Raumkunst
Sein unbequemes Werk teilt sich auch ohne große Erklärungen den Betrachtern mit, und zwar auf der Empfindungsebene: Gregor Schneider ist Raumkünstler und Professor für Bildhauerei an der Akademie der Bildenden Künste in München. Auf der Mathildenhöhe in Darmstadt zeigt er nun Räume, Objekte und Fotografien. Isa Bickmann hat die Ausstellung besucht.
Mies van der Rohe war ein Schüler von Peter Behrens, Mitglied der Künstlerkolonie auf der Mathildenhöhe und als Architektur-Autodidakt Erbauer des Hauses Behrens. Dieses ihm bislang unbekannte Faktum fasziniert Gregor Schneider. Er selbst hatte nämlich eine seiner ersten wichtigen Ausstellungen im Museum Haus Lange in Krefeld, jenem von Mies van der Rohe entworfenen Bau. Weltweit bekannt wurde der Künstler, als Udo Kittelmann ihn 2001 für den Deutschen Pavillon nach Venedig holte. Die Transferierung des von ihm seit 1985 bearbeiteten Hauses u r (für Unterheydener Straße in Rheydt/Mönchengladbach) nach Venedig brachte ihm den Goldenen Löwen. Als Besucher der Biennale dachte man damals, dass sein Einbau eigentlich die einzig angemessene Art und Weise sei, mit der faschistoiden Architektur des Pavillons umzugehen, obwohl das Haus u r freilich schon existierte, bevor an eine Einladung Schneiders gedacht worden war. Die kleinbürgerliche Nachkriegsarchitektur aus Rheydt mit ihren engen Räumen konnte einem beim Bekriechen und Auf und Ab im Pavillon den Atem nehmen. Erinnerungen aus der eigenen Kindheit trieben geradezu durch die Räume. Man schwankte zwischen einer seltsamen Faszination an der klaustrophischen Stimmung des Einbaus und einem Fluchtdrang.
Nun bespielt Schneider als Wilhelm-Loth-Preisträger die Bildhauerateliers des von Joseph Maria Olbrich erbauten Museums Künstlerkolonie. Er zeigt im Jugendstilgebäude Ausschnitte aus seinem überaus reichen Werk und hat eine Schau zusammengestellt, die Kernelemente seiner Arbeit vorstellt als auch Rückschlüsse und das innere Beziehungsgeflecht seines Œuvres offenbart. Dabei erschließen sich zudem zarte Verbindungslinien zur Geschichte und Sammlung des Hauses.
Um in die Bildhauerateliers im Gebäude des Museums Künstlerkolonie zu gelangen, muss man eine Treppe hinabsteigen; man könnte man fast meinen, man ginge in die Unterwelt. Bereits hier im Treppenhaus steigt Schneider ein, indem er eine Geschichte in Fotografien erzählt: Ein Haus. Es wird betreten. Eine Tür, die geöffnet wird. Man blickt durch den Türspalt in das Dunkel des „Total isolierten Raumes“. Diese Fotografien sind mehr als bloße Dokumentation eines Raumobjektes, das 1989 in Giesenkirchen entstand. Es ist künstlerische Fotografie in all ihrer für Schneider typischen minimalistischen Sprödheit, die doch gleichzeitig höchst suggestiv in die Räume hineinzieht.
Am Fuß der Treppe angekommen, erblickt man einen Heizkörper, der vorgibt, zum Raum zu gehören, aber als Ausstellungsobjekt aus Rheydt kommt. Ein leicht ranziger Geruch steigt auf. Steckt da nicht zwischen den Rippen ein Stück getrocknete Schweineschwarte? Räume riechen. Diese Wahrnehmung ist elementar. Kindheitserinnerungen sind mit Gerüchen verbunden, doch die olfaktorischen Faktoren des Schneiderschen Werkes blieben in der Rezeption bislang weitgehend unberücksichtigt.
Dann betritt man (nur zwei Personen sind zugelassen) die oberen Bildhauerateliers, in denen sich zwei Isolationszellen befinden. Schneider hat sich anhand von Fotos mit den Internierungslagern in Guantánamo auf Kuba beschäftigt und Zellen nachgebaut (erstmals gezeigt unter dem Titel WEISSE FOLTER in der K20K21 Kunstsammlung Nordrhein-Westfalen, Düsseldorf 2007). Man betritt eine der Zellen, plötzlich fällt die Schiebetür zu, und man ist mit der aseptischen Klarheit des Raumes, mit der Edelstahltoilette und dem spartanischen Bett allein. In den im Rundgang darauf folgenden unteren Bildhauerateliers geht es noch einmal in einen Raum: die „Liebeslaube“ aus dem Rheydter Haus u r (Rheydt 1995, Venedig 2001) ist allerdings nur in kriechender Haltung zugänglich. Sie kommt als ein Raum im Raum, mit weiteren Ausstellungsobjekten, Videos („Familie Schneider“, London 2004), Fotografien und einem hochglänzenden Cryo-Tank zusammen.
Schneider sagt, er sei kein politischer Künstler, und doch kann man die Ausstellung der Isolationszellen und des Cryo-Tanks, in dem Menschen (mit entsprechendem Kleingeld) sich einfrieren lassen können, in der Hoffnung, dass die Zukunft die Heilung von Krankheiten und ein verlängertes Leben bringt, sehr wohl als politisch verstehen. Besonders dann ist er politisch, wenn Tabus wie Folter, Schmerz, Sexualität und Tod benannt werden. Den Kauf und die darauf folgende Dekonstruktion von Goebbels Geburtshaus in Rheydt begleitete eine intensive Recherche, die noch nicht abgeschlossen ist – auch in Empörung über die Gleichgültigkeit der Stadt und seiner Bürger. Als Besucher seiner Ausstellungen kann man sich nicht einfach auf eine passive, bequeme Haltung zurückziehen.
Die Darmstädter Ausstellung stellt vor allem Schneiders Fotografien in den Mittelpunkt. Der Museumsleiter und Kurator Philipp Gutbrod sieht sie im Kontext von Bildhauerfotografien seit Medardo Rosso, Constantin Brâncu?i und Hans Bellmer. Dazu hat der Künstler ein Katalogbuch gestaltet, das mit klarem, sachlichen Layout in seine Raumwelt einführt.
Darüber hinaus bietet die Schau noch einige an Tabus rührende Exponate an, die selbst den Kurator erröten lassen. Er weigerte sich zumindest, die in der Ausstellung und in der Jugendstil-Sammlung verteilten Objekte näher zu kommentieren: „Schwanz im Eimer“ (bestehend aus Stuck, falschem Haar und Vaseline) und „Karton“ (2 Puppen, 2 Schwänze, 4 gelbe Steine, 4 weiße Steine, 1 Hand). Auch wenn sie oberflächlich als Reste von Baumaßnahmen, als Abfall, daherkommen, bringen sie offensive sexuelle Konnotationen mit sich. Damit öffnet sich ein Gedankenraum, der ähnlich wie die gebauten Räume eine vibrierende Beunruhigung hinterlässt und mit dem Mysterium vergangener menschlicher Handlungen konfrontiert, ohne dieses Dunkel aufzuhellen.
Gregor Schneider lehnt das Wort „Installation“ für seine Arbeit ab, da es nicht richtig erfasst, was er im Grunde macht: Der Raum ist bei ihm das Werkstück, das er bildhauerisch bearbeitet, in dem er ihn nachbaut, um sich selbst zu vergewissern, wie er sagt, oder ihn in einen neuen Raum verwandelt. Der Ort löst sich auf, er ist nicht mehr mitteilbar. Mit Dämmung oder künstlichem Licht wird die Außenwelt abgegrenzt, schallisoliert. Hier endet das Leben. Zu Recht sagt er, dass die Geschichte der Raumkunst erst noch geschrieben werden muss. Und darin müsste man Gregor Schneider ein großes Kapitel widmen.
Letzte Änderung: 02.02.2022 | Erstellt am: 19.08.2021
Gregor Schneider Fotografien
Herausgeber: Philipp Gutbrod
Festeinband, 108 Seiten, 76 Farbabbildungen
ISBN 978-3-86828-374-7
Kehrer Verlag, Heidelberg, 2015
Kommentare
Es wurde noch kein Kommentar eingetragen.