Von Oktopussen, Träumen und dem verlorenen Paradies

Von Oktopussen, Träumen und dem verlorenen Paradies

Zur aktuellen Malerei von Ankalina Dahlem
Ankalina Dahlem: Octopus rides, 2023, Acryl auf Leinwand, 165 x 125 cm

Der Traum ernährt die Poesie, aber auch die Malerei. Und weil er uns nicht verfügbar ist, können wir oft nicht unterscheiden, ob es sich um einen Albtraum oder einen Glückstraum handelt. Zumeist erinnern wir uns an die Reste eines unheimlichen Geschehens, das für eine Künstlerin wie Ankalina Dahlem auf zwei Dimensionen übertragbar ist. Isa Bickmann hat genauer hingesehen.

Der Oktopus ist ein besonderes Tier, berühmt für seine Intelligenz und Lernfähigkeit. In seinem Körper schlagen drei Herzen, und sein Blut ist blau. Er besitzt neun Gehirne, ein zentrales und in jedem der acht Arme ein weiteres. Seine Körperteile können nachwachsen. Der Oktopus ist ein „alter Freund“, wie Ankalina Dahlem ihn liebevoll nennt, der als freundlicher Wächter und hilfsbereites Lebewesen in ihren surrealen Bildwelten auftritt. Seine Fähigkeiten machen ihn zu einem gleichwertigen Partner der menschlichen weiblichen Bildfiguren. So setzt die Künstlerin auf ein positives Bild des Tieres, nicht wie Jules Verne und andere, die es als Seeungeheuer darstellten.

Vögel, Oktopusse, Fische, Hunde, Schlangen, Eulen, Affen, energiespendende Geister und Skelette erscheinen in Dahlems Malerei, die mit einer neuen frischen Farbigkeit auf größeren Formaten aufwartet. Kennt man ihre früheren reduzierten Werke von verhaltenem Kolorit bis hin zu einem milden Schwarz-Weiß, so überrascht nun die grün-blaue Intensität in ihrer Anmutung von Wasserwelten, zu denen die Malerin als begeisterte Schwimmerin und Taucherin eine besondere Beziehung hat. In lasierenden Farbschichten vermittelt sich ein Schweben und Fliegen, das Dahlem als eine Welt der Träume verstanden wissen will. Der transparente Farbauftrag wirkt wie mit Wasser gemalt; er hebt auf das Fluide des Elements an. Hellere Farbe liegt über dunklerer wie ein Schleier, durch den man erst hindurchsehen muss. Dies verstärkt die atmosphärische Leichtigkeit. Die am Pasadena Art Center, der Städelschule und an der Akademie der Bildenden Künste in Karlsruhe ausgebildete Künstlerin liebt die intertropische Konvergenzzone mit ihrer dunstigen Feuchte.

Ankalina Dahlem: To the rescue, 2022, Acryl auf Leinwand, 165 x 125 cm

Tatsächlich vermittelt sich diese Feuchtigkeit in ihren Bildern. Farbtropfen sind über die Bildfläche gelaufen und haben Spuren hinterlassen wie die Tränen einer wasserartigen Flüssigkeit. Mit diesem technischen Mittel scheint sich das der traditionellen Malerei eigene Festhalten eines Bildgegenstandes aufzulösen und zu einer Erzählung zu werden, die unentschieden zwischen einem Kommen und einem Vergehen changiert. Die Farbe liegt mal flächig durchscheinend auf, mal ist sie in raschen radikalen Strichen aufgetragen und erinnert an Schlingpflanzen. Die malerische Geste gleitet in die Abstraktion hinüber, während das Zeichnerische – die Künstlerin beschreibt sich selbst als von der Zeichnung kommend – durchweg präsent bleibt, was sich besonders in den Wolken-Darstellungen zeigt. Es erweckt den Eindruck, als möge sie sich nicht festlegen, ob sie Wolken als atmosphärisch-diffuse watteartige Elemente oder mit wenigen Konturstrichen als Zeichnungen, die an Münder erinnern, darbieten möchte.

In einem Orang-Utan hat die Künstlerin einen weiteren mächtigen Wächter gefunden. Traurig sitzend füllt er die Leinwand aus. Ein Vergleich mit den Affen-Bildnissen von Rosemarie Trockel bietet sich an, die das gestörte Verhältnis zur Tierwelt behandeln möchte, indem sie die Individualität des Tieres darstellt. Bei Dahlem wird der Orang-Utan zum gleichberechtigten Gegenüber, dem ihre Sympathie gilt, mit dem sie sich identifiziert. Hier mag man an die Idee des „Making Kin“, des sich Verwandtmachens, der amerikanischen feministischen Wissenschaftstheoretikerin und Philosophin Donna Haraway, denken. Die „Paradise Lost“ übertitelte Schau Dahlems verweist auf die Paradiessuche, die nie gelingen kann. Dies hat schon Paul Gauguin bei seiner Reise nach Polynesien erfahren müssen, weil es das Paradies wahrscheinlich nie gegeben hat oder es 1891 ohnehin schon längst verloren war. „Making Kin“ bedeutet, eine Symbiose mit der Tierwelt einzugehen, ein Miteinander zu entwickeln, um die Herausforderungen unserer Zeit bewältigen zu können. Dahlem setzt dies auf eine märchenhafte Art und Weise um. So hilft in dem Bild „Diving Deep“ der Junge einem Fisch, seinen Platz zu finden, „Es ist ja manchmal so im Leben, dass man einen Platz finden muss, wo man hingehört“, erklärt die Künstlerin. Die wechselseitige Bestärkung zwischen Tierwesen und Mensch vermittelt sich hier als persönliche Erzählung.

Ankalina Dahlem | © Foto: Alexander Paul Englert

Ankalina Dahlem malt nicht nur, sondern ist auch Schriftstellerin. Sie schreibe Bilder, sagt sie, und male Poesie. Deutlich wird dieser bimediale Zugang in den Gemälden, denn er ist stets ein narrativer. Sie male Träume, erklärt sie, erinnere sich selbst jedoch nie an das Traumgeschehen während des Schlafes. Die Künstlerin kreiert starke symbolhafte Bilder für Gefühle, Sehnsüchte, Befindlichkeiten, Verletzungen. Und diese sind zweifellos persönlich konnotiert, obgleich man sich als Betrachterin hier ebenfalls wiederfinden kann. So treibt die Frau entspannt auf dem Wasser und ist umgeben von Fischwesen, die auch gefährlich werden könnten. Das weiß sie vielleicht, aber sie ist stark oder ignoriert sie. Die Frauen in ihren Bildern sind eins mit den Elementen und der Natur. Was sie über die Ehe denke, sei in dem Bild festgehalten, das eine Braut einem orakelnden Skeletts gegenüberstellt. Dessen Griff in die Kerne einer Melonenhälfte sage voraus, ob es eine gute Verbindung ist oder nicht. Eine Prise Humor würzt die Bildwelt dieser Künstlerin, die in diesem Fall durch intensives Rot heraussticht und von einem grauen Schleier gerahmt wird.

Ankalina Dahlem: The bride, 2021, Acryl auf Leinwand, 160 x 120 cmAnkalina Dahlem: Pipe girl, 2022, Acryl auf Leinwand, 165 x 125 cm

Jüngste Werke verkünden eine Rückkehr zur Reduktion. Eine Frau im grünen Badeanzug steigt aus dem Rauch einer als Bildzitat nach René Magritte lesbaren Pfeife empor wie eine durch die Kunst Wiedergeborene. Ein vorwiegend gleichmäßiger grauer Hintergrund verweigert den räumlichen Bezug. Das Bild eines an Land gezogenen, verlassenen Boots in graugrüner Umgebung benötigt keine weitere Zutat. Es genügt sich selbst. Ankalina Dahlems subjektive Malerei, die sich der Zeit enthoben präsentiert, beherbergt schwebende und ruhende Figuren einer privaten Mythologie. Durchzogen von einem romantischen Geist, der vergleichbar ist mit Peter Doigs ikonischen Motiven, mit dem sie maltechnisch allerdings wenig mehr als die frei herablaufende Farbe gemeinsam hat, nimmt sie die Betrachterinnen und Betrachter auf einen spielerisch-tiefgründigen Ausflug ins Reich des Unbewussten.

Ankalina Dahlem: Lost at sea, 2022, Acryl auf Leinwand, 125 x 165 cm

 
 
Siehe auch:
Aktuelle Ausstellung von Ankalina Dahlem: PARADISE LOST

Univers far von Ankalina Dahlem

Letzte Änderung: 19.04.2023  |  Erstellt am: 19.04.2023

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