Schiller – heute?

Schiller – heute?

Felicitas Brucker inszeniert Don Carlos
Don Carlos, Sarah Grunert, Stefan Graf | © Thomas Aurin

Das 19. Jahrhundert hatte da keine Probleme, und noch in den zwanziger Jahren des letzten Jahrhunderts konnte Alfred Kerr den einst umlaufenden Vers zitieren: „Nichts an Dir war scheel und niedrig / teurer Schiller, edler Friedrich.“ und er, Kerr, nennt ihn, Schiller, tatsächlich einen „herrlichen Freiheitsschwaben“. Und Deutschland jubelte. Davon sind wir heute wahrlich weit weg. Auch von Schiller? Die meisten Wiederbelebungsversuche sind oft kläglich gescheitert. Nicht so: jetzt, in Frankfurt, bei und dank Felicitas Brucker. Und Martin Lüdke hat das Stück gesehen.

Am Ende wird kräftig aufgeräumt. Erst mal personell: Marquis von Posa, tot, erstochen. Don Carlos, tot, vom Vater erschossen. König Philipp II, tot, von seiner eigenen Frau erschossen. Und natürlich Herzog von Alba, tot, auch erschossen, von der Prinzessin Eboli. Damit sind 66% des aufgebotenen Personals eines gewaltsamen Todes gestorben. Die wunderbar weiße Bühne von Viva Schudt trieft von Blut. Aber: es herrschen klare Verhältnisse. Zwei Frauen sind übrig, mehr nicht (doch keine Spur von feministischem Furor).
Aufgeräumt wurde auch bei der Textbearbeitung, die sich wesentlich auf eine Schiller’sche Bearbeitung (sogenannte Rigaer Fassung) stützt.
Brucker und Arved Schultze haben von ursprünglich über zwanzig namentlich aufgeführten Personen gerade noch sechs (zuzüglich der stumm gebliebenen Infantin) übrig gelassen. Sie haben damit auch die politische Dimension in einen eher privaten Raum zurückgeführt. Der sprichwörtlich berühmt gewordene Ausruf des Marquis Posa: „Geben Sie Gedankenfreit“, dem auch noch das „Sire“, damit der Adressat, fehlt, wird eher nebenher genuschelt.
Und trotzdem scheint mir die, nennen wir sie Frankfurter Fassung, konsequent gedacht, bis auf die eher überflüssigen Rap- und sonstigen Musik-Einlagen.
Das Personal steht, bei Beginn, wie auch später oft, an den Bühnenwänden, auf den Auftritt wartend, bei dem es dann in die Mitte tritt. Und das Ränkespiel beginnt. Weil fast jeder gegen jeden kämpft (wenn auch, wie Carlos und Posa, am Ende nur scheinbar).
Carlos (Thorsten Flassig) hat es da besonders schwer. In Trainingshose und Turnhemdchen wirkt er als Thronfolger so deplatziert wie als Liebhaber seiner Mutter, die einst seine Braut war, aber aus Staatsräson seinen Vater heiraten musste, um das Verhältnis Frankreichs zu den Habsburgern zu konsolidieren und den Frieden in Europa zu garantieren. Für alle drei ist es schwer, sich mit diesen Gegebenheiten zu arrangieren. Karlos leidet, weil er seine Braut abtreten musste und durch seinen misstrauischen Vater von aller Macht ferngehalten wird. Elisabeth leidet, weil sie einen Mann heiraten musste, den sie nicht liebt. Und Philipp II. leidet, weil er die Frau liebt, die ihn nicht liebt, und einen Sohn hat, dem er nicht traut und dem er auch nichts zutraut. Von dieser Konstellation profitiert der Herzog von Alba, der (lange Zeit) das Vertrauen seines Königs genießten konnte und auch ausersehen war, in Flandern aufzuräumen.
In diese Konstellation tritt nun aber auch noch der Marquis von Posa ein, der, eben aus Flandern zurückgekehrt, die eher persönlichen Spannungen wieder ins Politische zurückführt. Er will den Flamen in ihrem Freiheitskampf helfen, mit Don Carlos, gegen Philipp II.
Er gewinnt aber die Achtung des Königs, weil er es wagt, ihm offen seine Meinung zu sagen, und weil der König spürt, das ihm (erstmals) ein Mensch, keine Hofschranze, gegenübersteht, der nicht auf seinen Vorteil bedacht, sondern sich Aufrichtigkeit und Wahrheit verpflichtet fühlt.
Höfische Ränkespiele, Intrigen, auch direkte Auseinandersetzungen, das alles gewinnt einen modellhaften Charakter. Es spielt sich ab – wie in einem Labor, in klinisch sauberen Räumlichkeiten.

Don Carlos, Torsten Flassig, Christoph Bornmüller | © Foto: Thomas Aurin

Die Bühne, unter einer geschlossenen, weißen Decke, die Wände von großen, weißen Kacheln umrahmt, der Boden mit weißen Platten bedeckt. Kein Stuhl, kein Schrank, einfach nix, außer einem Riesentisch, der hin und wieder aus dem Bühnenboden hochgefahren wird und sich zuweilen in einem geschlossenen Glaskasten verwandelt lässt, dazu ein Riesenbett, das, je nach Bedarf, aus einer Seitenwand herauskommt. Ein ebenso überzeugendes wie völlig abstraktes Bühnenbild von Viva Schudt. (Die leider auch für die allerdings eher kläglichen Kostüme, nix Fisch, nix Fleisch verantwortlich war.)
Dieses durchwegs abstrakte Ambiente verstärkte nämlich nur noch die Konzentration auf das handelnde Personal. Nichts, was von ihnen ablenken konntet. Durch die Intensität der Inszenierung wirkt nichts, aber auch gar nichts abstrakt. Das liegt natürlich auch am höfischen Leben, das sich, der Darstellung von Thomas Hobbes folgend, meist als ein Kampf aller gegen alle darstellt. Hier, durch die Reduktion des Personals, sehr konzentriert. Einzelkämpfer, die sich gegenüber stehen.

Wenn Carlos bei seiner Ex-Braut und Jetzt-Mutter herumjammert, wenn die beiden sich auf der großen Bühne gegenüberstehen, dann sind sie auf sich gestellt. Nichts lenkt von ihren Dialogen ab. Wenn der König, worauf er lange warten musste, mit dem Marquis, der, als ehrliche Haut, versucht hatte, ihm aus dem Weg zu gehen, endlich ins Gespräch kommt, dann stehen sich auch die beiden, ganz allein auf der großen, weiten Bühne, gegenüber.
Wie zwei Welten. Die vergangene und eine, wie Schiller ganz fest glaubt, die kommen wird. Posa gesteht entsprechend dem König: „Das Jahrhundert / ist meinem Ideal noch nicht reif. Ich lebe / Ein Bürger derer, welche kommen werden.“ Und Schiller wusste wahrlich, wovon er sprach. Mit Mühen nur war er seinem Landesherrn entkommen, der steckbrieflich nach ihm fahnden ließ. Was er schrieb, das wurde außerhalb, zum Beispiel in Mannheim, dann Frankfurt, 1788, aufgeführt. Wie jetzt, fast zweieinhalb Jahrhunderte später, wieder in Frankfurt. Wo Posa dem König entgegnet: „Nun, ich will Sie nicht betrügen. (…) Ich liebe die Gerechtigkeit und will diese nicht nur für mich selbst“. Der König zeigt sich von dem Marquis mehr und mehr beeindruckt: „Sie haben Menschenkenntnis Marquis. Einen Mann wie Sie habe ich mir die ganze Zeit gewünscht. Sie stehen vor mir und haben nichts für sich selbst erbeten. Ihnen gebe ich den Auftrag, die Wahrheit herauszufinden.“

Und zwar über die Verleumdungen, die vom Herzog von Alba und der Gräfin von Eboli in die Welt gesetzt worden sind. Hier verschränken sich die privaten wieder mit den politischen Motiven. Und hier kommen auch die beiden Stränge der Inszenierung von Felicitas Brucker wieder zusammen. Das Private wird politisch, so hätte man 1968 gesagt. Eifersucht, Intrigen, Ränkespiele, aber auch der politische Plan, den der Marquis verfolgt, verschränken sich folgerichtig und führen zu dem bitteren Ende, das, nüchtern betrachtet, aus gutem Grund, keinen Sieger kennt. Auch, wenn, was bleibt, zwei Frauen sind, sollte man darin eine Ironie der Geschichte, keinen feministischen Triumph sehen.
Das kleine Ensemble, allen voran Matthias Redlhammer als König und Christoph Bornmüller als Marquis von Posa und, natürlich, Sarah Grunert als Prinzessin von Eboli, konnte überzeugen.
Man kann aber trotzdem fragen, warum 66% des aufgebotenen Personals das Ende dieses Dramas nicht überleben durften.
Man kann.
Muss aber nicht.
Der kräftige Beifall am Ende machte das deutlich.

Letzte Änderung: 20.03.2024  |  Erstellt am: 20.03.2024

Don Carlos, Christoph Bornmüller, Tanja Merlin Graf | © Foto: Thomas Aurin

DON CARLOS
von Friedrich Schiller
In einer Fassung von Felicitas Brucker und Arved Schultze

TEAM
Regie: Felicitas Brucker
Bühne und Kostüme: Viva Schudt
Video: Florian Seufert
Musik: Markus Steinkellner
Dramaturgie: Alexander Leiffheidt
Dramaturgie Fassung: Arved Schultze
Licht: Ellen Jaeger

BESETZUNG
Christoph Bornmüller (Marquis von Posa)
Torsten Flassig (Don Carlos)
Stefan Graf (Herzog von Alba)
Tanja Merlin Graf (Elisabetta von Valois)
Sarah Grunert (Prinzessin von Eboli)
Matthias Redlhammer (Philipp II.)

TERMINE

Do. 21.03.2024
19.30–22.20
RESTKARTEN

Sa. 23.03.2024
19.30–22.20
TICKETS

So. 07.04.2024
18.00–20.50
Einführung 17.30
TICKETS

Sa. 13.04.2024
19.30–22.20
TICKETS

So. 21.04.2024
16.00–18.50
TICKETS

Sa. 27.04.2024
19.30–22.20

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