Schattenseite der Glorie
Georg Friedrich Händel aus Halle an der Saale schrieb unter anderem 42 Opern, die er vor allem vor englischem Publikum in italienischer Sprache aufführen ließ. Eine seiner erfolgreichsten spielt in Ägypten, und zwar im Jahr 48 v. Chr., als man noch lateinisch sprach. „Ruhm ist die Sonne, die auf die Toten scheint“. Dieses Zitat von Honoré de Balzac erscheint als Fazit unvorstellbaren Gemetzels am Ende einer zu Recht mit Standing Ovations bedachten, denkwürdigen Inszenierung von Nadja Loschky und deren musikalischer Interpretation des Giulio Cesare in Egitto fast genau 300 Jahre nach der Londoner Uraufführung in der Frankfurter Oper. Andrea Richter hat die Premiere gesehen und ihre Eindrücke zusammengefasst.
Der Vorhang hebt sich. Zu sehen ist eine Reihe von antik-stilisierten Säulen, jede trägt den berühmten Kopf des ruhmreichen Cäsars mit dem Lorbeerkranz, während aus Lautsprechern im Saal wispernd „Ruhm sei Cäsar“ zu hören ist. Der lebendige Cesare geht derweil von Säule zu Säule, ringt gestisch mit sich und seinem Ruhm, bis er schließlich unter ihm zusammenbricht und er seinen Lorbeerkranz verliert. Die Ouvertüre beginnt, Kleopatra schlängelt sich zwischen den Säulen hindurch, nimmt den Lorbeerkranz Cäsars und setzt ihn auf einen der Köpfe. Diese Anfangsszene erklärt sich erst nach drei Stunden turbulenten Musiktheaters, das zeigt, wie Ruhm auf den Ruinen unzähliger Kämpfe mit unzähligen Opfern und wenigen Freuden entsteht und Individuen zerbrechen lässt.
Zeitschiene
Die Opernhandlung beginnt: Es ist das Jahr 48 vor Christus. Giulio Cesare hat seinen Wi-dersacher Pompeo besiegt und (auf einem Laufband rennend!) bis nach Ägypten verfolgt. Pompeos Frau Cornelia und Sohn Sesto erkennen Cesares Triumph an und bitten ihn, sich mit Pompeo auszusöhnen. Cesare ist dazu bereit. Doch noch bevor es dazu kommt, schiebt sich von rechts nach links langsam eine Wand und dann ein anderer Raum auf die Bühne. Darin ein Schaukasten, in dem ein blutüberströmter Mann mit abgeschlagenem Haupt sitzt. Denn während des Gesprächs zwischen Cesare, Cornelia und Sesto hat der ägyptische König und Bruder Cleopatras, Tolomeo, Pompeo ermorden lassen, um Cesare sein Haupt als Gastgeschenk zu überreichen und dessen Gunst im Machtkampf mit der Schwester zu gewinnen. Cornelia und Sohn Sesto trauern erst um Pompeo, um dann Ra-che zu schwören. Cesare ist ebenfalls entsetzt. Cleopatra wittert ihre Chance, sich mit sei-ner Hilfe im Ringen um Ägyptens Thron gegen ihren Bruder Tolomeo durchzusetzen und endlich die Alleinherrschaft zu gewinnen. Sie schließt sich deshalb den Racheplänen von Cornelia und Sohn Sesto an. Außerdem erbittet sie von Cesare Unterstützung. Cesare verliebt sich in Cleopatra. Als Tolomeo ein Attentat auf ihn verübt, kann er entkommen. Cleopatra wird jedoch berichtet, Cesare sei auf der Flucht ertrunken. Tolomeo lässt Cleo-patra gefangen nehmen. Da erscheint Cesare und befreit die Geliebte. Tolomeo wird von Sesto getötet. Cesare macht Cleopatra zur Königin Ägyptens.
Neben diesem Handlungskern ranken sich unzählige weitere Handlungsstränge, die Per-son für Person, Szene für Szene, Bild für Bild getrennt seziert werden. Je nach Handlungs- respektive musikalischer Notwendigkeit bleibt ein Bild in der Bühnenmitte stehen, um sich dann wieder auf einer Art fortlaufender Zeitschiene zu verschieben, so dass auf der linken Seite gerade Vergangenes, in der Mitte Aktuelles, und rechts Paralleles und Künftiges zu sehen sind. Sprich Vergangenheit und Zukunft sind jederzeit für den Zuschauer ebenso präsent wie die Gegenwart. Zweifelsohne ein Meisterwerk an Bühnenbildner-Kunst von Etienne Pluss. Die vorherrschenden Farben: Weiß, Schwarz und Grau, die sich auch in den trefflich römisch-ägyptisch-heutig stilisierten Kostümen wiederfinden. Farbe kommt nur dann ins Spiel, wenn es um Mord (rotes Blut) und Liebe (Cleopatra und Cesare in grüner Natur!) geht oder wenn es lichterloh brennt.
Affekte
Händel ging es – auch in dieser seiner 17. von insgesamt 42 Opern – immer darum, die Affekte, sprich Gemütsbewegungen, der Protagonisten musikalisch so auszudrücken, dass der Hörer sie selbst spürte. Wobei natürlich die Sänger-Interpret:innen eine ganz erhebliche Rolle spielten und spielen. Händel war es gelungen, zur Uraufführung in London die Besten der Zeit zu engagieren und so dem Werk von Anfang an zu großem Erfolg zu verhelfen. Es wurde seitdem unzählige Male aufgeführt.
In der aktuellen Frankfurter Produktion unter der barock-fachkundigen musikalischen Leitung von Simone Di Felice und mit den auf alte Musik spezialisierten Mitgliedern des Orchesters gelang der Instrumentalpart vorzüglich und zeit-authentisch. So auch ganz überwiegend den singenden Kolleg:innen. Pretty Yende (Cleopatra, Sopran) verwandelte sich und ihre Stimme von der zweifelnd-hoffenden und dann verliebten jungen Frau langsam zur dramatischen, Schicksal geplagten Königin und fuhr in den Arien „Piangerò la sorte mia“ und „Da tempeste il legno infranto“ im 3. Akt sozusagen den sängerischen (Koloratur-) Maserati mit allen Sopran-Facetten aus. Was allerdings die Fallhöhe zu den stimmlichen Überzeugungskräften von Lawrence Zazzo (Countertenor, Giulio Cesare) noch stärker offenbarte. Denn dieser, häufig ebenfalls mit Koloraturen versehenen Partie, schien er insgesamt nicht gewachsenen. Im Gegensatz zu Cláudia Ribas, die der dramatischsten Figur der Oper, Cornelia, mit ihrem wunderbaren Mezzosopran die notwendige Charakter-Tiefe von Verzweiflung bis zu rebellischer Gegenwehr verlieh. Viele hochverdiente Zwischenapplause holte sich Bianca Andrew (Sopran) als Sesto ab, die vom zunächst ängstlich verstörten Sohn zum racheübenden Mörder wurde und innerhalb von Sekunden die totalen Stimmungsumschwünge des Jungen stimmlich und darstellerisch flexibel brillant meisterte. Als sie und Ribas am Ende des 1. Aktes gemeinsam das Duett „Son nata a lagrimar“ hinreißend sangen, schlug sich Händels „Affekt-Absicht“ bei einer hinter mir sitzenden Dame sehr konkret nieder: Sie schluchzte tief ergriffen. Nils Wanderer (Countertenor) gab einen schauspielerisch wie gesanglich überdrehten, ständig zwischen Verzweiflung und Größenwahn schwankenden Tolomeo ab, der die vielen Wort- und Satzfetzen immer wieder aus Sopran-Höhen in baritonale Tiefen fallen ließ. Damit bewies er nebenbei, dass Countertenöre heute nicht mehr – wie noch zu Händels Zeiten – vor dem Stimmbruch kastriert werden! Der dritte Counter im Bunde war der zierliche, mit Tüllröckchen ausgestattete Iurii Iushkevich als Nireno, der einen so hellen Sopran-Part ablieferte, dass in der ersten Pause tatsächlich spekuliert wurde, ob er „wirklich“ ein Mann ist. Das genaue Gegenteil: der große, muskelbepackte Božidar Smiljanić, der den bösartigen Achilla mit wuchtiger Baritonstimme verkörperte.
Insgesamt ein stimmiger Cast, der die individuellen Fähigkeiten im Rahmen einer durchdachten Inszenierung mit einem großartigen Bühnenkonzept und durch den Sachverstand der musikalischen Leitung glänzen ließ.
Letzte Änderung: 26.03.2024 | Erstellt am: 26.03.2024
Giuglio Cesare in Egitto
Dramma per musica in drei Akten
Musik: Georg Friedrich Händel 1685–1759
Text: Nicola Francesco Haym nach Giacomo Francesco Bussani
Uraufführung 1724, King’s Theatre Haymarket, London
Musikalische Leitung Simone di Felice
Inszenierung Nadja Loschky
Bühnenbild Etienne Pluss
Kostüme Irina Spreckelmeyer
Licht Joachim Klein
Chor Tilmann Michael
Konzeptionelle Mitarbeit Yvonne Gebauer
Dramaturgie Mareike Wink
Mitwirkende
Giulio Cesare Lawrence Zazzo
Cleopatra Pretty Yende
Cornelia Cláudia Ribas
Sesto Bianca Andrew
Tolomeo Nils Wanderer
Achilla Božidar Smiljanić
Curio Jarrett Porter
Nireno Iurii Iushkevich
Frankfurter Opern- und Museumsorchester
Chor der Oper Frankfurt
Weitere Vorstellungen: 29.März., 6., 11., 14., 20., 27. April, 4., 8., 10., 18. Mai 2024
Oper Frankfurt
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