Von den Wellen willkommen geheißen

Von den Wellen willkommen geheißen

Peter Eötvös’ Balladenoper Sleepness
Sleepness | © Staatsoper Unter den Linden/Gianmarco Bresadola

Eine Oper zu erschaffen und plausibel auf die Bühne zu bringen, gehört zu den heikelsten künstlerischen Tätigkeiten. Denn die Oper ist eine Mischform, die ihre unerhört praktischen Seiten anbietet, aber in keinem ihrer Einzelaspekte zu unterschätzen ist. Was in Peter Eötvös’ „Balladenoper Sleepness“ an der Staatsoper Unter den Linden Berlin nicht überzeugt, berichtet Alban Nikolai Herbst.

Die Uraufführung dieses bislang letzten Musiktheaterstücks Peter Eötvös’ liegt anderhalb Jahre zurück; ich war auch ihrerzeit zugegen, entschied mich aber, nicht darüber zu schreiben, um dem 2021 mit 77 Jahren doch recht alten Herrn, den ich überaus achte, keinen Tort anzutun – und dessen Musik ich teils auch liebe. Ich hätte es unangemessen gefunden; so vergaß ich das Stück kurzerhand. Nur deshalb, wiederum, geschah’s, daß ich mir jetzt abermals eine Karte besorgte – und sich meine Bedenken aber noch verstärkten, an die ich unausweichlich erinnert war. Da diese „Opera Ballad“ unterdessen – wenn sie neben großen Bühnen jetzt sogar regionale übernehmen – fast schon ein Erfolgsstück ist, wird es auch niemandem mehr schaden, wenn ich meinen Bedenken doch noch ihren Raum gebe

– die sich am Ende der Oper, in ihrer letzten Szene, ins Ausmaß einer sowohl unerträglichen Peinlich-, schlimmer aber noch Geschmacklosigkeit aufgebläht haben, wenn Alida (die von jetzt auf nu’ – was wir an ihrer grauen Perücke erkennen – alt gewordene Hauptprotagonistin) ins Meer „schreitet‟, um sich umzubringen oder, nach Willen des Librettos, sich mit ihrem schon lange toten Geliebten Aisle, dem Vater des gemeinsamen Kindes, quasi pantheistisch wiederzuvereinen – schon das ein grauslicher Kitsch. Dazu noch die Rauch-, semantisch also Raunmaschine, über deren schweres Gedampfe (es sollen wohl die Wogen sein) sich Biene-Maja-Wölkchen senken. Wenn dann auch noch gesungen wird, die Wellen hießen sie – die Selbstmörderin – willkommen, dann will man eigentlich nur noch, und zwar so schnell wie möglich, weg. Im Originalton des Librettos: „Asle is the blue of the sky, and Alida wades into the sea, as the welcoming waves roll over her.“ Der Regisseur des Stücks versteht dies ‚spirituell‘ als eine „Art transzendenter Sehnsucht nach einer größeren Wahrheit. „Sie will eins sein mit dem Meer, den Wolken und dem Universum.“ So im Programmbuch der Staatsoper. Nicht erst beim Universum klappten sich mir da die Fußnägel hoch.

Sleepness | © Foto: Staatsoper Unter den Linden / Gianmarco Bresadola

Doch eben schnell die Grundgeschichte: Der fahrende Fiedler Aisle und seine hochschwangere Freundin Alida finden nirgendwo einen Ort, an dem sie bleiben dürfen; sie werden überall abgewiesen. Um weiterzureisen, eines Bootes halber, bringt Aisle einen Fischer um und danach, um wenigstens eine Ruhepause zu bekommen, eine alte Hebamme (die der Regisseur sozusagen in den Kühlschrank bitten läßt – auch das komplett absurd) und aber davor noch Alidas gemütskalt aggressive Mutter gelyncht hat. Bei einem Besäufnis der Fischer weigert sich Aisle, einem von ihnen ein Bier auszugeben, der daraufhin dessen Verbrechen denunziert und die aufgebrachte Menge dazu bringt, Selbstjustiz zu üben. Müssen sie nicht, sie bekommen’s auch ohne zu proben trefflich hin. – Wiederum Alida lernt kurz nach dem Tod ihres Geliebten einen Fischer kennen, mit dem sie um ihres Babys willen erst mit-, danach zusammengeht – übrigens (aus sozusagen dem Himmel heruntergesungen) vom tot weiterliebenden Aisle in ihrer Entscheidung bestärkt. Purer Kitsch auch das. Und ohne eine Verwandlungsmusik, die wenigstens den Zeitverlauf andeuten würde, ist der Bub dann schon lange ein Mann und außer Haus, und Alida geht als alte Frau in die See, um zu ertrinken. Vorhang, Ovationen.

Sleepness | © Foto: Staatsoper Unter den Linden / Gianmarco Bresadola

Ein Sozialdrama also, das Schuld – soweit sich von ihr sprechen läßt – auf quasi alle verteilt und schon deshalb tragisch enden muß, weil für einige besser, andere schlecht; besser aber sind die „Bessren‟ letzten Endes auch nicht dran.

Nun wurde dergleichen schon oft auf der Bühne erzählt und wird es immer wieder werden; bloß fragt es sich in diesem Fall, ob die richtigen künstlerischen Mittel gewählt sind, ja welche es überhaupt sein können. Bei einer derart retardierten, wenig gebildeten, oft auch tumben Personage tatsächlich eine mit allen komplexen Kniffen der musikalischen Moderne gewaschene Faktur, wie es Eötvös’ens ist? Ich zweifle dran doch sehr. Ist es nicht Jon Fosses, des Romanciers und Dramatikers, faszinierende Fähigkeit, sein Vokabular an dem seiner Figuren zu orientieren, es nie zu übersteigen und dennoch aufzudecken, worin sie alle gefangen und befangen sind? „Das Komplizierte wird mit unkomplizierten Begriffen sprachlich umkreist und tritt sozusagen als Leerstelle hervor.“ So Hinrich Schmidt-Henkel, Fosses deutscher Übersetzer, im Programmbuch. Passen also komplexe Klänge? – wäre nicht eher auf das zurückzugreifen und musikalisch zu verarbeiten gewesen, was die Protagonisten selber hören – und also zu verstehen meinen? mithin vom Schlager über Punk bis Rap? Die Ausnahme in Eötvös’ Partitur sind die zwei norwegischen Volksliedstücke, die seine Oper durchziehen und inhaltlich geerdet sind, insofern Asle selbst Musikant ist, jedenfalls es war. Bereits sein auf See verschollener Vater war es, und sein zu Opernbeginn noch ungeborener Sohn wird es eines Tages werden.

Hinzu kommt Fosses sehr eigenwillige Rhythmisierung seiner Texte, die zum Beispiel mitten im Satz Zeilenbrüchen ausgesetzt sein können, als ob es nicht Sätze in Prosa, sondern Verse wären, sowie ein höchst freier, dabei ausgehorchter Umgang sowohl mit Satzzeichen als auch mit den grammatischen Zeiten. Gerade für dergleichen wäre nach einem Libretto zu schauen gewesen, das eben nicht allein auf den Plot zielt und es dem Komponisten überläßt, ihn zu, sagen wir, transzendieren. Da Eötvös aber, wie er selbst erzählt, erst zu komponieren beginnt, wenn das Libretto vorständig vorliegt, beginnt hier bereits das Problem.

Nicht, daß die Musik nicht Kraft hätte! Bisweilen hat sie sie sehr, auch übrigens in den aus dem Jenseits oder ins Jenseits hinein gesungenen Passagen; sie sind trotz des schwer kitschigen Librettos („Follow him, my beloved, for I shall be with you always, like the blue sky above the glittering sea“) von großer lyrischer Schönheit. Doch hier zerstört sie die Regie, am Opernende besonders, doch etwa auch, als Asle gehängt worden ist und sich gewissermaßen in eine Wolke verwandelt, die – ecco! – eines Comics, was ihn zum, aua, Himmel hochträgt: und nicht mal eine aus realistisch-naturalistischen, sagen wir: Graphic Novels, sondern solchen für Kinder und Kleinkinder. Biene Maja halt. Ist so etwas nicht sogar – ungewollte –Verhöhnung? Und überträgt die furchtbare – eine seelisch wie material geworfene – Enge sämtlicher, wirklich sämtlicher Bühnenfiguren als Regression aufs Publikum, das brav auch klatscht? Die Wellen des Applauses haben ergo allen Grund, die in den Tod schreitende Alida willkommen zu heißen, denn wir werden willkommen geheißen – in der geschmacklichen Regression? – Dies ist an dieser Inszenierung das eigentlich Erschütternde – aber eben wider sie. Ob an der Oper selber auch, müßte eine neue Bühnenrealisierung zeigen, eine, die weniger, wie das Programmbuch die jetzige nennt, „surrealistisch“, in Wahrheit aber naiv ist. Was von dieser allerdings bleibt, ist das Innere eines riesigen aufgeschnittenen und ausgenommenen, teils auch filetierten Lachses; das als Ort für Wohnraum und Kneipe ist tatsächlich groß. Da hat sich die Bühnenbildnerin die Nennung ihres Namens verdient: Monika Pormale.

Wären denn nur die vielen bühnenbildlich-regressiven Albernheiten nicht, die repressiv das Geworfensein verulken – und also die Geworfnen.

Letzte Änderung: 22.06.2023  |  Erstellt am: 19.06.2023

Peter Eötvös
Sleepness
Opera Ballad
Text von Mari Mezei nach „Trilogie“ von Jon Fosse
in der Übersetzung von Judith Sollosy

Staatsoper Unter den Linden
Wiederaufnahme 15. 6. 2023
Inszenierung: Kornél Mundruczó

Vivtoria Randem – Linard Vrielink – Katharina Kammerloher – Hanna Schwarz – Sarah Defrise – Jan Martinik – Tómas Tómasson – Roman Trekel – Siybonga Maqungo – Arttu Kataja

Staatskapelle Berlin, Gábor Káli

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