Vollendet unvollendet

Vollendet unvollendet

Überlegungen zum Werk von Nicole van den Plas
Collage (Fine Art Prints), 14,8 x 19,5 cm, 2020

Nicole van den Plas wurde im belgischen Mol geboren und arbeitete als Lehrerin bis 1970 in Tongeren und Balen. Schon in Belgien war sie auch Pianistin und Instant-Komponistin im eigenen Quartett. Ab 1971, nach ihrer Übersiedelung nach Frankfurt am Main, spielte sie mit Alfred 23 Harth und Sven-Åke Johansson und, nach ihrem Studium an der Städelschule, entwickelte sie eigene Methoden als Künstlerin, die hier von Marion Victor vorgestellt werden.

Die verschiedenen Sprachen in diesem Katalog sind die Fotografie, das Zeichnen, Malen

L’ABBÉ MOLL EN IK ist der Titel des Ende 2021 erschienenen Buches von Nicole van den Plas. Es ist das zweite Buch mit diesem Titel der belgischen und seit 50 Jahren in Frankfurt lebenden Künstlerin. Das erste erschien 2016 anlässlich einer Ausstellung AusstellungsHalle Schulstraße 1A in Frankfurt-Sachsenhausen ebenfalls im KANN Verlag. Unterstützt wurde das neue Buchprojekt von der Frankfurter Künstlerhilfe. Noch deutlicher als der erste Band ist das neue Buch nicht nur ein Katalog mit Abbildungen ihrer Werke sondern eine eigenwillige Form des tagebuchähnlichen Künstlerbuches. Sie hat es weitgehend selbst gestaltet, die Texte und Abbildungen selbst zusammengestellt. Das Ganze ist eine Collage, denn „Die Summe der menschlichen Weisheit ist nicht in einer einzelnen Sprache enthalten. Und für sich ist keine Sprache fähig, alle Formen und Abstufungen des menschlichen Fassungsvermögen auszudrücken.“ Diesen Satz Ezra Pounds zitiert Nicole van den Plas und beschreibt damit auf den ersten Seiten auch ihre eigene Vorgehensweise. Ihre verschiedenen Sprachen in diesem Katalog sind die Fotografie, das Zeichnen, Malen, (die Musikerin Nicole van den Plas fehlt hier naturgemäß leider) und auch die Integration von Bildern und Texten, Fundstücken, die sie in sich aufgenommen und verarbeitet hat. Im Zwiegespräch mit L’Abbé Moll, einer weiteren Facette der Künstlerin, scheinen Reflexionen über die Rolle des Zufalls, die Bedeutung der Beiläufigkeit auf. Der vielschichtige Prozess einer nicht enden wollenden Entstehung wird sichtbar.

Das Buch beginnt mit einer Reihe von alten Familienfotos, ihnen folgt ein igitur, ein also dann: – und das sind erst einmal eine Reihe von Porträts, die an dieser Stelle auch als Selbstporträts gelesen werden können.

Das erste von ihnen ist ein Tondo von 2018. Es hat nur einen Durchmesser von 9,5 cm. Zu erkennen ist das Brustbild eines Menschen; es könnte genauso gut ein Mann wie eine Frau sein. Das Alter lässt sich ebenfalls nicht eindeutig festlegen. Erinnerungen an Selbstbildnisse Dürers wie auch an Rembrandts tauchen auf. Das helle Gesicht wird von dunklen bis auf die Schulter reichenden Haaren gerahmt. Auf dem Kopf die Andeutung eines Barretts. Am unteren Rand die beiden Hände, die im Verhältnis zum Kopf etwas zu groß sind. Sie scheinen im Vordergrund zu liegen und rücken somit den Kopf in eine größere Distanz zum Betrachter. Gleichzeitig aber scheinen die Augen den Betrachter zu fixieren und stellen damit das Spiel mit Vorne und Hinten in Frage. Der Grund für die Aquarellzeichnung ist ein schwarzweißer Fine Art Print von einer Rötelzeichnung aus dem Jahr von 2011. Darüber liegen blasse Pinselstriche, die dem Körper Volumen geben. Während die Farbgebung der Figur sich auf verschiedene Grautöne beschränkt, ist der Hintergrund mit einem transparenten ockerfarbenen Ton ausgefüllt. Weder der Kohlestift noch der Pinsel scheinen eine scharfe, eindeutige Kontur zu suchen, sondern sie eher zu verwerfen. Das Unbestimmte wird so zum Ergebnis. Die Suchbewegung wird gezeigt. Das Endgültige einer Kontur wird nicht angestrebt. Auf diese Art der Selbstbefragung gibt keine eindeutige Antwort, denn die Figur entsteht aus den damit sich ergebenden Möglichkeiten. Diese Bestimmtheit im Unbestimmten wird noch dadurch unterstrichen, dass Nicole van den Plas dieses Motiv zwischen 2011 und 2021 immer wieder aufgenommen und variiert hat.

Tondo, Fin Art Print, Aquarell und Bleistift, 2018, Durchmesser 9,5 cmo. T., Pigmentdruck 2016 Bleistift auf Papier, A4, 2018Fine Art Print [Rötelzeichnung] von 2011 , Aquarell, Karbonstift, Kreide, 2021, Durchmesser 9,4 cmFine Art print (Rötel/Zeichnung 2011) 2021, Durchmesser 10,2 cm o.T., Bleistiftzeichnung, 23 x 16,6 cm, 2017

Eine Reihe von Schwarz-Weiß-Fotografien der großen Düne Hoge Blekker an der belgischen Küste erinnert mich vor allem an eine Zeichnung, die ungefähr 23 Jahre früher entstanden ist, obwohl die Landschaftsmotive ganz unterschiedlich sind. Die Fotografie wird von zwei verschiedenen Strukturen beherrscht. Da sind zum einen die von links oben nach rechts unten parallel hinter- oder übereinander abfallend verlaufenen Linien des hohen Hügels und zum anderen die aufrechtstrebenden Stengel, Gräser und Büsche, die die Düne befestigen. Die sich überlagernden Strukturen bilden einen Rhythmus ab. Das Gefühl für rhythmische Strukturen bestimmt auch die Zeichnung von 1995. In beiden Arbeiten gibt es die große abfallende Diagonale, in der Mitte eine gleichsam in der Fläche sie stützende Senkrechte, sowie Parallelen, die ein kompositorisches Gleichgewicht herstellen.

Fotografie Hoge Blekker Koksijde, 2018

Aber auch mit Farbe nimmt Nicole van den Plas das Thema Landschaft auf. Vor allem das Aquarell kommt hier zum Einsatz. In der Umkehrung zu unseren Sehgewohnheiten stehen im Vordergrund oder in der unteren Hälfte des Blattes blaugrüne Töne, die Assoziationen an Berge erwecken, während im oberen Teil, im Himmel, Braun- und Ockertöne vorherrschen. Durch eine lasierende Technik, in der durchscheinende Farbschichten übereinanderliegen, sind die obere und untere Bildhälfte miteinander verbunden. Voraussetzung dafür, dass die Farbschichten sichtbar bleiben, ist ein langsames, behutsames Arbeiten, das dem jeweiligen Farbauftrag Zeit zum Trocknen gibt. Gleichzeitig kommt hiermit eine suchende Arbeitsweise wie bei den Porträts zum Ausdruck, die der Unschärfe Raum gibt.

Ein weiteres Beispiel für ihre Landschaften ist eine Collage aus drei verschiedenen Fine Art Prints von Zeichnungen, die übereinander geklebt sind. Die drei Schichten sind durch ihre unterschiedliche Farbgebung zu identifizieren. Die unterste Schicht wird von einem bräunlichen Ton, die darüber liegende von einem hellblauen Ton, und die oberste Schicht in der unteren Hälfte des Blattes wieder von einem bräunlichen Ton beherrscht. Die einzelnen Drucke sind verschiedene Fehldrucke, die neu zusammengesetzt so eine gerade bei all ihrer Fehlerhaftigkeit und zufälligen Unvollkommenheit etwas Neues, Zartes und ganz Vollendetes ergeben. Es zeigt sich: Nicole van den Plas ist eine Meisterin des unvollendet Vollendeten.

Aquarell auf Ingres-Papier, 2006, 22 x 11 cmCollage (Fine Art Prints), 14,8 x 19,5 cm, 2020Abb. 2. (aus Katalog 2016: L’ABBÉ MOLL EN IK I) o.T., Kohlezeichnung auf Ingres-Papier, 1995, 16 x 24 cm;

Das neue L’ABBÉ MOLL EN IK von Nicole van den Plas ist ein Buch zum Lesen, Schauen, Stöbern, Vergleichen und Entdecken. Die Subtilität dieser Arbeiten allerdings erschließt sich ganz erst vor dem Orignal. Wann und wo findet die nächste Ausstellung statt?
 
 
 

Alle Abbildungen: © Nicole van den Plas

Letzte Änderung: 06.04.2022  |  Erstellt am: 02.04.2022

L'Abbé Moll en ik

Nicole van den Plas L'Abbé Moll en ik

160 S., 300 Abb.
ISBN: 978-3-943619-41-6
KANN-Verlag, Frankfurt am Main 2016

Texte von Nicole van den Plas (Hrsg.), Gerald Domenig, Klaus Görner, Edmond van Lierde und Jutta Schütt

Hier bestellen
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Kommentare

Frank Köhler schreibt
Ja, "Vollendet unvollendet" beschreibt in der andeutungsweisen Vorstellung Marion Victors von L'ABBÉ MOLL EN IK Kunst und Künstlerin recht treffend. Angesichts der Geheimnisse in Nicole van den Plas' vielschichtigen Werken und der von Marion Victor auf Seite 10 gezeigten Landschaften fühlte ich mich an das Montagne Sainte-Victoire in den See-Alpen erinnert, und in den Felsen und dem sie umtosenden Meer tauchten auch wieder zart verstörend Figuren und die geheimnisvollen Gesichter auf. Man darf auf Weiteres gespannt sein und sich der Frage anschließen: "Wann und wo findet die nächste Ausstellung statt?" fk

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