-Opfer-Prinzips. Denn nicht Westergaard und die _Jyllands-Posten_-Redaktion gefährdeten den öffentlichen Frieden, sondern religiöse Fanatiker, die in ihrem Wahn Menschen drohten und töteten, weil sie unfähig waren, satirische Kunst, wie sie in einer offenen Gesellschaft legitim ist, zu akzeptieren.

Neun Jahre später, am 7. Januar 2015, springen zwei mit Kalaschnikows bewaffnete moslemische Terroristen vor dem Pariser Redaktionsgebäude von Charlie Hebdo aus dem Auto, zwingen die Zeichnerin Coco zur Herausgabe des Sicherheitscodes und stürmen in den zweiten Stock. Dort erschießen sie einen Leibwächter, den Chefredaktor Stéphane Charbonnier und mehrere Mitarbeiter. Die Bilder, wie sie unter _„Allahu akbar“_- und _„Wir haben den Propheten gerächt“_-Rufen in einen schwarzen Citroën steigen und auf der Flucht einen Polizisten aus nächster Nähe exekutieren, gehen um die Welt. Zwölf Menschen werden aus dem Leben gerissen. Eine barbarische Tat. Frankreich steht unter Schock.

Und doch: schon damals wurden Stimmen laut, die die „Verantwortungslosigkeit“ des Satiremagazins beklagten. Sie machten Charlie Hebdo letztlich selbst für das mörderische Inferno verantwortlich, weil es unter dem „Deckmantel der Meinungsfreiheit“ die Gefühle von Gläubigen verletze, sich über Religionen lächerlich mache. Solche Einwürfe kamen nicht allein konservativen Glaubensverwaltern und der politischen Rechten. Auch von linken Intellektuellen und Medien wurde das Recht auf Kritik an Gott und anderen „heiligen“ Autoritäten infrage gestellt. Sie warfen Charlie Hebdo vor, rassistisch zu sein und den Glauben der Schwächsten zu verhöhnen – und damit vor allem viele moslemischen Einwanderer zu erniedrigen. An diesem Bild wird bis heute festgehalten: Weltweit rechtfertigt ein erheblicher Teil der Islamisten Gewalt und Terror wegen angeblicher Herabwürdigung des Korans oder des islamischen Propheten Mohammad.

Diese Argumentation, die häufig für die Rechtfertigung strapaziert werde, sei der beschämende Versuch einer Täter-Opfer-Umkehr, sagt Richard Malka, der als Anwalt seit 1992 die Interessen von Charlie Hebdo vertritt – und deshalb seit Jahren unter Polizeischutz steht. Wo aber kämen wir hin, fragt er, wenn wir es vom Einverständnis religiöser Fanatiker abhängig machen würden, ob ein Kunstwerk, ein Theaterstück, ein Film gezeigt werden darf oder nicht, weil er angeblich den Propheten Mohammad herabstuft, beleidigt oder der Lächerlichkeit preisgibt?

In einem seinem Schluss-Plädoyer, das er 2020 im Prozess gegen die Komplizen der Attentäter vor dem Sonderstrafgerichtshof in Paris gehalten hat, forderte er die Ideologen und dienstbaren Geister des Terrors auf, mit ihren Bemühungen aufzuhören, für den Islam Sonderrechte zu beanspruchen. „Die Kunst- und Meinungsfreiheit kann in einer offenen, demokratischen Gesellschaft nicht aus Rücksicht auf religiöse Fanatiker einschränkt werden, dies kommt einer Belohnung gleich”. Nicht Religionskritik störe den öffentlichen Frieden, sondern Glaubensfanatiker, die „unsere Freiheiten verachten, die alle Ungläubigen und Andersgläubigen hassen, vor allem die, die sich erlauben, über ihren Propheten zu lachen, ihn zu karikieren”, so Malka.

Sein Plädoyer ist jetzt in deutscher Übersetzung als Buch erschienen. Ein schmales Bändchen von großer rhetorischer Wucht. Eine Chronologie des Grauens und der politischen Ignoranz. Malka benennt Namen und Interessen aus Politik und Medien, die über Jahre eifrig Legenden- und Lügengeschichten verbreiteten, wonach Charlie Hebdo „Feind aller Muslime“ sei. Sie alle nimmt er in Mit-Haftung: Opportunisten, Wegseher und Verdränger, die für die brennende Lunte, die sie mit entfacht haben, Verantwortung tragen. Sein Plädoyer ist – im Sinne des Wortes – eine „wahrhaftige“ empathische Anklage gegen Gleichmut und Gleichgültigkeit. Vor allem aber eine fulminante Verteidigung der Meinungsfreiheit und des Rechts, sich über Gott lächerlich zu machen – falls es ihn gibt.

Letzte Änderung: 02.02.2024  |  Erstellt am: 02.02.2024

Das Recht, Gott lächerlich zu machen | © Hartford, Conn., 1873., wikimedia commons

Richard Malka Das Recht, Gott lächerlich zu machen

Deutsch von Lou Marin
95 S., brosch.
ISBN-13: 9783865693839
Alibri Verlag, Aschaffenburg 2023

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Kommentare

Jens Jürgen Korff schreibt
Das Terrain ist schwierig, weil beide Seiten oft mit falschen Flaggen herumlaufen. Sich über Gott lustig zu machen, finde ich widersprüchlich: Wer nicht an Gott glaubt, braucht sich auch nicht über ihn lustig zu machen. Auch das scheint mir eine falsche Flagge zu sein. Ich finde es richtig, sich über religiöse Würdenträger oder Autoritäten lustig zu machen, z. B. über den Papst, bestimmte Bischöfe, bestimmte Mullahs und Ayatollahs, und gerne auch mal über den Dalai Lama oder über quasireligiöse Kultfiguren wie Elon Musk. Das geschieht aber erstaunlich selten. Stattdessen geht es immer wieder um den einen: Mohammed. Warum gerade Mohammed? Er ist weder der Gott der Muslime noch ein amtierender Würdenträger der Muslime. Sondern eine Figur, von der man fast nur eines weiß: dass Satiren über ihn besonders viele Muslime in Rage bringen. Die Rage der Muslime ist also ein Teil des Spiels. Es ist ein Spiel mit dem Märtyrerstatus der Mohammed-Karikaturisten; insofern selbst ein Akt des Glaubenskrieges unter der Flagge der Freidenkerei. Dazu passt auch, dass viele dieser Karikaturen nicht wirklich satirisch sind, sondern nur plumpe Hetzpropaganda, mit Anklängen an den Stürmer-Stil. Natürlich segeln auch die Djihadisten unter falscher Flagge: Sie spielen die Erniedrigten und Beleidigten und rüsten gleichzeitig zum Mord und zum Endkampf um ein Weltkalifat.
Gunnar Schedel schreibt
Zur Klarstellung der Tatsachen: In den letzten Jahren sind im Zusammenhang mit den Missbrauchs- und Vertuschungsskandalen zahllose Karikaturen über Priester & Bischöfe erschienen, es gibt das Satirefenster "Spott sei Dank" beim Humanistschen Pressedienst (hpd.de) und ganze Bücher voller kirchenkritischer Karikaturen. Ein Blick in die Satirezeitschriften Titanic und Eulenspiegel dürfte ebenfalls deutlich weniger "Mohammed-Karikaturen" als Karikaturen über Bischöfe & Co. ergeben. Stellt sich also die Frage: Hat Jens Jürgen Korff seine Behauptung aufgestellt, ohne recherchiert zu haben? Oder verbreitet er die Propagandalügen der religiösen Rechten islamischer Ausrichtung bewusst?
Gunnar Schedel schreibt
Zur Klarstellung der Tatsachen: In den letzten Jahren sind im Zusammenhang mit den Missbrauchs- und Vertuschungsskandalen zahllose Karikaturen über Priester & Bischöfe erschienen, es gibt das Satirefenster "Spott sei Dank" beim Humanistschen Pressedienst (hpd.de) und ganze Bücher voller kirchenkritischer Karikaturen. Ein Blick in die Satirezeitschriften Titanic und Eulenspiegel dürfte ebenfalls deutlich weniger "Mohammed-Karikaturen" als Karikaturen über Bischöfe & Co. ergeben. Stellt sich also die Frage: Hat Jens Jürgen Korff seine Behauptung aufgestellt, ohne recherchiert zu haben? Oder verbreitet er die Propagandalügen der religiösen Rechten islamischer Ausrichtung bewusst?

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