Urvogel

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Zum Tod von Franz Hummel
Franz Hummel | © Privat

Es gibt die Freiheit der Kunst. Und es gibt die Freiheit des Künstlers, im Einklang mit den Gesetzen unabhängig zu arbeiten. Aber wer nimmt diese Freiheit in Anspruch? Zweifellos hat sich Franz Hummel an die Vermeidungsstrategie der Neuen Musiker nicht gehalten. Er komponierte nicht durchs Nadelöhr, sondern verfügte und nutzte aus guten Gründen alle Register, die die Musikgeschichte bereitstellt. Nun, da Hummel gestorben ist, erinnert Achim Heidenreich an den eigensinnigen Künstler.

Vielleicht hat der erst international sehr erfolgreiche Pianist, danach äußerst produktive und sehr viel aufgeführte Komponist Franz Hummel, im Jahr 1939 in Altmannstein im Altmühltal als Sohn der Bilder- und Kinderbuchautorin und Illustratorin Lore Hummel geboren, und dessen Frühbegabung Richard Strauß, Hans Knappertsbusch und Eugen Papst erkannten und förderten, ein Werk über nur sich selbst komponiert, sich selbst gewissermaßen als stattliche Klangplastik auskomponiert, als er seinem ersten Violinkonzert 1987 den Titel „Archaeopteryx“ gab. Sicher, mit der in seinem Geburtsort Altmannstein gefundenen Versteinerung des Urvogels setzte der unermüdliche Tonsetzer und auch Festivalchef Franz Hummel – in den „Sinfonischer Sommer Riedenburg-“Festivals der 1990er Jahre verband er kongenial zeitgenössi-sche Musik mit der Beethovens – seinem Geburtsort im Altmühltal, aus dem ihn wegzudenken schier absurd erschienen wäre, ein klingendes, hochvirtuoses Zeitkunst-Denkmal.

Das erfolgreiche Festival im nahen Riedenburg schlief allerdings leider ein, als Hummel mit der Operette „Ludwig II.“ im Festspielhaus im dafür extra aufgeschütteten Forggensee vis à vis von Schloss Neuschwanstein zeitweise zum Großverdiener wurde – bis 9/11 dem Ganzen einen Strich durch die Rechnung gemacht hat. Zu Hummels 80. Geburtstag erlebte „Ludwig II.“ im Regensburger Theater vor drei Jahren eine schöne Renaissance als Uraufführung einer überarbeiteten Fassung. „Ludwig II. – Sehnsucht nach dem Paradies“ war nicht nur Operette, weil das Genre noch in Hummels Sammlung fehlte. Vielmehr wollte er die Operette aktualisieren in Abgrenzung zum angloamerikanischen Musical und ihm mit der gewissermaßen auskomponierten urdeutschen, wenn auch problematischen Männerfreundschaft Ludwig II. und Richard Wagner eine Zukunft bescheren. Kommerz spielte im Schaffensprozess letztlich keine Rolle, auch wenn eigentlich alle Beteiligten am Ludwig II. Projekt immer wie kurz vor dem Durchdrehen wirkten; derart angeturnt von den baulichen Entwicklungen des Festspielhauses im See, dem neuen Festspielhotel und den heraufdämmernden hohen Kontoständen waren sie durch die Bank allesamt. Das Sujet, möchte man im Rückblick sagen, hatte von ihnen Besitz ergriffen.

Hummels spektral aufgefächerter stilistischer und mitunter sogar auch recht abstrakter Ausdrucksgehalt in „Archaeopteryx“ wurzelte jedoch fest in Beethovens Umregistrierung von Soloinstrumenten zu eigenen solistischen Orchesterapparaten sowie in der Schumannschen „Papillons“-Verworrenheit als Paradigma romantischer Musik. Aus diesem tiefen Schauen heraus speiste er als sein eigener Klassizist seinen immensen energetischen Gestaltungswillen, der jeden seiner Interpreten zu Mitkomponisten erhob, derart al-fresco oder als-ob-die-Tinte-noch-nicht-trocken-wäre muten seine Werke nicht nur dem an, der sehr gut zuzuhören weiß, sondern auch denen, die da spüren, dass ihre Seele angefasst wird.

Dieser nie versiegende Bewusstseinsstrom erlaubte Hummel gleichermaßen freien Zugriff auf etwa Bartóks archaisch anmutende, dabei stets vertrackte Rhythmik und Melodieführung bis hin zu einem – wohlgemerkt! – beinahe schon Bernd-Alois-Zimmermannschen Sich-Verlieren in perkussiv-insistierender, penetrierender Klangerzeugung.

Der im Altmühltal immer auch etwas barocken aufgeklärt-fürstlich wirkende Hummel selbst, der in der Nacht vom 20. auf den 21. August durch die Folgen eines Schlaganfalls seinen Leiden erlag, schimmert gerade durch diese Partitur als seine eigene fons inspirationis fortwährend durch. Violinist Ulf Hoelscher muss darum in seiner mitreißenden, auch das Depressiv-Grüblerische nicht aussparenden, psychoanalytischen Interpretation 1988 mit dem USSR State Symphony Orchestra beim III. International Music Festival Leningrad gewusst haben, so sehr geht diese Musik direkt unter die Haut! Wer ganz genau hinhört, wird bemerken, wie zärtlich Hummel Haydns Streichquartettsatz und späteres Deutschlandlied sanft, leise intonieren lässt. Schwupps, ist es aber auch schon wieder weg, Towarischtsch.

Urvogel-Hummel scherte sich auch hier einen feuchten Kehricht um die in der Neuen Musik angemahnten, tatsächlich auch notwendigen gesellschaftlichen Veränderungen. Goethes „Bilde Künstler! Rede nicht“ war ihm da näher. Vielleicht auch Hindemiths „Mathis“-Figur, die in Zeiten politischer Widrigkeit Halt in der Metierverpflichtung findet, um wenigstens hier sich und damit letztlich beispielhaft seinen Mitmenschen treu zu bleiben und Vorbild zu sein.

Hummel aber war mit seinem Blick auf die Tradition schon postmodern, als man sich in der Musikwissenschaft über den triftigen Begriff noch lustig machte und letztlich darin der perfekte Zeitgenosse: Ein seiner Zeit vorauseilender Moderner! Nachzuhören und nachzuempfinden auch in seinen insgesamt 19 (!) Opern, für die sehr oft seine langjährige Lebensgefährtin Elisabeth Gutjahr, jetzt Rektorin des Mozarteums Salzburg und seine Witwe Susan Oswell die Libretti schrieben. Dürrenmatts „Der Richter und sein Henker“ (Erfurt 2008) oder eine Oper über „Joseph Beuys“ (Wien 1998), weswegen es danach echt Ärger mit den Erben gab, oder eine über „Gesualdo“ (Kaiserslautern 1996) oder eine über „Gorbatschow“ (Bonn 1999), oder eine Oper über Anton Bruckner, die noch nicht uraufgeführt ist: Der um kein Cluster und um keine Kantilene verlegene Franz Hummel hat sich gleichermaßen mit der Zeitgeschichte wie mit der eigenen (Un)Bedingtheit als schaffender Künstler in Geschichte und Gegenwart auseinandergesetzt.

Darin war dieser bayerische Hüne ein äußerst sensibler, ja, seismographisch reagierender Zeitkünstler und alles andere als mit dem berühmt-berüchtigten „dicken Fell“ ausgestattet, ohne das ein Komponist ja eigentlich gar nicht existieren kann: Zum einen als Künstler, siehe oben, ein Pantoffeltierchen mit zwei Beinen zu sein, dessen Flimmerhärchen auf die kleinste Veränderung im Mikro- und Makrokosmos sofort ausschlagen sollen, zum anderen damit fertig zu werden, dass die Welt letztlich nicht auf ein neues Werk gewartet hat – es sei denn, es ist ein Auftragswerk oder der Künstler ist den Interpreten so sehr verbunden, oder umgekehrt, dass sie es gleich spielen.

Letzteres war Franz Hummel sehr: Ulf Hoelscher gehörte zum inner circle ebenso wie die gefeierte Pianistin und, wie Martha Argerich, argentinische Vincenzo Scaramuzza-Schülerin Carmen Piazzini, die international renommierte Violinistin Elena Denisova, der erfolgreiche Rachmaninow-Preisträger und unermüdliche Dirigent Alexei Kornienko. Sie setzten und werden sich immer für das Oeuvre von Franz Hummel einsetzen – Gott sei Dank!

Viele Werke sind Ihnen Form-Inhalt-kongruent auf den Leib geschrieben. Carmen Piazzini wollte Beethovens Diabelli-Variationen einspielen, aber es gab schon so viele, klagte sie Franz Hummel. „Dann schreibe ich Dir neue Diabelli-Variationen dazu und dann ist Deine Einspielung einzigartig“, sagte und tat er. Auch hier erwies sich Hummel als Meister der Übermalung, des Ausschöpfens von Impulsen, dem Vexierspiel mit Zitaten und auch einem Augenzwinkern auf den Tastenlöwen-Zirkus, in dem er selbst international durch viele Feuerringe sprang. Piazzini fackelt noch immer wahrlich ein Feuerwerk ab, wenn Sie beide großen Zyklen attacca zum Besten gibt, wie in einem mitreißenden Konzert in der rheinland-pfälzischen Landesstiftung Villa Musica 2013, zu dem Hummel angereist war und jungen Komponisten dort in der Konzertpause eine motivierende Lecture gab. Piazzini gibt ihr Wissen um Franz Hummels Werk sicher auch in den von ihr erfolgreich geleiteten Meisterkursen „ Internationale Sommerakademie Radolfzell” weiter.

Bei seinem erneuten Zugriff auf Beethoven hielt er sich vor kurzem ganz genau an den Ausdrucksgehalt und Motivvorrat der Vorlagen. Beethovens Konzert für Klavier und Orchester op. 19 komponierte er einfach für Violine um! Das Wort ‚arrangieren’ wäre dafür zu wenig, denn natürlich hat er damit eine ganz neue Klanglichkeit geschaffen. Der Klang ist die Kunst in der Musik, auch als abwesendes Medium. Die Denisova, Widmungsträgerin und Uraufführungsinterpretin vieler Hummel-Werke wie etwa der Violin-Symphonie „Fukushima“ (2000) unter der musikalischen Leitung von Alexei Kornienko, vermag mit hintergründiger Virtuosität die Anmut in Ihren neuen Linien unmittelbar erlebbar zu machen.

Das ganze Oeuvre von Franz Hummel ist mehr als bloß die Summe seiner Werke. Das werden wir jetzt erkennen. Ein großer Unzeitgemäßer hat uns verlassen.

Letzte Änderung: 26.08.2022  |  Erstellt am: 26.08.2022

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Kommentare

Volkmar Olbrich schreibt
Eine ausgezeichnete Würdigung . Vielen Dank. Volkmar Olbrich

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