Statik mit bewegten Bildern
Eine solche Ansammlung von Stars der Kehle wie im Salzburger Oster-Tannhäuser ist wohl nur selten, wenn überhaupt irgendwo auf der Welt zu erleben. Dafür wurden auch die höchsten offiziellen Eintrittspreise für ein Klassikfestival weltweit gefordert und bezahlt. Ob auch jede*r Zahlende wirklich wegen der Musik und ihrer Interpret*innen oder vielmehr wegen der exquisit-elitären Publikums-Gesellschaft gekommen war, mag dahingestellt bleiben. Andrea Richter fand jedenfalls die Besetzungsliste in Schrift und Ton beeindruckend und sprach mit Sebastian Kohlhepp (Walther von der Vogelweide).
Wagners „Tannhäuser“ bei den Salzburger Osterfestspielen
Die Garderobe ist während der Osterfestspiele im Großen Festspielhaus gratis. Warum an Ostern? „Weil die Tickets schon so teuer sind, da ist der Preis für die Aufbewahrung der Garderobe schon herinnen“, erklärt die Garderobiere. Sie beschwert sich mit keinem Wort, dass deshalb für sie das sonst häufig als Trinkgeld hinterlassene Rest fortfällt. Reiche dächten ganz mehrheitlich nicht an Leute wie sie, stellt sie lediglich sachlich fest. Die hätten Probleme ganz anderer Art, berichtet sie weiter. Beispielsweise, dass sie am Flughafen Salzburg heuer mit den Privatfliegern nicht zu den Zeitpunkten landen konnten, die sie wollten. Es gab einfach nicht genug „Slots“ für die vielen Maschinen. Sie kichert. Dieses Problem hat sie wohl nicht.
Dargeboten wurde die letzte, sogenannte „Pariser Fassung“ des Tannhäuser, die eigentlich „Wiener Fassung“ heißen müsste, weil sie in dieser Form nicht in Paris 1861, sondern in Wien 1875 uraufgeführt wurde. Richard Wagner hatte diese Oper zwischen 1845 (1. Uraufführung in Dresden) und 1875 immer wieder umgearbeitet und hielt sie bis zu seinem Tod 1883 für unvollendet. Übernommen wurde in Salzburg eine Inszenierung der Bayerischen Staatsoper München aus dem Jahr 2017 von Romeo Castellucci, an der einige der Sänger-Protagonisten bereits teilgenommen hatten. Eine bildgewaltige Werk-Interpretation inklusive Tanztheater in den ersten zwei Akten. Nicht immer verständliche, aber eindrückliche und wohltuende Bewegungskontraste zu den meist statisch auftretenden Sänger*innen.
Allein für Interpretation der berühmten Ouvertüre durch das Gewandhausorchester unter der Leitung von Andris Nelsons hätte sich zumindest ein Großteil der Ticketkosten gelohnt. Nach wenigen Takten der ruhigen Bläser mit dem Pilgerthema hatte er aus dem Orchestergraben in den Bann des Dramas gezogen. Kurz darauf die Streicher aufgeregt mit dem zunächst nur angedeuteten Venusbergthema dazwischenfahrend. Abwechselnd die Einen und die Anderen, tiefes Drohen, helles Jubilieren, Innehalten, Gefühlsausbrüche, An- und Abschwellen, Tosen und liebliche Harmonien. Jedes Instrument je nach seiner Bedeutung im Moment hörbar, als wäre es Kammermusik. Der gesamte Klangkörper im anderen Moment: die geballte Wucht der inhaltlichen Problematik der Oper. Dazu schossen auf der Bühne 27 Amazonen Pfeile erst in ein auf die Rückwand projiziertes Auge, das sich später in ein Ohr verwandelte. Wohl Castelluccis Hinweis darauf, dass es viel zu sehen und zu hören geben sollte, was in der Tat der Fall war.
1. Akt: Tannhäuser in schwarzem Anzug (Jonas Kaufmann, Tenor, Rollendebut) befindet sich im Venusberg, wo er sich über längere Zeit mit der Göttin amüsiert hat. Auf dem Boden waberten fleischige Wesen, die er durchlief, überstieg respektive sich zu ihnen niederließ. Aus ihnen schälte sich langsam Venus in Rot heraus. Leidenschaftlich (so zwar gefordert, aber mit dem Nimbus einer Hausfrau präsentiert) besang (Emma Bell, Mezzosopran, für die leider erkrankte Elina Granca) ausführlich die Freuden sinnlicher Liebe und Lust mit ihm und im Allgemeinen. Doch Tannhäuser mag nicht mehr. „Zu viel“, lauten seine ersten Worte. Er ist erschöpft und der vielen Lust überdrüssig. Er sehnt sich in die Natur und in menschliche Gesellschaft zurück. Venus versucht ihn zu halten, erfolglos. Er dankt ihr für die gemeinsame Zeit, verspricht, immer für sie in der Welt draußen einzustehen und verlässt die Höhle. Kaufmann machte aus seinem Debut-Tannhäuser einen Zweifelnden, Distanzierten, dem er auch eine solche Stimme verpasste. Draußen trifft er Jäger, die er gut kennt: Den Landgrafen von Thüringen (Georg Zeppenfeld, Bass), seinen Freund Wolfram von Eschenbach (Christian Gerhaher, Bariton) sowie weitere Ritter und Sänger, Kollegen aus der Zeit vor dem Venusberg. Nach einigem Zögern schließt er sich der Gruppe an, vor allem, weil er von Wolfram erfährt, dass Elisabeth, die Nichte des Landgrafen, ihn schmerzlich vermisst.
2. Akt: Elisabeth (Marlis Petersen, Sopran, Wagner-Debut), die die Sängerhalle seit Tannhäusers Verschwinden nicht mehr betreten hat, wartet nun dort auf ihn. In reines Weiß gekleidet, wandelt sie durch die aus weiß-opaken, sich laufend formverändernden Tüchern gestaltete Halle und singt mit heller, mädchenhafter Stimme „Sei mir gegrüßt du teure Halle“. Als Tannhäuser (in weißem Messdienergewand) endlich erscheint: selige Freude. Auf ihre Frage nach seinem Verbleib antwortet er ungenau „in der Ferne“. Die Beiden gestehen sich ihre tiefen, wechselseitigen Gefühle. Der Landgraf (Zepppenfelds Stimmflexibilität und -umfang immer wieder bewundernswert!) richtet zur Feier von Tannhäusers Rückkehr ein Sängerfest aus. Die Aufgabe: In Liedern das Wesen der Liebe zu ergründen. Der Siegerpreis: Elisabeth. Die Frau als Siegestrophäe lobt Wagner übrigens auch in den Meistersingern aus und Carl Maria von Weber im Freischütz. Welches Frauenbild?!!
Wolfram, der Elisabeth ebenfalls liebt, beginnt und beschreibt die Liebe als „Wunderbronnen“, den er ehrfurchtsvoll anbete. Die Sache spitzt sich zu, als Tannhäuser ihm lakonisch erwidert, dass er von körperlicher Liebe, die auch dazugehöre, keine Ahnung habe. Daraufhin warnt Walther von der Vogelweide, er entweihe mit dieser Einstellung das Ideal der Minne. Diese Passage hatte Wagner in der eigentlichen Pariser Fassung von 1861 gestrichen, mangels Tenor, der sie hätte singen können. Jetzt wieder eingefügt, konnte man die schöne Stimme von Sebastian Kohlhepp genießen (s. Interview). Tannhäuser provoziert nach und nach alle Sängerkollegen und Gäste mit seinen detaillierten Lust-Genuss-Beschreibungen dermaßen, dass sie ihn umbringen wollen. Doch Elisabeth setzt sich für ihn ein. Zur Strafe soll er nach Rom pilgern, um sich vom Papst die Absolution für sein schamloses Treiben im Venusberg zu holen.
3. Akt: Elisabeth wartet seit einem Jahr auf die Rückkehr der Pilger. Sie kommen (hier der berühmte Pilgerchor), jedoch ohne Tannhäuser. Elisabeth beschließt, durch ihren eigenen Tod im Himmel als Engel um Gnade für den Geliebten zu bitten. Das tat Petersen stimmlich jetzt dunkler timbriert und damit der dramatischen Situation angepasst hervorragend. Sie legt sich zum Sterben und stirbt tatsächlich (woran, weiß niemand!). Während im Hintergrund der Verlauf der Zeit in Worten angezeigt, Elisabeths Leiche fortgeräumt und durch Leichen in unterschiedlichen Verwesungsstadien ersetzt werden, trauert Wolfram und besingt den Abendstern, der ihrer Seele auf dem Weg in die Ewigkeit beistehen möge. Leider tat Gerhaher das dermaßen langsam und mit kaum hörbarer, geradezu brüchiger Stimme, dass diese eigentlich wunderbare Arie sich zog und keine Spannkraft entwickeln konnte. Ganz anders Jonas Kaufmann, der als endlich zurückgekehrter, aber unerlöster Tannhäuser eine fulminante „Rom-Erzählung“ („Inbrunst im Herzen…“) hinlegte und sich sehr glaubwürdig aufgebracht, nun endgültig zum Genuss-Leben in echter tenoraler Höhe bekannte. In dieser dritten und damit letzten Aufführung des Festivals ließ er alle Stimm-Vorsicht fahren und bewies (sich selbst? und) dem Publikum seinen Ruf als Weltklasse-Sänger. Als er erfährt, dass die tote Elisabeth seine Vergebung im Himmel erwirken konnte, bricht auch er tot zusammen (Todesursache?). Die Liebenden vereinen sich in Asche. Schluss nach dreieinhalb Stunden Spielzeit plus Pausen von insgesamt eineinhalb Stunden. In der Sternbräu-Passage gab es bei Seppo noch ein wohlverdientes kühles Bier.
Andrea Richter im Gespräch mit Sebastian Kohlhepp: Switchen zwischen Genres
Sebastian Kohlhepp, geboren 1981 in Limburg an der Lahn, studierte Musik und Gesang an der Hochschule für Musik und Darstellende Kunst, HMdK, in Frankfurt. Er hat sich in den vergangenen Jahren auf den internationalen Opern- und Konzertbühnen als einer der besten deutschen Tenöre seiner Generation etabliert. Im Tannhäuser der Salzburger Osterfestspiele 2023 sang er die Rolle des Walthers von der Vogelweide.
Andrea Richter: Sie wollten zunächst Musik- und Deutschlehrer werden, haben erst spät mit der Sologesangsausbildung begonnen. Warum?
Sebastian Kohlhepp: Musik zu meinem Beruf zu machen, wollte ich eigentlich schon immer, jedoch stand damals noch der Sicherheits-Aspekt bei mir etwas im Vordergrund und so studierte ich Schulmusik. Doch dann fehlte für ein Johannespassion-Projekt der Gesangsabteilung an der Musikhochschule in Frankfurt ein Arien-Tenor. Ich sprang kurzerhand ein und danach redeten plötzlich alle Professoren und Kommilitonen (vor allem eine Sängerkollegin – meine heutige Frau) auf mich ein, ich solle doch Gesang studieren. Dabei hatte ich zunächst gar nicht den Drang, als Solist allein auf der Bühne zu stehen, sondern fand großen Gefallen daran, in Ensembles mit Mehreren gemeinsam Klänge zu erzeugen. Aber dann machte ich doch noch mit 26 Jahren die Aufnahmeprüfung für das Gesangsstudium und von da an ging alles ziemlich schnell.
Hatten Sie eine konkrete Idee, welche Art von Sänger sie werden wollten?
Da ich ja im Knabenchor mit Kirchenmusik und Oratorien großgeworden bin, die mir auch bis heute viel bedeuten, hatte ich zunächst vor, Konzertsänger zu werden. Doch gegen Ende des Studiums wurde ich zum Glück(!) von meiner Lehrerin Hedwig Fassbender etwas mehr in Richtung Oper ‚geschubst’ und für Vorsingen an den Theatern in Karlsruhe und Dortmund motiviert. Zu meiner Überraschung wollten mich gleich beide Häuser nehmen. Ich bin dann in Karlsruhe 2011-2013 gelandet, und das war für mich ein absoluter Glücksgriff. Ich lernte viel Repertoire, stand regelmäßig auf der Bühne und hatte unglaublich tolle Kollegen. Dort leckte ich richtig Opern-Blut, sang meine ersten großen Hauptrollen und merkte, was das auf der Bühne mit einem selbst und auch mit den anderen macht. Das waren großartige Erfahrungen. Und dann der erste Solo-Applaus vor dem Vorhang. Darauf möchte man irgendwann nicht mehr verzichten. In gewisser Weise wirkt es wie eine Droge. Gerade zu Beginn der Karriere ist das ja auch die stärkste Motivation, denn man wird aus Idealismus Sänger, ganz bestimmt nicht wegen des ziemlich mageren Einstiegsgehaltes.
Hatten Sie ein Vorbild?
Das ist schwer zu sagen. Ich mag SängerInnen, die wandelbar sind und sich wie ich in Oper, Operette, Konzert und Lied zuhause fühlen. Da gibt es nicht allzu viele. Wen ich sehr bewundere, ist Anne-Sophie von Otter. Sie macht seit Jahrzehnten in all diesen Genres auf höchstem Niveau Musik.
Warum spezialisieren Sie sich nicht auf einen Bereich?
Ich finde es sehr wichtig, sich in unserem Beruf breit aufzustellen. Außerdem brauche ich die Abwechslung und das Switchen zwischen den Genres ist auch eine gute Möglichkeit, seine Stimme und Technik immer wieder zu überprüfen. Gerade in meiner jetzigen Entwicklungsphase, wo ich mich vom lyrischen Tenor langsam in etwas ‘heldischere’ Bereiche vortaste. Wenn ich es also schaffe, an einem Abend eine relativ dramatische Partie und am Abend darauf entspannt eine Bachkantate oder den Evangelisten in einer Passion zu singen, dann ist es schon ein gutes Zeichen, und ich habe wohl mit meiner Stimme nicht allzu viel falsch gemacht.
Hätten Sie damals gedacht, einmal in Salzburg zu landen?
Überhaupt nicht. Wirklich nicht! Ich weiß noch, wie Hedwig Fassbender mich vor meinem Studienabschluss 2011 mit zur Oper in Monte Carlo nahm, um dort den Ersten Juden in der Salome von Richard Strauss zu singen. Das war mein allererstes Opern-Engagement. Da hätte ich nie geglaubt, dass ich 12 Jahre später als Narraboth (eine der Hauptpartien der Oper) auf der Bühne der Mailänder Scala stehen würde, was ich gerade im Februar getan habe. Da habe ich gedacht: das kann ja alles nicht wahr sein. Und genauso ist es auch gerade in Salzburg. Ich hatte mir nie besonders hohe Ziele gesteckt, denn je höher sie sind, desto leichter kann man enttäuscht werden. Trotzdem habe ich natürlich ein paar Träume. Ich würde gerne mal an der Berliner Staatsoper Unter den Linden und in Paris singen. Von den Partien-Träumen geht nächstes Jahr mit Idomeneo von Mozart ein erster in Erfüllung. Ihn darf ich in einer Neuproduktion an der Oper Köln singen. Auch für den Max im Freischütz von Carl Maria von Weber gibt es zum Glück Anfragen. Eine Partie, die für deutsche Tenöre im Zwischenfach absolut prädestiniert ist. In italienischen Opern sehe ich mich beispielsweise nicht, ganz einfach, weil ich finde, dass meine Stimme zu Deutsch klingt. Dort würde ich mir selbst klanglich nicht gefallen. Dann schon eher in der ein oder anderen französischen Partie oder als Lenski in Eugen Onegin. Mal schauen, was davon noch in Erfüllung geht.
Wollen Sie selbst irgendwann einmal den Tannhäuser singen?
Im Moment kann ich mir das noch gar nicht vorstellen. Ich bin auch niemand, der das forcieren würde. Dazu müsste meine Stimme bereit sein. Bis dahin wären ohnehin erst einmal noch andere Wagner Partien dran, wie der Erik in Der fliegende Holländer oder vor allem ein Lohengrin.
Ist es eine besondere Herausforderung, mit einer solchen Ansammlung von Weltstars wie jetzt in Salzburg auf der Bühne zu stehen?
Wenn man die Besetzungsliste liest und zur ersten Probe bzw. Konzeptionsgespräch kommt, hat man natürlich erst einmal gehörigen Respekt. Aber dann merkt man doch rasch, dass das alles auch nur Menschen sind, die mit Wasser kochen. Man begegnet sich auf Augenhöhe, und dann macht es einfach nur Spaß. Toll war es immer für mich, die unterschiedlichen Gesangstechniken der Kollegen zu beobachten. Da kann man wirklich viel lernen. Beispielsweise Georg Zeppenfeld zuzuschauen, ist Anschauungsunterricht in Gesangstechnik par excellence. Schon vor vier Jahren, als ich, ebenfalls in Salzburg, den David in den Meistersingern sang, habe ich ihn bestaunt, mit welcher Leichtigkeit er die Lagen wechseln kann. Das möchte ich auch können!
Sie sind glücklich verheiratet und haben zwei Kinder. Fehlt Ihnen irgendetwas?
Ja: eine bessere Work-Life-Balance. Ich habe schließlich bewusst entschieden, nicht nur Sänger, sondern vor allem Ehemann und Vater zu sein. Im vergangenen Jahr war ich dann aber viel zu viel unterwegs. Deshalb habe ich mir jetzt nach dem Tannhäuser erst mal zwei Monate freigeschaufelt, um bei der Familie zu sein. Ich hoffe, in meiner künftigen Terminplanung bin ich diesbezüglich etwas geschickter.
Siehe auch:
Brahms-Requiem in Salzburg
Letzte Änderung: 12.04.2023 | Erstellt am: 12.04.2023