Bilder von Amerika

Bilder von Amerika

Der Fotograf Thomas Hoepker
 | © Thomas Hoepker

Es gibt Tagträume, die werden gegen alle Realität weitergeträumt. Dazu gehört Amerika: das Land der unbegrenzten Möglichkeiten, der Freiheit und Demokratie, und das Land, das jedem die Karriere vom Tellerwäscher zum Präsidenten erlaubt. Der ehemalige Stern-Fotoreporter Thomas Hoepker, der lange in den USA lebt, hat die Bilder seiner letzte Kreuz- und Querfahrt durch den Kontinent in einem edlen Band dokumentiert, den Freddy Langer herausgegeben hat. Martin Lüdke hat ihn betrachtet.

„The Way It Was. Road Trips USA“

Ein Fotobuch, aus dem Steidl-Verlag. Das heißt: Perfekt, aber auch liebevoll zusammengestellt, obwohl ich mir, in diesem Fall, einige zusätzliche Angaben, so die Entstehungsdaten der Fotos, noch gewünscht hätte. Kenntnisreich, auch informativ die Einleitung von Freddy Langer, Redakteur im Feuilleton der FAZ, aber (warum? das fragt sich) nur auf Englisch. Keine weiteren Angaben zu den Bildern. Und trotzdem, für jeden, dessen Bild von Amerika wenigstens noch Reste von seinem einst utopischen Glanz behalten hat, ein unverzichtbares Bilderbuch.

Vor der untergegangenen Sonne, einem letzten nur noch blass gelblichen Licht hinter der Hügelkette auf der anderen Seite der Bay von San Francisco zieht sich in voller Länge die Golden Gate Bridge über die gesamte Bildfläche. Der Westen leuchtet noch, aber bald wird das Licht endgültig verschwinden. Es ist nach knapp zweihundert Seiten das letzte Bild dieses Bandes, der vermutlich auch die letzte Publikation bleiben wird, die Thomas Hoepker zumindest noch mit verantwortet.

 | © Foto: Thomas Hoepker

Abenddämmerung in Amerika. Ein symbolisches Bild?

Der Fotograf, der am 10. Juni 2022 sechsundachtzig Jahre alt wird, leidet an Alzheimer. Er weiß zwar noch, wie der Auslöser seiner Leica zu bedienen ist, verliert aber zunehmend sein Gedächtnis. Das neue Buch, noch nach seinen Wünschen ausgestattet, in gelbes Leinen gebunden, wurde zusammengestellt von Freddy Langer, einem FAZ-Redakteur und ausgewiesenem Foto-Fachmann. Es zeigt Bilder aus mehr als einem halben Jahrhundert. Von Küste zu Küste, von Nord nach Süd, und alles mehrfach hin und zurück Reportage-Bilder, oft aus den Vorstädten der Städte, die man zu kennen meint. Oft Holzhütten, oft auch schon im Zerfall. Oft Schwarze, die vor ihren Hütten hocken, oft neugierig, wer sich für ihr ersichtliches Elend interessiert. Oft noch mit Hut auf dem Kopf. Es ist eigentlich ein Bild des Jammers. Aber, widersprüchlich genug, ist es auch ein Bild der Hoffnung. Denn nicht das Elend wird hier ausgestellt, sondern viel mehr und viel eher das Bild der Hoffnung, das durch die ersichtlichen ärmlichen, oft sogar erbärmlichen Verhältnisse durchschimmert.

 | © Foto: Thomas Hoepker

Hoepker gelingt etwas Paradoxes: er zeigt im Elend und dem Verfall immer auch etwas von der Hoffnung, von der das Land seit jeher gelebt hat (und die heute langsam zu verschwinden droht). Die Vorstellung vom gelobten Land, das vor allem die europäischen Eiwanderer mit über den Atlantik brachten und der sie und auf ihrem weiten Weg immer nach Westen, immer der untergehenden Sonne folgend, diese Vorstellung schimmert auch durch die Bilder Hoepkers immer noch durch.

Thomas Hoepker

Der ältere Herr, der da am Rand einer Bank sitzt, die Beine übereinandergeschlagen, einen Arm auf die Lehne der Bank gestützt, den anderen auf seine Knie gelegt, ist äußerst korrekt gekleidet, so wie man sich damals, das Bild könnte mehrere Jahrzehnte alt sein, den Schalterbeamten einer Bank vorgestellt hätte, dunkler Anzug, weißes, geschlossenes Hemd, dunkle, korrekt gebundene Krawatte, grauen Hut mit dunklem Hutband, schwarze Schuhe, schwarze Strümpfe, aber nur mit kurzer Hose, die knieabwärts seine auffallend hellen, schon weißen Beine freigelassen hat. Ein ganz normales, aber ebenso kurioses Bild. Wären da nicht die offenbar vor jedem Sonnenstrahl geschützten, hellen Beine, die sich deutlich von ihrer dunklen Umgebung abheben, man würde das Bild glatt übersehen. Dass man es nicht übersieht, das ist, scheint mir, Hoepkers Spezifikum. Der deutsche Fotoreporter, der lange Jahre für den STERN, dann für die berühmte Foto-Agentur Magnum gearbeitet hat, hat im Laufe seines amerikanischen Lebens einen Blick für den Alltag entwickelt, in seiner Banalität, seiner Normalität ebenso wie in seinen exzentrischen Ausprägungen.

Hoepker versteht sich offenbar nicht als Künstler, sondern als Reporter. Er will nicht produzieren, was sein kann, sondern zeigen, was ist. So wirken seine Bilder aus den Vorstädten von, sagen wir, Detroit, obwohl sie den amerikanischen Traum gründlich dementieren, nicht als Anklage, sondern nur als Dokument. Und, paradox, als ein Zeugnis dafür, dass der Traum noch lebt. Hoepker verklärt nichts, aber auch gar nicht in diesen Reportagebildern, und trotzdem lässt er seine Hoffnung immer durchscheinen, die Walter Benjamin einmal auf die Formel brachte: „Nur um der Hoffnungslosen willen ist uns die Hoffnung gegeben.“ Das gilt selbst für den jungen amerikanischen Nazi, der in voller Montur vor einem Hakenkreuz posiert.

Hoepker wurde am 10. Juni 1936 in München geboren. Er hatte den Einmarsch der amerikanischen Soldaten 1945 in Bayern nicht nur bewusst erlebt, sondern, seinem eigenem Zeugnis nach, auch bereits gewusst, zumindest geahnt, dass sie nicht nur als Sieger, sondern auch als Befreier gekommen waren. Das hat offenbar, wie bei vielen seiner Generationsgenossen, sein Bild der USA, vermutlich sogar entscheidend, mit geprägt. Und was in solchen Vorstellungen an Hoffnung eingekapselt ist, schimmert in seinen Bildern durch.

1960 war Thomas Hoepker das erste Mal in die USA gekommen. 1963 hat er seine ersten großen, ausgedehnten Reisen durch dieses Land der unbegrenzten Möglichkeiten gemacht. Seit 1976 lebt er schließlich ganz in Amerika. Und vor zwei Jahren, 2020, ist er, wahrscheinlich zum letzten Mal, kreuz und quer durch die Vereinigten Staaten gereist, mit vielen farbigen Fotos als Ausbeute. Bunt ja, aber die meisten, ohne dass Menschen darauf zu sehen sind.

„The Way it was. Road Trips USA“ wirkt als Vermächtnis. Das Buch zeigt, wie es war, dieses Land, ungeschminkt, ungeschönt. Aber es zeigt dahinter auch, was es hätte werden können. Und, nicht nur auf dem letzten Bild, was daraus geworden ist. Eine untergehende Hoffnung.
 

The Way It Was | © Foto: Thomas Hoepker

Letzte Änderung: 02.06.2022  |  Erstellt am: 26.05.2022

The Way It Was. Road Trips USA | © Thomas Hoepker

Freddy Langer (Hrsg.), Thomas Hoepker The Way It Was. Road Trips USA

192 S., geb.
ISBN-13: 9783969990810
Steidl Verlag, Göttingen 2022

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