Eine Ausstellung thematisiert die Sklaverei, den Reichtum, der sich daraus herleitet, und die Schuld, die wir damit geerbt haben. Es geht aber auch um konkretes Material, Readymades und Abstraktionen, Symbole und Reflexionen, die der 1988 geborene, amerikanische Konzeptkünstler Cameron Rowland mit „Amt 45 i“ anbietet. Ellen Wagner versucht eine Annäherung.
Cameron Rowlands „Amt 45 i“ konfrontiert uns damit, dass nicht jede Schuld beglichen, nicht jede Distanz zwischen Erinnerungen, Erfahrungen und Eindrücken überbrückt werden kann – und dass gerade in dieser Erkenntnis vielleicht eine Annäherung an und Anerkennung von Verantwortung in der Gegenwart und Zukunft liegen könnte. Minutiös legt Rowland dar, wie der transatlantische Sklav*innenhandel bis in unsere Jetztzeit, bis nach Frankfurt, bis ins Museum für Moderne Kunst reicht. So hat Rowland die Museumsdirektorin Susanne Pfeffer einen Vertrag unterzeichnen lassen, der eine nie endende, stetig wachsende Verschuldung der Stadt Frankfurt besiegelt. Die Arbeit verweist darauf, dass manche ehemaligen Kolonialmächte nach der Unabhängigkeit ihrer früheren Kolonien von diesen „Entschädigungen“ oder „Ablösen“, etwa für Infrastruktur, forderten – was oft zu stetig wachsender Verschuldung und wirtschaftlicher Abhängigkeit dieser Staaten führte. Nicht weit entfernt zeichnet in der Ausstellung eine Chronik die Stammlinie der 1870 gegründeten Commerzbank über die Jahrhunderte nach. Finanzinstitute, die auch im Kulturbetrieb gern mäzenatisch auftreten, werden als Profiteure einer langen Linie kolonialer Unternehmungen gezeigt (Omission, 2023, erstellt vom Historischen Museum Frankfurt). Die von Cameron und Pfeffer vertraglich besiegelten unbefristeten Schulden belasten Frankfurt als Finanzzentrum und zeigen doch zugleich, wie wenig das eine Leid durch den imaginierten Bankrott – so der Titel der anfangs erwähnten Arbeit – der anderen aufzuwiegen ist oder wäre.
Detailliertes Textmaterial bietet in „Amt 45 i“ Gelegenheit zur Vertiefung in all diese Zusammenhänge. In den Räumen aber dominieren buchstäblich Leerstellen, auffallend große Abstände zwischen Exponaten, die pars pro toto für die Unterdrückung oder auch Selbstverteidigung Schwarzer Sklav*innen auftreten: Webstuhl, Zuckerkessel, ein Häufchen Pfeffer und Salz, ein Seil, eine Hippe, mehrere Eimer, die laut Aufschrift ätzendes Putzmittel enthalten. Mit solchen Substanzen gefüllte Pakete wurden auch für Giftanschläge gegen Halter*innen versklavter Menschen eingesetzt.
Angesichts der institutionskritischen Stoßrichtung der Ausstellung fällt es schwer, in der Platzierung exemplarischer Gegenstände vor klinisch weißen Wänden nicht zugleich eine Hinterfragung dieser Geste – oder unseres Blicks auf die ‚freigestellten‘ Objekte – zu sehen.
Die Werke erscheinen als Readymades einer ausbeuterischen Lebensrealität: So diente der Osnabrücker Webstuhl (Osnaburgs, 2023) der Produktion eines billigen Leinens, das Sklav*innen tragen mussten, um nicht für den Besitz besser gewebter Kleidungsstücke bestraft zu werden. Demgegenüber war das über einen Weg in der Plantage gespannte Seil (Bug trap, 2023) Warnsystem, um im Feld sich versammelnden Sklav*innen anzuzeigen, wenn sich eine berittene Patrouille näherte und über das Seil ins Stolpern geriet. Seasoning (2023) wurde die Foltermethode genannt, zugefügte Wunden mit Salz und Pfeffer einzureiben. Die deutsche Übersetzung des Wortes „race“ als „Rasse“ im begleitenden Essay ist selbst als Teil der Ausstellung ausgewiesen, sozusagen als Readymade einer teils noch immer gebrauchten diskriminierenden Sprache entnommen. Sogar der Ausstellungstitel „Amt 45 i“ ist nur ein anderer Name des Museums für Moderne Kunst, wie es als städtische Behörde geführt wird. Das Amt ist das Museum als Readymade eines institutionellen Alltags, das Zugänge verwaltet.
Das Readymade ist freilich ein Konzept der westlichen Kunstgeschichte, ebenso ubiquitär eingesetzt wie es schnell als bloß illustrierender Stellvertreter eines Kontextes missverstanden wird. Duchamps Readymade steht jedoch weniger noch für den Gedanken, jedes beliebige Alltägliche könne im Ausstellungsraum zur Kunst erhoben werden; vielmehr betonte der Künstler, dass jede Kunst auf den Rückgriff auf „bereits Gemachtes“ angewiesen bleibe; Duchamp habe seine Readymades gar nicht als ‚Kunst‘ sehen, sondern „der Lust, Kunstwerke zu schaffen, ein Ende setzen“ wollen: „Er habe das Objekt ‚gemacht‘, […] keinesfalls, um zu sagen: ‚Ich habe das gemacht und niemand vor mir hat es gemacht.‘“ (so Lars Blunck in Duchamps Readymade, München 2017, S. 55.) Was ausgestellt wird, ist eine Reflexion über das Material, aus dem die Kunst und ihr Diskurs besteht, selbst.
Nun mag diese Verknüpfung mit Blick auf „Amt 45 i“ schief, mögen die Themen und Haltungen Duchamps und Rowlands unvergleichbar miteinander sein. Doch lässt sich mit dieser Herleitung die Readymade-Geste bei Rowland so lesen, dass sie weniger den Mythos des Künstlergenies als die Selbsterzählung aufgeklärter Betrachter*innen destabilisiert. Wie schauen wir ein Kunstwerk, das auf bereits Gemachtem – hier einer von Ausbeutung, Diskriminierung und Erniedrigung von Menschen gegenüber Menschen geprägten Geschichte – ‚besteht‘, eigentlich an? Die Präsentation historisch aufgeladener Werkzeuge und Substanzen als Readymades – kombiniert mit Schriftstücken, die sich vertraglich im Jetzt und in die Zukunft wirkend verorten – fördert eine bestimmte Erfahrung von Zeit und Raum. Wir umrunden die Objekte, treten näher und dann wieder weg, inspizieren Oberflächen. Unser Ausmessen der Distanz, die wir zu den Exponaten und ihren Geschichten haben, mag nicht recht gelingen.
Wirksam verschränkt die Schau zwei räumliche Strategien: das Zeigen ausgewählter Objekte in einem reduzierten Setting zum einen, zum anderen das Öffnen sonst unzugänglicher Treppenhäuser und Aufzüge durch die Büroetagen im Bankenturm bis auf die exklusive Dachterrasse. Besucher*innen können aus der Ausstellung in andere Stockwerke des Gebäudes, das unter anderem Beschäftigte von Barclays, J.P. Morgan und Crédit Suisse beherbergt, fahren und damit eine etwas andere Art von Hinterzimmer des Kulturbetriebs betreten.
Immer wieder werden wir, durch diese Einladung, Wege ‚hinter den Kulissen‘ zu nutzen, aus der Ausstellung geführt, landen vor der Tür, müssen erneut die Treppen erklimmen, um zurück in die Räume zu gelangen. Es ist eine Ausstellung, für die wir mehrfach Anlauf nehmen müssen, die unseren Bewegungsfluss unterbricht. Das Öffnen der Wege erscheint dabei weniger als reine Geste des Zugänglichmachens. Sie verlängert darüber hinaus und mehr noch ein Unbehagen, das uns auch mit der gesteigerten Bewegungsfreiheit im Museum zwischen den Werken befällt. Es ist durchaus Privileg, auf leidvolle Geschichten anderer Menschen in Form von Exponaten blicken zu können.
Die Anstrengung liegt mithin nicht im ‚eigenen‘ Nachvollziehen eines Vergangenen, sondern darin, die körperliche Bewegung durch eine Architektur des Heute zu vollziehen, die weiterhin Rahmen für Geschichten der Privilegierung und Diskriminierung, der Zugehörigkeit und des Ausschlusses bietet. Konkrete geschichtliche Ereignisse, die Gegenstände, die in ihnen eine Rolle spielen, unterdrückend oder ermächtigend, aber auch Privilegien und Benachteiligungen wurden immer schon von Menschen ‚gemacht‘ – aber nicht nur von denen, die vor und nach uns kommen, sondern immer auch von uns selbst, als Handelnden wie Rezipierenden.
Auch Geschichte ist ein Material. Sie kann Objekt werden oder über die Produktion eines Werks hinaus Material bleiben, aus dem Kunst und Gesellschaft etwas ‚machen‘. Die Problematik der Appropriation betrifft dabei nicht nur die Frage, wer aus welcher Perspektive aufgrund spezifischer Erfahrungen etwas äußern kann, das einen Unterschied macht und keine Verlängerung von Asymmetrien bewirkt; sie dreht sich ebenso darum, welche Erfahrungen für jede*n einzelne*n überhaupt nachzuempfinden sein können, welche traumatischen Realitäten für wen vorstellbar oder Teil einer Identität sind – und was im anderen Fall auf sie projiziert wird.
Cameron Rowlands Ausstellung ist dort am stärksten, wo sie genau letzteres verhindert: Wo sie nicht einlädt, Geschichten in Objekte hineinzulesen, sondern auffordert, Wege zurückzulegen. Wege, die eher Um- als Auswege sind, die uns nicht ‚näher‘ an ein Gewesenes rücken, sondern wechselnd zu ihm positionieren, uns wiederholt in die Ausstellung holen, wie eine Aufforderung sie nochmal und nochmal und nochmal anders anzusehen – um sie als äußerst gegenwärtigen Ort zu erkennen.
Siehe auch:
MMK Amt 45i
Letzte Änderung: 30.07.2023 | Erstellt am: 07.07.2023
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