Lyrik mag, wenn sie glückt, zeitlos sein. Dichtende Menschen sind es nicht. Dass sich die poetische Auseinandersetzung mit Alter und Demenz merklich ausweitet, hat nicht nur ihren Grund im demografisch veränderten Alltag, sondern auch in einem großen Thema der Dichtkunst, dem Schwinden der Existenz. Ursula Maria Wartmann beschreibt, wie Monika Littau das in ihrem Band „Manchmal oben Licht“ einfühlsam in lyrische Prosa verwandelt.
Mit „Manchmal oben Licht“ nimmt die Protagonistin des gleichnamigen Buches Abschied von den alten Eltern. Wehmut und manchmal auch leiser Witz schwingen mit in den Texten voll von Abschiedstraurigkeit“ – als Hommage an den Vater, die Mutter.
Es ist ein Vermächtnis voll lyrischer kurzer Prosa; sie könnte dem Genre Erzählgedichte zugeordnet werden. Selten sind die Texte mehr als gut eine Seite lang, und reich bestückt sind sie mit den Requisiten vergangener Tage: Rosenkränze und Heißwasserboiler, das Fahrrad mit dem Damensattel, die Zigarrenkiste, in der alte Fotos wie ein Schatz gehütet werden.
Die Rückblenden stellt Littau dem Heute gegenüber – macht den geistigen Verfall und das erschütternde Verschwinden zweier Menschen sichtbar, die der Tochter als Kind einmal alles bedeutet haben. Bizarre, nicht durchschaubare Dinge oder Dialoge bestimmen den Alltag:
„Mein Schatz, sagt Mutter zum Abschied.
Das sagt sie sonst nie.
Und Operation sagt sie,
obwohl er nur eine Spritze bekommt.“
Die Trauer, die Hilflosigkeit der Tochter im Hier und Jetzt wird immer wieder sichtbar; ihre Verletztheit auch angesichts von Zurückweisung und Unberechenbarkeit.
„Morgen um acht, sagst du.
Nur wenn du das willst, sagt Mutter.
Wir kommen auch so klar.“
Auf denkbar knappstem Raum wird literarisch eindrucksvoll die komplizierte Mutter-Tochter-Beziehung vermessen.
„Der Mutterkörper …
Hielt sich aufrecht. Immer.“
Disziplin und Unnachgiebigkeit versus Wärme und Aufgehobensein: Die „Pranken“ des Vaters spielen eine große, gute Rolle, so in „Vaterhände“, dem längsten eher erzählenden Text des Bandes:
„Noch lieber magst du, wenn die Handschaufeln dich aufheben,
er dich auf den Armen trägt, das Gefühl, als umschlössen
die Hände den ganzen kleinen Körper und wärmten ihn.
Auf seinem Schoß umfasst er mit der einen Hand Brust und Bauch,
die andere hält er geöffnet, bis sich die Kinderhand hineinlegt.“
Rückblenden in eine Nachkriegszeit des Aufgehobenseins, in der die Welt von den Eltern noch verstanden wurde und ihnen nicht nur geschah. Grausam, was hinter der folgenden Szene aus „sicher“ vermutet werden muss:
„Du bleibst an der Wohnzimmertür stehen,
siehst zu, wie die Mutter versucht,
in Vaters Krankenbett zu klettern.
Sie hat sich die viel zu große Männerkleidung
übergezogen und mit Gürteln festgezurrt.
…
Ich hab mir das angezogen, sagt sie und zieht an Vaters Jackett.
Weißt du, dann tun sie dir nichts.
Auf jeden Fall nicht so leicht.“
Wer so erschütternd mit den Kriegstraumata der Mutter konfrontiert wird, hat es mit Verstehen und Vergeben vielleicht leichter. Auch mit der Herzenshärte dieser häufig selber so verletzten und beschädigten Müttergeneration, die ja ein Phänomen ist, unter dem viele der Töchter, die in den 1950ern geboren wurden, litten und leiden. Als das Kind sich einmal fast an einem Band stranguliert, das die Mutter ihm nachts anlegt – es soll nicht „barfuß im Nachtpölterchen“ herumgeistern – heißt es nur lapidar:
„Mein Gott, sagt Mutter.
Ich hätte mich ja unglücklich machen können.“
Wimmerwuchs heißt dieser Text bezeichnenderweise; ein lautmalerisches, poetisches Wort, von denen so manches in Monika Littaus Buch zu finden ist: Gefrornis. Wurzelgefühl. Scherbenschmelzen. Auch der Begriff Lumen taucht mehrfach auf – als Einheit für Licht, als Gegenpart zur sich zunehmend ausbreitenden Dunkelheit. Fotos von Littau ergänzen die Texte; sie zeigen abstrakt den vielschichtigen Lichteinfall durch Glas.
„Ein Elternabschied in VII Stationen“ wird von Monika Littau auf 115 Seiten aufgezeigt, der der Tochter alles abverlangt an Kraft, an Liebe und auch: dem Willen zur Vergebung. Aus einem Konglomerat von Gefühlen und Widersprüchlichkeiten, von Gestern und Heute, wurde berührende Literatur gemacht, die am Ende im Angesicht des Todes sogar Trost zu spenden vermag.
„Fast lautlos geht Mutter.
Ihr helft ihr die Augen zu schließen.
Draußen ist frischer Schnee gefallen,
gleißend glänzt er.
…
Stunden später zieht eine Schar Gänse am Himmel,
kehrt zurück zu den Schlafgewässern.“
Letzte Änderung: 19.05.2022 | Erstellt am: 14.05.2022
Monika Littau Manchmal oben Licht
Ein Elternabschied in VII Stationen
116 S., geb.
ISBN-13: 9783754345870
edition offenes feld, Dortmund 2021
Kommentare
Es wurde noch kein Kommentar eingetragen.