Vom Pathos befreit
Wenn bühnentechnisch nur begrenzte Mittel zur Verfügung stehen, ist die Besinnung auf den Kern eines Werkes notwendig. Die Regisseurin Brigitte Fassbaender hat im Passionsspielhaus der Tiroler Festspiele in Erl bewiesen, dass „Das Rheingold" von Richard Wagner in seiner Essenz ein Kammerspiel ist. Als beeindruckend dramatisches, streckenweise komisches und musikalisch wunderbares Beziehungs-Geflecht hat Andrea Richter es erlebt.
Vorabend zum Bühnenfestspiel „Der Ring des Nibelungen“
Ein halbrunder, hoher Raum, gänzlich mit dunkelbraunem Holz verkleidet, nach hinten ansteigende Sitzreihen wie in einem Amphitheater, unbequeme, harte Klappsitze, keinerlei Corona-Abstand nach der Impf- respektive Testkontrolle im Freien, weder Vorhang noch Orchestergraben, schmale, schwarze, leere Bühne, kein Orchester, Kargheit. Eben ein Passionsspielhaus von innen.
Das leise Es der Kontrabässe tastet sich in die Gehörgänge vor. Die Fagotte kommen hinzu. Die drei Bühnenseiten verwandeln sich in graues Video- Wasser. Das ruhige Fließen des Rheinstroms. Hinter der Wasserprojektion schemenhaft erkennbar das Orchester in nie gesehener Aufstellung: statt nebeneinander in Etagen übereinander arbeitende Musiker, die sechs Harfen in etwa zehn Meter Höhe. Wasserbilder und Instrumentenklänge wogen um einen kleinen, bärtigen, schwarz gekleideten Mann, der auf dem Grund des Flusses, der Bühne, umhergeht. Wir ahnen, dass es Alberich sein muss, der in glitzernden Notenpultleuchten das Gold des Rheins erblickt, nach dem er giert. Genauso nach den in schicke, schwarze Pailletten-Abendkleider gehüllten Wächterinnen des Edelmetalls, die ihn in anmutigster Rheintöchter-Gesangsmanier abblitzen lassen und im erklären, dass wer der Liebe entsagt und einen Ring aus dem Gold schmiedet, über unbegrenzte Macht verfügt. Alberich entscheidet sich für die lockende Macht und raubt die herum rollenden Goldbatzen.
Bei den Wotans steht herrlich spießiges Mobiliar für den Umzug ins neue Heim Walhall bereit. Statt eines ragen gleich mehrere Speere aus dem Umzugsgut. Bis auf Wotan, erkennbar der Chef in seriös grauem Anzug und dem Hooligan Donner in schwarzer Lederkluft, tummelt sich die knallbunt gekleidete Götter- und Halbgöttersippe auf der Bühne. Froh flirtet mit Freia, als mit Wall-Street-Karikatur-Zylindern die Riesen Fasolt und Fafner hereinplatzen, um sich den versprochenen Lohn für den Bau von Walhall zu holen: Freia. Ihre Schwester Fricka jammert, Ehemann Wotan solle eine Lösung finden. Der schickt Loge los, einen Ersatz für Freia zu finden, während die Riesen und der verliebte Froh abwechselnd an Freia zerren. Ersatz kann nicht gefunden werden, aber Loge kehrt mit der Nachricht von Alberichs Goldschatz und seiner Macht zurück und entzündet ganz nebenbei hier und dort ein Feuer. Schließlich ist er ein Feuergott, der am Ende der Ring-Tetralogie Walhall abbrennen wird.
Eine feucht glänzende schwarz-weiße Video- Felsengrotte, in der Mime, Alberichs Bruder, das Rheingold schmiedet, das über eine Rampe herunterrollt: Niebelnheim. Wotan und Loge sind herabgestiegen, um sich des Schatzes zu bemächtigen. Der mächtige Zwerg lehnt das ab, ist aber der List Loges nicht gewachsen und endet als Gefangener Wotans. Er muss sich mit dem gesamten Schatz freikaufen und verflucht den Ring, der seinem Besitzer Unglück und Tod bringen soll. Zurück in farbigen Götterhöhen fordern und erhalten die Riesen den Schatz inklusive Ring. Der Fluch wirkt sofort und Fafner erschlägt seinen Bruder. Jeder der bunten Götter singt eine Arie, um dann im Gänsemarsch über eine Rampe ins unsichtbare Walhall zu ziehen, während die Rheintöchter ihren Schatz zurückfordern.
In der Fassbaender-Inszenierung ist gewaltig viel los. Befreit vom üblichen Pathos und Stillstand, dafür bereichert um eine kluge Personenführung wird gezeigt, wie sehr die männlichen Götter und Riesen des Kapitals daran arbeiten, ihren Vorteil zu mehren, bis hin zur Lächerlichkeit. Ganz und gar irdisch und heutig. „Wotan gleicht uns aufs Haar; er ist die Summe der Intelligenz der Gegenwart,…“ schrieb Wagner an den Dirigenten und Komponisten August Röckel. Fassbaender hat Wagner ernst genommen. Sein Sprachgeschwurbel wurde damals schon verulkt. Heute würde man annehmen, dass Text und Handlung aus der Feder eines Comediens stammen, der uns aber etwas inhaltlich Wichtiges zu sagen hat. In diesem Fall Wagners Kritik an der Ausbeutung der Umwelt (die Rheintöchter und das Gold waren für ihn Symbole der reinen Natur) sowie am Kapitalismus (Reichtum = Macht). Diese Botschaft ist hypermodern. Genauso wie die beschriebene Form der mal ernsthaften und mal humorvollen Darreichung.
Wobei diese in jeder Sekunde der übergeordneten Musik folgt, die ungeheuer ernst genommen wird. Unter der musikalischen Leitung von Eric Nielsen haben Orchester und Sänger*innen (alle Debütanten in ihren Rollen) wunderbar entwickeln und eine herausragende Ensemblearbeit abliefern können. Sie schmiedeten wahrlich einen goldenen Ring. Besonders erwähnt werden muss allerdings Ian Koziara, der als Loge im neongelben Kostüm stimmlich hervorstach.
Brigitte Fassbaender wird in den kommenden Jahren auch die drei weiteren Ring-Teile in Erl inszenieren. Künstlerischer Leiter und Geschäftsführer der Tiroler Festspiele ist seit 2019 Bernd Loebe, Intendant der Frankfurter Oper. So wundert es denn nicht, dass viele in der Mainmetropole wohl bekannte Macher und Musiker in den drei Erler Opernproduktionen dieses Sommers (Königskinder, Rheingold und Lohengrin) auftauchen.
Letzte Änderung: 28.07.2021
TIROLER FESTSPIELE ERL
Das Rheingold
Vorabend zum Bühnenfestspiel „Der Ring des Nibelungen“
Musik und Text von Richard Wagner
Uraufführung am 22. September 1869,
Königliches Hof- und Nationaltheater München
Erste Aufführung als Teil des Rings am 13. August 1876,
Festspielhaus , Bayreuth
Mitwirkende:
Wotan: Simon Bailey
Loge: Ian Koziara
Alberich: Craig Colclough
Mime: George Vincent Humphrey
Fricka: Dshamilja Kaiser
Erda: Judita Nagyová
Fasolt: Thomas Faulkner
Fafner: Anthony Robin Schneider
Orchester der Tiroler Festspiele Erl
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