Poema para Yolanda Carmen

Poema para Yolanda Carmen

Gedichtfantasie
Oil painting of a woman | © Yonah L. Marks

In der Reihe Gedichtfantasie antwortet Diego Valverde Villena mit seinem Poema para Yolanda Carmen auf Lope de Vegas berühmtes Sonett Un soneto me manda hacer Violante – eine poetische Zeitreise, die zwei Stimmen über Jahrhunderte hinweg miteinander ins Gespräch bringt. Es ist, als würden sich Dichter durch die Zeit hinweg zunicken: wissend, dass sich manches nie ändert – etwa die Bitte einer Geliebten, ein Gedicht zu schreiben.

Lope de Vega – einer der großen Klassiker des Siglo de Oro – schrieb sein Sonett an Violante um 1610: ein witziges, kunstvolles Spiel mit Form und Erwartung, in dem der Dichter scheinbar nebenbei zeigt, wie mühelos er selbst die strengsten Regeln der Poesie beherrscht. Mit leichter Ironie führt er die Lesenden durch das Sonett und macht das Schreiben selbst zum Gegenstand des Gedichts.

Vier Jahrhunderte später greift Diego Valverde Villena – ein peruanisch-spanischer Lyriker, der für seine intertextuellen und vielsprachigen Gedichte bekannt ist – diesen berühmten Auftakt auf und verwandelt ihn in eine sehr persönliche lyrische Antwort. In seinem Poema para Yolanda Carmen bleibt vom heiteren Spiel kaum etwas übrig – stattdessen lodert Leidenschaft, Zweifel, Hingabe.

Denn für Valverde Villena ist Dichten kein bloßes Kunsthandwerk, sondern ein riskanter Akt: Wer ein wahres Gedicht schreiben will, muss den eigenen Gefühlen und Erinnerungen gefährlich nahekommen. Man muss sich, wie Diego es sagt, selbst in das Gedicht begeben.
So begegnen sich zwei Texte, der eine streng gebaut und heiter, der andere offen und leidenschaftlich. Und doch sind sie durch ihren gemeinsamen Ursprung und ihr poetisches Anliegen verbunden.

Zunächst präsentieren wir Ihnen die beiden Gedichte in Originalsprache und dann in der deutschen Übersetzung.

Lope de Vega – Un soneto me manda hacer Violante (Original)

Un soneto me manda hacer Violante,
que en mi vida me he visto en tanto aprieto;
catorce versos dicen que es soneto;
burla burlando van los tres delante.

Yo pensé que no hallara consonante
y estoy a la mitad de otro cuarteto;
más si me veo en el primer terceto,
no hay cosa en los cuartetos que me espante.

Por el primer terceto voy entrando,
y parece que entré con pie derecho,
pues fin con este verso le voy dando.

Ya estoy en el segundo, y aun sospecho
que voy los trece versos acabando;
contad si son catorce, y está hecho.

Lope de Vega – Ein Sonett verlangt Violante von mir (Übersetzung)

Ein Sonett verlangt Violante von mir,
nie war ich so in die Enge getrieben;
in vierzehn Versen, heißt`s, ist ein Sonett entschieden;
und halb scherzend steh’n die ersten drei schon hier.

Ich dacht’ erst kein Reim bring ich zu Papier,
doch schon das halbe Quartett geschrieben,
sind nur noch die Terzette verblieben,
wird das Quartett schließlich mein Revier.

In den ersten Dreiklang tret’ ich ein,
und scheinbar hab’ alles gut gemacht,
denn vollendet ist auch dieser Reim.

Schon bin ich im zweiten, wenn auch mit Verdacht,
mit dreizehn Versen soll’s bald zu Ende sein
und Vierzehn sind’s, wie gedacht – es ist vollbracht.

Diego Valverde Villena – Poema para Yolanda Carmen (Original)

Un poema me mandas otra vez, Violante
o bella Yolanda, que eres la misma con distintos
nombres, y yo, con diversos cuerpos, soy el mismo.

¿Qué es un poema, Yolanda?
Llevo años dudándolo, y espero la respuesta
de ti, que llevas canto y jardines en el nombre.
No sé si es poema siempre palabra
o tal vez acción en que me juegue la vida:
encaramarme en tus pestañas,
sumergirme en tus ojos,
asomarme a tu perfil, azorado y acezante,
cruzar audaz tu rostro
en el que infantiles pecas simbolizan
un campo minado, donde entrar es fácil y salir dudoso.
¿Un símil muy guerrero?
En arte y vida, si son ciertos,
siempre está la vida en juego.
Vuelvo entonces a tu rostro, donde atrapados quedan
mis ojos, sin poder moverse, quietos.

Un poema me mandaste hacer, Violante:
un poema no lo hace una estrofa,
cierto metro o un adjetivo nuevo.
Sólo mira si estoy dentro, y está hecho.

Diego Valverde Villena – Gedicht für Yolanda Carmen (Übersetzung)

Ein Gedicht fragst du an erneut, Violante
oder schöne Yolanda – du bist dieselbe mit anderen
Namen, und Ich – mit wechselnden Körpern – bin derselbe.

Was ist ein Gedicht, Yolanda?
Seit Jahren frage ich mich das und warte auf Antwort
von Dir, die Gesang und Gärten im Namen trägt.
Ich weiß nicht, ob Gedicht immer Wort ist,
oder vielleicht Tat, in der ich mein Leben riskiere:
mich an Deinen Wimpern emporzuwagen,
in Deine Augen einzutauchen,
Dein Profil zu erhaschen – aufgeregt und atemlos,
Dein Gesicht kühn zu durchqueren,
in dem kindliche Sommersprossen ein Symbol sind
für ein Minenfeld, das leicht zu betreten und schwer zu verlassen ist.
Ein zu kriegerischer Vergleich?
In Kunst und Leben – wenn sie wahr sind –
steht immer das Leben auf dem Spiel.

Also kehre ich zurück zu Deinem Gesicht,
in dem meine Augen gefangen bleiben – in Stille, ohne Kraft sich zu bewegen.

Ein Gedicht fragtest du an von mir, Violante:
ein Gedicht entsteht nicht durch eine Strophe,
ein bestimmtes Versmaß oder ein neues Adjektiv.
Sieh nur nach, ob ich darin bin – und es ist vollbracht.

Aus dem Spanischen von Liam Grunsky

Letzte Änderung: 13.06.2025  |  Erstellt am: 06.06.2025

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