Das ideenlose Gleiten durch die Gänge des Mainstreams
Martina Hefters neuer Roman "Hey guten Morgen, wie geht es Dir?" ist kein literarischer Meilenstein, und doch bringt er den Nerv unserer Zeit präzise auf den Punkt. Alban Nikolai Herbst beschreibt ihn als Buch, das die Oberflächlichkeiten unserer Wohlstandsgesellschaft durchstreift – von Wokeness über Influencer bis hin zu Emojis und Depression. Hefters Werk ist ein bewusst kalkuliertes, vielleicht regredierendes Werk, das seinem Publikum den Spiegel vorhält. Ein Buch, das den Deutschen Buchpreis 2024 gewann, gerade weil es perfekt in eine Zeit der Komfortkultur passt.
Nein, dies ist ganz sicher nicht der »beste Roman« des Jahres 2024, er dürfte nicht einmal unter die besten zwanzig zählen. Der Deutsche Buchpreis dieses Jahres ging dennoch ganz zurecht an ihn. Denn er wartet mit, außer den beiden großen Kriegen, quasi allem auf, was uns Wohlstandsmenschen derzeit beschäftigt, und zwar so, wie es unter uns die meisten beschäftigt: Wokeness, schlechtes Gewissen der spät-nachkolonial Geborenen und Geboreninnen, Tattoos, kurz auch mal Hexen, gerauchten oder besser doch nicht gerauchten Joints, Influenzern, Chats voller kleiner Hundchen und Herzchen, ja Frau Hefter bedient sogar die literarische Selbstreferenz, mit der sie allen, die nicht genau hinlesen, vormacht, daß ihr Text präzise durchdacht sei:
Ein Stück schreiben über alles, was passiert in meinem Leben und allgemein.
Was eine Intellektuelle nun ganz sicher so nicht formulieren würde; selbst Hefters Selbstbefragungen bleiben schon deshalb letztlich hohl und in jedem Fall konsequenzlos. Dazu kommen heftige stilistische Schwächen (»Die normale Selbstausbeutung, (…) die man überwinden und zu einem etablierten Theaterkollektiv wachsen wollte«) und eine Neigung zu Vereinfachung und Banalitäten:
Irgendwo war jemand in großer Not. Juno wünschte diesem Menschen alles Gute. – Allen wünschte sie alles Gute.
Es ist dies imgrunde auch kein Roman – jedenfalls nicht, wenn man sich die komplexen Traditionen von Gustave Flaubert über Alfred Döblin bis zu einerseits, sagen wir, Margaret Atwood und andererseits Thomas Pynchon vor Augen hält; es ist vielmehr eine lockere Erzählung, die oft mehr plappert als erzählt, nämlich als
und dabei derart nahe an dem tatsächlichen, eigenen Leben geschrieben ist, daß der Eindruck entsteht – außer daß die Erzählerin keine, die Autorin Kinder aber sehr wohl hat –, es gebe nicht eine einzige literarische Erfindung im Buch … – ein Realismus geradezu wie von Maxim Biller, doch ohne dessen oft boshaft konturierte, nicht selten zynische, doch stets geschliffene Gedankenschärfe. Statt dessen obwaltet bis in zuweilen Rührseligkeit aus wohlfeil schlechtem Wohlstandsgewissen (»Nichts, was Juno hier um sich hatte, Wärme, Nahrung, Arbeit, richtete woanders keinen Schaden an«) angeschmachteter Depressionskitsch, und die Autorin gibt auch zu, woher sie ihn hat:
Wie der Planet Melancholia die Erde trifft / und dann gibts einen großen Feuerball / darin liegt so große Schönheit (…).
Abgesehen davon, dass nur jemand, die und der nicht in den ukrainischen Schützengräben liegt oder bombardiert in Gaza wird, auf sowas kommen kann, paßt sich dem die grundsätzlich regressive Bewegung dieses, nun jà, »Romanes« nahtlos an:
Denn das Weltall war angezündet, und die kleinen Hunde, die es manchmal immer noch gab in ihren Träumen, tänzelten wie irr herum.
Von solchen Hunden, besser Hundchen, ist das Buch nämlich voll; dazu addieren sich Herzchen-Emojis in den nachts mit dem jungen nigerianischen »Love-Spammer« Bentu geführten Chats, in denen es, na klar, auch Smileys massenhaft gibt, Zwinkersmileys, Tränchensmileys, Lachtränchensmileys, Sektgläser-Emojis – ab der Mitte des Buches wurde ich so müde davon, daß ich’s des ganzen Buches wurde. Dennoch hielt ich durch und bin ganz froh darüber, weil es eben doch manchmal zu poetischen Momenten kommt, die mich kurz nachsinnen ließen, ob mir dies alles nicht wenigstens sympathisch sei:
Sie lächelten sich zu und begannen das – (Ballett-) – Training. – Die Tattoos wogten über den Muskeln. – Juno spannte den Körper an, fing an zu fliegen.
Oder wenn Hefter die Schuhe einer Frau beschreibt, die ihr im Supermarkt auffällt:
Die dicken Tatzen eines unbeholfenen, rührenden Monsters aus einem Comic.
Auch ihrem nahezu völlig gelähmten Mann, den sie tagtäglich pflegt, gönnt sie solche, meist erinnerten Momente:
Jupiter hatte getanzt und getanzt, sein Sturmauge war herumgewirbelt.
Oder, schon zu Anfang, wo der Mann versucht, aus dem Bett zu kommen und sich aber helfen lassen muß:
Man muß nur kurz die Erde anheben, sagte Jupiter mal, es ist nicht so schwer.
Doch letztlich durchzieht die Regression das gesamte Buch; für Regredierte ist es eben auch geschrieben. Genau das wird seinen weitren Erfolg begründen, die Jury hat da schon recht. So daß es Clemens Meyer kein sehr gutes Zeugnis, auch nicht seinem deutlich durchgebildeteren Kopf, ausstellt, daß er nach der diesjährigen Preisentscheidung derart schäumend entgleist ist. Mir tut es geradezu körperlich weh, wenn sich ein Großes vor einem sehr viel Kleineren zum Altweltaffen macht. Es hätte der Kollege einfach mal bedenken sollen, für was dieser Deutsche Buchpreis gegründet worden ist – nämlich, dem Buchhandel einen deutschsprachigen Bestseller zu liefern, den man mangels Masse sich halt selber auspreist. Deutsche 600-Seiten-Romane gehören eher nicht dazu, und zwar schon deshalb nicht, weil sie selbst dann zuviel Zeit in Anspruch nehmen, wenn sie geschrieben sind, wie es Johannes Mario Simmel einstens tat. Es muß doch wieder Platz werden, spätestens jahrdrauf. Da sollte das Buch des Vorjahrs längst vergessen sein. Product placement ist das Gebot. Einmal abgesehen davon, daß zur Kandidatur nur Romane eingereicht werden dürfen, die von den eigenen Mitgliedern, denen des Börsenvereins des Deutschen Buchhandels nämlich, verlegt worden sind. Alle anderen sind ausgeschlossen. So gesehen, handelt es sich um eine Selbstfinanzierungskiste – weshalb von einem »besten Roman« sich’s sowieso nicht sprechen läßt. Selbstverständlich weiß das allgemeine Publikum das nicht; wird also Zeit, daß jemand es mal sagt. Mithin fürs Product placing ist Martina Hefters Buch ideal. Da ist, was ich hier kritisch anzumerken habe, geschweige Meyer hat derart sich ereifern lassen, ohne irgend noch Belang
- und zwar auch dann, wenn ich jetzt moralisch werde:
Da die beiden Hauptpersonen des Buches, Martina Hefter quasi selbst, doch eben auch ihr leidender, schwer behinderter, schwerbelasteter Mann, jederzeit klar zu erkennen sind – Indiz reiht sich hier an Indiz –, kommt mir manches in dem Buch fast mißbräuchlich vor. Jedenfalls empfinde ich es so, und zwar auch dann, wenn im angehängten »Dank« von ihm vermerkt wird, »den Gedanken sogar schön« gefunden zu haben, er könne hier und da mit der Romanfigur Jupiter verwechselt werden. Ich kenne ihn, in diesem »Dank« wird sogar sein richtiger Name genannt, und wenn mir nun erzählt wird, er könne nicht mehr allein auf die Toilette gehen, bekomme ich sofort ein Bild vor Augen, das mich mit Pein erfüllt – und mit, was beinah schlimmer ist, Mitleid. Und auch ich werde, wenn auch leise, wütend, weil diese Autorin das Grundgebot der Romandichtung nicht nur nicht be-, sondern grob mißachtet hat: mit größter Fantasiearbeit den Geliebten bis in die Unerkennbarkeit zu verfremden. Nur, wenn er selber später sagen würde, schaut mal, das bin ich, läge es in der Verantwortung eines Autors, einer Autorin nicht länger. Statt dessen wird die Erkennbarkeit durch Hefter mit ihrer Schwärmerei für Lars van Triers Melancholiakitsch noch klebrig unterschmiert; über den Film selbst habe ich deutlich anderswo geschrieben, ich wiederhole es hier nicht. Doch die Formel Melancholie + Regression = Kitsch paßt auf unsre Zeitläuft’ grauslich genau, jedenfalls im Westen; hinzu ließe sich Dekadenz noch addieren. Zusammengenommen ergibt es einen Bestseller.
Ich gönne Frau Hefter das Geld, möchte ihr schlechtes Gewissen aber nicht haben. Denn auch das ließe sich denken, daß sie eben doch sehr scharf gedacht, nämlich kalkuliert, das Buch zielgruppenrichtig ausgefüttert und somit direkt auf den Preis hinkonzipiert hat. Selbst die Stilschwächen könnten dann absichtsvolle sein. Doch mag ich den Macchiavell denn doch nicht in ihr glauben. Sondern sehe die glückliche Tänzerin, die unglücklich mit dem von ihr so gesehenen »Rassismus« ihrer geliebten Ballette konfrontiert ist und ihres Mannes wegen in einer Trauer leben muß, der sie, um ihr nicht Übermacht zu geben, nicht erlauben durfte, von ihrem Buch wirklich ein Teil zu sein. Und sehe sie zuweilen aus ihrem tiefsten Innern weinen, heimlich, damit ihr Mann nicht auch noch das zu tragen hat. Ein gutes Buch zu schreiben, indessen, das hätte es getragen. Und indem ich nun da_rüber nachdenke, beginne ich, den diesjährigen Deutschen Buchpreis _tragisch zu finden. Und lege ihn mit Martina Hefters eigenen Worten möglichst gleich beiseite:
Es sind vielleicht drei Minuten vergangen. Das Licht legt in diesem Zeitraum eine Strecke von 54 Millionen Kilometern zurück. – Wie unerheblich diese drei Minuten mit den Jungs am Fenster am Ende doch sind, denkt Juno. Man kann sie getrost ins Vergessen entlassen.
(Meine Rezension wurde vor dieser nächsten Preisverleihung geschrieben; so sind noch zwei Anmerkungen nötig.)
Das eigentlich Problem an zu, sagen wir, Unrecht vergebenen Literaturpreisen ist übrigens nicht die Preisentscheidung selbst; die läßt sich gut verkraften. Sondern derart ausgezeichnete Leute werden fortan zu Meinungsmacherinnen und Meinungsmachern selbst und bestimmten ihrerseits dann Preisentscheidungen mit. Zum Beispiel werden sie in Anzeigen und auf Buchrücken zitiert. Schon rutscht die Literatur mehr und mehr vom Niveau. So gesehen hatte Clemens Meyers peinliches Eifern nicht nur narzisstische Gründe; dies ist ihm wahrscheinlich zugute zu halten. Optimistisch interpretiert, könnte genau das zumindest ein Nebenmotiv dieser nun bayerischen Preisentscheidung gewesen sein, auch wenn die Jury sich hat erst einmal durch einen ganzen Berg von Kandidatinnen und Kandidaten kämpfen, also sehr viel Lesezeit in ihrer schriftlichen Gegenwart verbringen, müssen. Eine Betrachtung, deren Nüchternheit mich nicht nur pragmatisch erlöst, weil sie zwar nicht die Krähen selbst schützt, aber ihre Augen.
Letzte Änderung: 12.11.2024 | Erstellt am: 11.11.2024
Martina Hefter Hey guten Morgen, wie geht es Dir?
Roman
Geb., 224 Seiten
Klett-Cotta, Stuttgart 2024
22,00 €